Intro
Im Rahmen meines SoWi-Studiums an der Uni Bremen, Anfang der 80er Jahre, melden sich vier Verdener Bürger auf meinen »Zeitungs-Aufruf«, sich als Zeitzeugen der Zeit um 1900 befragen zu lassen. Beinahe zufällig kamen wir in unseren Gesprächen auf damalige Geschehnisse in Verden, die während des Wechsels vom Kaiserreich zur Weimarer Republik stattfanden. Wow – die November-Revolution hat also auch in Verden stattgefunden? Was ist damals genau passiert? Das Thema meiner Abschlussarbeit – unter dem seinerzeit top-aktuellen – Forschungsansatz »Oral History« war gefunden. Diese Zeitzeugen-Interviews geben uns bis heute detaillierte Einblicke in den Arbeitsalltag jener Zeit, den Sorgen und Nöten im täglichen Leben. Daraus entsteht dann zwei Jahre später die Chronologie der November-Revolution in Verden: unter dem Titel »Lewer dod as Slav« erscheint das Buch als 1. Band der sog. »Roten Reihe« (Geschichtswerkstatt Verden e.V.) – und der Rest ist Geschichte…
Wir wollen die revolutionären Ereignisse in Verden lebendig werden lassen.
- Stopp in Verden! So gelangte die Revolution im November 1918 in unsere Stadt…
- Keine Gewalt? Tabakarbeiter stellen sich den Revolutionären in den Weg…
- Arbeiter voran? Die treibenden Kräfte der politischen Entwicklungen…
- Belagerungszustand! Die Bremer Räterepublik wird niedergeschossen…
- Plünderungen? Hunger, Schwarzhandel und »Eierkrawall«…
- Erinnerungskultur? Was ist im kollektiven Gedächtnis geblieben…
Zeitzeugen schildern die Ereignisse der November-Revolution 1918 in Verden
Über 30 Jahre liegen meine Tonbandaufnahmen unbeachtet in der Schublade – die Gespräche mit den Zeitzeugen Emma Eggers, Karl Hatzky und Josef Heiland. Heute hören wir ihre Stimmen wieder. Einige ihrer Schilderungen werden, mit historischen Bildern und Tönen ähnlicher Geschehnisse, anschaulich in Szene gesetzt. »Grabe wo Du stehst« – diese Geschichte lebt von der Erinnerung an damals! Und sie soll verstanden werden – als Mahnung für morgen und übermorgen!
Ein revolutionärer Aufstand von Marinesoldaten-Soldaten…
Befehlsverweigerung, Meuterei, Gefangenenbefreiung – Marine-Soldaten und Arbeiter in Kiel und Wilhelmshaven erzwingen das Ende des 1. Weltkrieges.
Im Oktober 1918 verweigern sich Heizer und Matrosen dem Befehl von Kaiser und OHL, Kohlen an Bord zu nehmen. Sie löschten das Feuer in den Kesseln und verhindern damit das Auslaufen ihrer Kriegsschiffe zu einem letzten, sinnlosen Gefecht. Spontan wird der Funken dieser Emotion zur mutigen Befehlsverweigerung – und entwickelt sich weiter zu einer übergreifenden, revolutionären Massenbewegung. Die Stadt Kiel befindet sich am Montagabend, den 4. November 1918, in der Hand von etwa 40.000 revoltierenden Matrosen, Soldaten und Arbeitern.
Der 1. Weltkrieg ist für das Deutsche Reich zwar längst verloren – aber noch nicht endgültig vorbei: Das Land befindet sich in Aufruhr. Verwundete kehren heim, Frontsoldaten desertieren, der Kaiser dankt ab – schwierige Friedensverhandlungen mit der Entente kündigen sich an. Die Weimarer Republik nimmt Gestalt an und soll durch die Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 demokratisch vollzogen werden. Über Nacht fällt den zahlreichen Arbeiter- und Soldatenräten die gesamte politische Verantwortung in den Schoss. Für einen kurzen Moment scheint alles möglich zu sein: die Revolution des Proletariats, wie 1917 zuvor in Russland, ebenso wie eine Diktatur des Militärs. In Berlin formt sich unterdessen der Rat der Volksbeauftragten – bestehend aus Vertretern von USPD und MSPD. Das Komitee aus hochrangigen Vertretern von MSPD und USPD versucht, Arbeiter, Soldaten und Bürgertum in eine demokratische Staatsform zu überführen. Es herrscht Umbruch und Chaos – das erleben wir auch hier in unserer norddeutschen Provinz.
»Die Zeit der sieggewohnten Ruhe ist dahin. (...) Was bedeutet es, wenn der Feind sein Ziel erreicht? Zerstückelung des Reiches, die Verwandlung Westdeutschlands in ein Trichterfeld, Entrechtung der Bauern und aller Besitzenden, Verkümmerung des Handels und Gewerbes, Verschuldung der Beamten, Verelendung des Arbeiters und schließlich als Gipfel des Grauens – die Revolution! Das mache auch Du Dir klar, Einwohner Verdens! (Leserbrief an das Verdener Anzeigenblatt)
Die Redaktion des Verdener Anzeigenblattes platziert im Oktober 1918 diesen anonymen Leserbrief, der vor einem politischen Chaos, nach dem zu erwartenden Kriegsende, warnt: Umsturz und politische Morde – wie in Russland? Vielleicht Not und Armut durch den amerikanischen Friedensplan (Präsident W. Wilson) oder den kompletten Ruin durch Reparationsforderungen der siegreichen Entente…
Die Revolution kommt nach Verden!
Marine-Soldaten, Krawall und rote Fahnen auf dem Bahnhof…
Im Verdener Postamt, direkt gelegen am Bahnhof, tickern die neuesten Meldungen über das Vorrücken der Kieler Marine-Soldaten über den Telegrafen. Die Revolutionäre besetzen Züge und wollen einfach nur zurück nach Hause – diese Bewegung schwappt unkontrolliert ins Reichsgebiet. Am Donnerstag, 7. November 1918, reagiert die Garnisonsleitung in Verden: Nachmittags werden berittene Soldaten zur Kontrolle der Bahnstrecke losgeschickt. »Man ist hochgradig kampfbereit und geht mit schweren Geschützen hinter dem »Grünen Jäger« in Stellung,« erinnert sich Landrat Dr. Seifert später. Von dort will man den Zug mit den Marine-Soldaten unter Feuer nehmen und damit einen Befehl vom Kommandeur der Artillerieabteilung v. Sichardt ausführen. Doch das Risiko erscheint dem Befehlshaber letztlich zu hoch – und man zieht wieder ab… Der Tag vergeht, nichts passiert. Aber die Gerüchteküche brodelt weiter. Am Freitag, 8. November 1918, ist es nun sicher: die Kieler Truppentransporte werden den Bahnhof in Verden passieren! Der Telegrafen-Bedienstete Adolf Wittig stellt diese Neuigkeit dem Verdener Gewerkschaftsfunktionär und Parteigenossen Carl Fritz Hatzky (*11.11.1889 – †04.11.1962) durch, als er vom Zeitpunkt der Durchfahrt erfährt. Das ist zwar Geheimnisverrat und würde hoch bestraft werden, aber Wittigs Informationen verbreiten sich in Windeseile.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich das Gerücht, dass die Revolution nun auch nach Verden kommen werde.
Am Freitag, 8. November 1918, abends gegen 21.30 Uhr, fährt der Zug aus Kiel in den Verdener Bahnhof ein – voll besetzt mit revolutionären Truppen. Diese Fahrt sollte ohne Aufenthalt direkt nach Hannover führen! Doch ein Sabotageakt Verdener Depotarbeitern verhindert die reibungslose Durchfahrt: eine »versagende Weiche« zwingt den Soldatentransport zum abrupten Stopp im Bereich des Bahnhofs.
Die Gleisanlagen sind manipuliert worden, um den durchfahrenden Zug zu blockieren? Wem ist das zuzutrauen? Niemand bekennt sich später zu dieser Tat – spätere Zeitungsberichte denunzieren Depotarbeiter der Garnison. Die Saboteure haben ihr Ziel erreich: die Revolution ist in Verden gelandet!
Die allgemeine Situation im Bereich des Bahnhofs ist in diesen Stunden völlig chaotisch – ja, sie verschärft sich noch weiter. Und das aus gutem Grund: die Kieler Soldaten in den überfüllten Abteilen befürchten einen Angriff der Verdener Garnison.
Die Matrosen wurden »erregt, weil sie vermuteten, dass sie hier zurückgehalten werden sollten«. Sie bemächtigten sich der Maschine und verlangten vom Personal, dass der Zug weiterfahren sollte. Allerdings ließ sich die defekte Weiche nicht reparieren.
Die Marine Soldaten aus Kiel und Wilhelmshaven schwärmen in die Dunkelheit aus, besetzen komplett den Verdener Bahnhof und das umliegende Gelände, zudem auch die Holzmarktkaserne in unmittelbarer Nähe. Das alarmierte Wachkommando der Garnison »ist den Matrosen gegenüber machtlos«, streckt die Waffen nieder und läuft zu den Revolutionären über.
»Kiek mol, der olle Hatzky geiht mit de Matrosen.«
Im allgemeinen Durcheinander gelingt es dem Tabakarbeiter Carl Fritz Hatzky, auch langjähriger Vorsitzende der Verdener Sozialdemokraten, bis zum Befehlshaber der Marine-Soldaten vorzudringen und geschickt zu verhandeln. Hatzky ist ein großgewachsener Mann, 53 Jahre alt und seit Jahren als sozialdemokratischer Funktionär in der Tabakarbeiter-Gewerkschaft aktiv. Dank seiner Autorität bekommt er die brenzlige Lage in den Griff, wie sein Enkel Karl Hatzky aus den Erzählungen seines Grossvaters zu berichten weiss:
Zunächst wird in Berlin die »große« Geschichte geschrieben: Philipp Scheidemann (MSPD) nimmt die Abdankung des Kaisers vorweg und ruft die soziale Republik aus. Nur Stunden später verkündet Karl Liebknecht die sozialistische Republik. Ein sechsköpfiger »Rat der Volksbeauftragten« erfüllt in Berlin die Funktion einer »Übergangs-Regierung« mit dem Bestreben nach Einhaltung von Ruhe und Ordnung. Und tatsächlich: die militärische Kaisergewalt, deutschnationale, konservative und liberale Kräfte sind entmachtet und wie gelähmt. Sie haben der reichsweiten Demokratiebewegung in den ersten Tagen absolut nichts entgegen zu stellen!
Am Sonntagnachmittag, 10. November 1918, halten sozialdemokratische und spartakistische Arbeiter im Lokal »Zum Schwarzen Bären« eine eiligst angesetzte gemeinsame Versammlung ab. Unter enormen Zeitdruck – man rechnet stündlich mit der Ankunft zweier Lastwagen einer Delegation von Bremer Soldaten und Räten. Das Ergebnis dieser Versammlung ist die Wahl des Verdener Arbeiterrates, ohne die Einmischung radikalerer Kräfte von aussen!
Die sanfte Revolte der Verdener Tabakarbeiter!
Die gewählten Mitglieder des Arbeiterrates der Stadt Verden sind organisierte, mehrheitssozialdemokratische Zigarrenmacher. Man bleibt unter sich, will Ruhe, Ordnung und Sicherheit bewahren – anstatt die »Ketten abzuwerfen«!
Carl Fritz Hatzky (erster Vorsitzender), Philipp Hülsbergen (zweiter Vorsitzender), Rudolf Wehrum, Georg Lieberknecht (Schriftleiter), Wilhelm Stumpe, Franz Timner und Ferdinand Neumann.
Die Vertreter des Soldatenrates in Verden bekleiden keine hohen militärischen Ränge: Hoffert (1. Vorsitzender), Zelmanowitz (Kanonier), Gressler (Kanonier), Bungalski (Gefreiter), Boldt (Kanonier), Gehm (Vizewachtweister), Moritz (Kanonier), Jacobs (Kanonier), Schulz (Sergeant), Hoyer (Kanonier), Dietsch (Sergeant), Schröder (Gefreiter), Bengsch (Kanonier), Wulf (Sergeant), Bauer (Unteroffizier)
Soldaten und Arbeiter haben durch die Wahl ihrer Räte die neue politische Ordnung fixiert. Unter gemeinsamer Regie werden sich die Einhaltung von Ruhe und Ordnung sowie die Amnestie politisch Inhaftierter als vorrangige Ziele in den ersten Tagen der Revolution erweisen, wie das 12-Punkte-Aktionsprogramm formuliert:
- Die militärische Gewalt in Verden wird jetzt zur Vermeidung von Blutvergießen durch den Vollzugsausschuss des Soldatenrates: Vizewachtmeister E. Hoffert, Kanonier Zelmanowitz, Kanonier Hoyer ausgeführt.
- Die Waffen und Munition werden von einer Kommission gemeinschaftlich in Verwahrung genommen: Vizewachtmeister Hoffert, Vizewachtmeister Gehm, Gefreiter Bungalski.
- Die militärisch und politischen Gefangenen sind zu entlassen.
- Die Verpflegung und Verproviantisierung obliegt dem Soldatenrat und dem technischen Beirat.
- Der Soldatenrat verpflichtet sich, für Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu sorgen.
- Die Mitglieder des Soldatenrates tragen am linken Oberarm eine, mit dem Stempel des Garnison-Kommandos versehene, weiße Binde.
- Die Offiziere behalten Degen und Achselstücke, Schusswaffen sind abzugeben.
- Plünderungen werden standrechtlich abgeurteilt.
- Als Offiziere vom Ortsdienst werden Unteroffiziere mit Portepee befohlen.
- Vorgesetzte im Dienst sind als solche zu beachten.
- Den Anordnungen des Soldatenrates ist auch von Zivilpersonen Folge zu leisten.
- Der öffentliche Verkehr, einschließlich Post und Telegrafie, wird aufrecht erhalten.
(aus: Verdener Anzeigenblatt, 12. November 1918):
»Hier wird kein Krawall gemacht! Geht nach Hause ...«
Unterdessen trifft die erwartete Bremer Delegation unter dem Kommando von Hans Domin am Sonntag, den 10. November 1918 gegen 23.00 Uhr ein. Zwei Lastwagen, besetzt mit 52 bewaffneten Arbeitern und Soldaten wollen den Verdenern bei der Machtübernahme »tatkräftig und hilfreich« zur Seite stehen. Bremer Matrosen scheinen besonders »hitzköpfig« zu sein. Aber diese Art von politischer Unerstützung ist bei den Verantwortlichen in Verden nicht erwünscht. In Bremen ist es dabei schließich zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. In Verden bleibt alles durch Hatzkys Verhandlungsgeschick ruhig und weitgehend geordnet. Die Bremer ziehen noch in der Nacht unverrichteter Dinge wieder ab. Sie kommen aber am nächsten Tag wieder nach Verden zurück.
Der Krieg ist aus! Revolutionäre aus Bremen bewachen das Rathaus in Verden…
Auf dem Weg zu seinem normalen Dienst wird Landrat Seifert am morgen des 11. November von zwei bewaffneten Posten aufgehalten.
»Es waren blutjunge Leute, die ganz elend und durchgefroren aussahen. Sie wären seit sechs Wochen Soldat und könnten kaum mit ihrem geladenen Gewehr umgehen. Ich ließ den armen Teufeln heißen Kaffee bringen. Die Unglücksmenschen standen noch den ganzen Vormittag, (…) bis einer zusammensank«, so der Landrat.
Nach einem Telefonat mit dem Soldatenrat wird der erschöpfte Soldat abgelöst – nach mehr als 16 Stunden! Man hatte ihn schlicht vergessen… Auch vor der Holzmarktkaserne steht ein bewaffneter Matrose am Tor auf Patrouille. Rote Armbinde, das Gewehr mit dem Lauf nach unten gehängt. Oben im vorderen Kasernenblock ist es an diesem Abend unruhiger als sonst…
In der Nacht patroullieren Bremer Marine-Soldaten in der Stadt. Es gibt keine nennenswerten Zwischenfälle…
Was die Verdener Bevölkerung nicht ahnen kann: Hatzky und seine Kollegen vom Arbeiter- und Soldatenrat haben – gleich zu Beginn der allgemeinen Unruhen – geheime Verhandlungen mit Vertretern des Garnisonskommandos und des Magistrats geführt. Man einigt sich auf einen politischen Kompromiss: Ruhe bewahren, Waffengewalt vermeiden, Truppen geordnet zurückführen, Lebensmittelversorgung verbessern – bis zur reichsweiten Nationalwahl! Hatzky bittet den Verdener Landrat Seifert im Amt zu bleiben, um die öffentliche Ordnung nicht zu gefährden. Hatzky liest ihm persönlich zugestellte amtliche Dokumente aus Berlin vor. Diese Unterredung erfolgt in großer Ruhe, die Seifert später mit dem Umstand erklärt, dass sich beide Männer schon von früheren Begegnungen gut kennen und sich offensichtlich respektieren. Und tatsächlich – die getroffenen Absprachen werden eingehalten. Allein wohl aus diesem Grund kommt es bei der »Machtübernahme« durch Verdener Arbeiter und Teile der Garnison nicht zu gewalttätigen oder gar blutigen Auseinandersetzungen.
Keinen Kaiser, keinen Krieg und keinen Krawall: die große Kundgebung vor dem Rathaus
Nachmittags soll im Hotel Höltje eine bereits schon länger angekündigte Volksversammlung stattfinden. Doch ist diese Veranstaltung inzwischen von den ganz großen Ereignissen überholt worden: die Flucht des Kaisers, das Kriegsende und die Auswirkungen der Revolution stehen nun im Mittelpunkt des Interesses der Menschen. Der große Saal kann nicht alle Besucher unterbringen. Kurzentschlossen marschiert die Versammlung vor das Verdener Rathaus. Dort entwickelt sich eine friedliche Großkundgebung. »Ein Meer von Köpfen, Fahnen, Musik und Gesang. Die meisten lachten und freuten sich, als ging's zu einem Fest. Die Revolution in Verden ist vorübergegangen, wie eine erregte Versammlung« erinnert sich Karl Hatzky an die Erzählungen seines Großvaters.
Der Arbeitergesangverein intonierte ein nordisches Freiheitslied und die jubelnde Menge fand nebenher auch Zeit für kleine Späße…
Der Bremer Gewerkschaftssekretär Winkelmann (MSPD) hält auf den Stufen des Verdener Rathauses eine programmatische Rede: »Wir leben in einer weltbewegten Zeit. (...) Das Volk hat den unerträglichen Zustand und die schlechte Ernährung nicht mehr ansehen können. Das Volk wollte nicht mehr Objekt, sondern Subjekt werden und will durch Gegendruck dem Drangsal ein Ende machen. (...) Deshalb haben auch die Soldaten gesagt: Wir machen nicht mehr mit. (»Bravo!« aus der Menge) (...) Welch geschichtliche Bedeutung.«
Aus dem Fenster des obersten Stockwerkes des Rathauses weht die rote Fahne der Revolution
Winkelmann weiter: »… und so vollziehen und überstürzen sich die Ereignisse. Zu begrüßen ist die Verbrüderung der beiden Richtungen der Sozialdemokratie. Wir werden ein einheitliches Ziel aufstellen und die sofortige Herbeiführung des Friedens, die Demokratisierung des Heeres und des Staates, des Reiches und der Gemeinden und die Ausgestaltung der sozialen Gesetzgebung ins Werk setzen. Wir fordern die Festlegung des achtstündigen Arbeitstages, freies Wahlrecht für Männer und Frauen (...) Ordnung und Ruhe muss herrschen. Mit einem Hoch auf die Sozialdemokratie schloss die Versammlung.» (Verdener Anzeigenblatt, 11. November 1918)
Ohne Widerstand wurden Postamt, Bahnhof, Rathaus besetzt und Inhaftierte aus dem Gefängnis befreit.
Die große Menschenmenge strömt nun weiter auf das Kasernengelände am Holzmarkt. An vielen Häusern weht über den Dächern das rote Banner der Revolution. Gemeinsam marschiert man mit Soldaten unter Waffen und roten Fahnen durch die Straßen. Alle wichtigen Institutionen der Stadt werden von der Menge demnach regelrecht »erobert«. Eine »wilde« Abordnung von Verdener Sozialdemokraten und Bremer Soldaten verschafft sich Einlass in diverse Gebäude, die Menge verharrt draußen und wartet ab. Nach kurzer Zeit hängt man aus irgendeinem Fenster die rote Fahne heraus – und die Wartenden jubeln.
In seiner weiteren Ansprache auf dem Holzmarktgelände ermahnt Carl Fritz Hatzky Soldaten und Bevölkerung gleichermaßen zur Einhaltung von Ruhe und Ordnung. Er unterstreicht nachdrücklich die Position der MSPD und fordert alle Anwesenden auf, mit Beginn der neuen Woche wieder der regulären Arbeit nachzugehen. Die Führungsposition von Hatzky innerhalb der Verdener Arbeiterschaft ist nicht unumstritten. Sein Streben nach Ausgleich und Kompromissen liegt zwar ganz auf Linie der großen Politik von Ebert und Co., aber es trifft bei einigen radikaleren Vertretern aus der Arbeiterschaft auf Widerspruch. Vornehmlich sind es Depotarbeiter und Maurer, welche von der »spartakistischen Bremer Presse literarisch gespeist wurden«. Sie fordern gesellschaftliche Veränderungen, eine »Abrechnung« mit den bisherigen Machthabern, »man wollte in den radikalen Kreisen die alten verdienten Beamten von Amt und Würden jagen und durch neue, vollständig ungebildete Kräfte ersetzen«. (Verdener Anzeigenblatt)
»Wer den Landrat kennt, der gehört schon zum Establishment…
Arbeiterrat Hatzky und Hülsberger führen Verhandlungen in den Amtsstuben des Rathauses. Sie statten »in energischer Weise eine Visite als Vertreter der neuen Regierung« ab und bitten sämtliche Beamte, in ihren Positionen zu bleiben – eine devote, wenig revolutionäre Haltung, die noch für großen Unmut in Kreisen der Verdener Arbeiterschaft sorgen wird…
Eine geheime Zuschrift des Verdener Landrates Seifert an den Regierungspräsidenten in Stade vom 14. November 1918 offenbart die Taktik des bürgerlich-konservativen Lagers. »Gestern kamen zwei Vertreter zu mir, um mit mir die aus der Umwälzung sich ergebende Änderung in den einschlägigen Verhältnissen zu besprechen. Auf die an mich gerichtete Frage, ob ich bereit sei, mich dem Arbeiter und Soldatenrat unterzuordnen und die Geschäfte weiterzuführen, habe ich bejahend geantwortet.(...) Der Geschäftsbetrieb des Landratsamtes wird dabei mit Zustimmung des Arbeiter und Soldatenrates in der bisherigen Weise fortgesetzt. Da an der Spitze des Arbeiter und Soldatenrates verständige Männer stehen, so hoffe ich, dass Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten und unliebsame Reibereien vermieden werden.« (Stadtarchiv, L XII 2,6 a)
Am Montag, dem 18. November 1918 wird für das gesamte Deutsche Reich der achtstündige Arbeitstag proklamiert. Neben Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen ist diese Maßnahme vor allem durch den angestrebten »Energiespareffekt« gekennzeichnet. Durch »Verkürzung von Frühstücks- und Mittagspausen und dem Fortfall der Vesperpausen« sollte »möglichst viel an Licht und Heizung gespart werden«, denn die Versorgungslage im Bereich der Energie und Nahrungsmittel ist katastrophal und hat sich seit Kriegsende sogar noch weiter verschlimmert.
Premiere für die »Dolchstoßlegende«
Verdens politisch einflussreiche, bürgerlichen Kreise sind zunächst überwältigt von den Vorkommnissen und verhalten sich abwartend. Doch »das Bürgertum rührt sich!«, so der Aufruf im Verdener Kreisblatt vom 15. November 1918. Insgesamt 37 Bürger aus Verden der »verschiedensten Parteirichtungen«, wie z.B. die Deutsch Hannover Partei, Deutsch Demokr. Partei, Deutsche Volkspartei, Deutschnat. Volkspartei, Zentrum, rufen namentlich dazu auf, über »das neue Deutschland und die Stellung des Bürgertums« im Bruerschen Saal zu debattieren. Hauptredner Justizrat Dr. Otto Müller geht in seiner patriotischen Rede auf die grandiosen Leistungen des deutschen Volkes während des Weltkrieges ein und beschuldige die militärischen Verbündeten und Teile des Volkes der »Feigheit vor dem Feinde«. Müller polemisiert aufs Schärfste gegen die Führer der Sozialdemokratie. Seine Hauptforderung: die Einsetzung von Bürgerwehr und Bürgerrat, um Besitz und Rechte des Bürgertums zu schützen!
»Nationalistisch-bürgerliche Kräfte haben sich binnen einer Woche, nach sozialdemokratischer Machtübernahme, gemeinsam (re)organisiert und finden starken Anklang bei den »Bürgern der Stadt.« (Verdener Anzeigenbaltt)
Das Bürgertum rührt sich…
Im Anschluss an diese Versammlung gründet sich der Verdener Bürgerausschuss. Vorsitzender Rechtsanwalt Firnhaber fordert die »alsbaldige Einberufung der Nationalversammlung«. Der Bürgerausschuss ordnet sich dem Arbeiter und Soldatenrat unter, akzeptiert somit die gegenwärtige Machtverteilung, beansprucht aber »Sitz und Stimme« bei anstehenden politischen Entscheidungen.
Unter den Anwesenden der Kundgebung ist auch eine Abordnung des Verdener Arbeiterates. In Erwartung der Ausführungen Müllers zur Lage in Verden, haben sie eine Gegenerklärung parat: Rudolf Wehrum ergreift vehement das Wort. Er macht die bürgerlichen Parteien für die innen- und außenpolitische Situation gegen Ende des Krieges verantwortlich: »Sie haben das Wettrüsten begünstigt und alle Rechte der Arbeiterschaft unterdrückt.«
»Der Arbeiter und Soldatenrat hat bis jetzt für Ruhe und Ordnung gesorgt und wird es weiter tun. Wir verfechten die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. (...) Wir brauchen keinen Bürgerrat; wohl aber wird ein juristischer Rat, wenn nötig, gern angenommen werden.« (Rudolf Wehrum, Verdener Anzeigenblatt, 29. November 1918)
»Raus aus dem Sklaventum…«
Die erste ordentliche Vollsitzung des Verdener Arbeiterrates vom 30. November 1918 markiert einen ersten Wendepunkt in seiner politischen Arbeit: Hatten die Verdener Räte anfangs hauptsächlich noch mit organisatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen, schlagen sie nun mit der Besetzung verschiedener städtischer Kommissionen den Weg einer geordneten, umfassenden Verwaltungsarbeit ein. »Auch in Verden wollten die MSPDler Nägel mit Köpfen machen«, erinnert sich ein Zeitzeuge.
Das neue Selbstverständnis dokumentiert sich an der Bereitschaft, auch viele kommunale Problembereichen politisch zu kontrollieren und Einfluss zu nehmen. Leider vergibt die MSPD-Führung mit der Einsetzung ihrer Vertreter die Chance, sozialistisch-kommunistische Kreise an der gesellschaftlichen Verantwortung teilhaben zu lassen. Konflikte und Spannungen zwischen den Räten und den Bürgerlichen, sondern auch innerhalb der Arbeiterschaft sind damit künftig quasi vorprogrammiert.
- Die Ausschüsse und ihre Mitglieder:
- Finanzkommission: Otten, Wehrum
- Gaskommission: Hille, Neumann
- Einquartierungskommission: Heyer, Töllner
- Armenkommission: Moorhof, Köster
- Gewerbeschule: Zehl, Stumpe
- Schlachthofkommission: Homeyer, Walsemann
- Schuldeputation: Schlüter, Lieberknecht
- Baupolizei: Schütt, Heyer
- Baukommission: v. Lieven, Winkel
- Landkommission: Wedekamp, Vieregge sen.
- Feuerlöschkommission: Römer, Jensen
- Wasserwerkskommission: Carl, Walsemann
- Krankenhauskommission: Güntheroth sen., Homeyer
- Aufforstungskommission: Otten, Immermann
- Marktpreiskommission: Wehrum, Imken
- Einigungsamt: Schütze, Carl (Verdener Anzeigenblatt, 3. Dezember 1918)
In weiteren Beratungen diskutiert man die knappe Kapazität des Verdener Gaswerkes – bis Monatsmitte drohen die Kohlenvorräte aufgebraucht zu sein. Schnelle Hilfe soll die Enteignung privat lagernder Kohlen bringen, um eine Versorgung für die Allgemeinheit länger sicherzustellen.
Nach außen hin festigen der Räte ihre Position und stocken personell weiter auf. Am 4. Dezember kommen sechs neue Mitglieder hinzu. Es sind je drei Vertreter des Bauernrates: Landwirte Johann Meyer, Dietrich Haase, Heinrich Rathjen und die Handwerker und Arbeiter Heinrich Hillmann, Lambert und Karl Werth.
In ihrer Vollsitzung vom 10. Dezember debattieren die Delegierten über finanzielle Aufwendungen des Arbeiter und Soldatenrates. Es gibt Anschuldigungen über hohe Zahlungen an einzelne Mitglieder, dass lässt Zweifel an der Integrität des gesamten Ausschusses aufkommen. Doch werden diese Gerüchte in einer Aussprache brüsk zurückgewiesen, »die Mitglieder würden ihre Tätigkeit unentgeltlich ableisten«, heißt es. Lediglich Lohnausfallzahlungen in Höhe von einer Mark pro Stunde seien an einzelne gezahlt worden. Rudolf Wehrum weiter: »Wir haben die Kopfarbeiter gegen uns, ebenso den Kapitalismus und den Großgrundbesitz. Wir müssen uns Arbeiter nennen, weil wir in der Wahl unserer Eltern nicht vorsichtig genug waren. Unsere Eltern waren arme Leute; wir haben uns aber Mühe gegeben, ins öffentliche Leben einzutreten. Die einzige rettende Partei ist die Sozialdemokratie; wir wollen aus dem Sklaventum heraus. (»Bravo!« »Sehr richtig!«) (...)
Dennoch wird die Gründung eines Vollzugsrates beschlossen, der künftig über die Ausgaben des Aktionsausschusses volle Kontrolle haben wird. Arbeiterrat Carl Fritz Hatzky und Philipp Hülsbergen weisen dem Ausschuss später eigene Auslagen in Höhe von 970 bzw. 885 Mark nach. Insgesamt belaufen sich die Aufwendungen zwischen dem 9. November 1918 und 28. Februar 1919 auf insgesamt 2.692,25 Mark. Darunter fallen z.B. auch die Kosten für den Musikzug vom 10. November 1918 (49 Mark), Druckkosten der Druckerei Söhl (99,45 Mark), die die roten Plakate an den Rat geliefert haben oder auch Honorare für die zahlreichen Gastredner.
»Man möchte glauben, die Beteiligten hätten den Verstand verloren…«
Gesprächsstoff liefern auch zahlreiche Diebstähle an der Verladerampe des Bahnhofs. Verdener Depotarbeiter aus der Garnison wurden der Räuberei beim Verladen auf dem Kleinbahngelände bezichtigt. Kisten mit Schuhzeug und Kognak sollen gestohlen worden sein. Eine Arbeiterin konnte von »Sicherheitskräften«, die unter dem Befehl von Oberleutnant Fischer wohl eigenmächtig agieren, auf »frischer Tat ertappt« werden. Sie wird mitsamt Komplizen sofort verhaftet! Das sei »Landesverrat«, so urteilen Verdens Räte über diese Art von Mundraub. Und man will auch ein Exempel statuieren: das Vergehen soll mit der Tode bestraft werden! Die betroffenen Depotarbeiter empfinden das als glatten Verrat an der Revolution und beklagen die »illegale und eigenmächtige Arbeit« der Sicherheitskräfte. Es kommt zu einer spontanen Demonstration gegen das Todesurteil der Angeklagten! Protestierend und lärmend erzwingen die Arbeiter einen »Volksauflauf vor der Holzmarktkaserne«. Der Aktionsausschuss lenkt ein – und die aufgebrachte Menschenmenge beruhigt sich, als die beschuldigte Frau freigelassen wird.
Der Arbeiterrat ist bemüht, die Revolutionsbewegung weiter in politisch ruhigeres Fahrwasser zu leiten. Doch dazu brauchen die MSPDler loyale Unterstützung durch die alte Bürokratie, Unternehmerschaft und Offizierskorps. Arbeiterrat und Garnisonskommando knüpfen heimlich weitere politische Kontakte. Damit verzichten die Räte schon frühzeitg – ohne Wissen ihrer Gefolgschaft – auf wesentliche Teile ihrer neuen politischen Möglichkeiten. Arbeiterrat Hatzky ist offensichtlich bereit, mit der militärischen Führung zusammenzuarbeiten.
Ein Indiz hierzu liefert die Zeitungsmeldung vom 4. Dezember 1918: In Verden ist die Bestrafung eines jungen Offiziers unterblieben, der die rote Fahne über der Holzmarktkaserne unerlaubt demontiert hatte. Sozialistische Kreise der Verdener Arbeiterschaft sind empört – Verrat an der Revolution! Der Vorfall löst kontroverse Diskussionen auf einer Sitzung des Arbeiter und Soldatenrates aus. Die MSPD Führungsriege bemäntelt die Tat als »unbedacht« und legt sie offiziell ad acta. Der betreffende Offizier kommt ungeschoren davon, doch rote Fahnen verschwinden weiter aus dem Straßenbild. Man hat sich arrangiert und beschließt endgültig, die roten Fahnen – als äußerlich sichtbares Zeichen der Revolution – endgültig aus dem Stadtbild zu verbannen.
Die Heimkehr der Frontsoldaten
Am Dienstag, dem 14. Januar, soll in den Straßen der Stadt ein großes Begrüßungsfest zu Ehren der heimkehrenden Soldaten stattfinden. Doch aus Furcht vor einer sich aus Bremen ausbreitenden Welle politischer Unruhen verschieben die Befehlshaber der Verdener Garnison zunächst die Feierlichkeiten. Doch holt das Garnisonskommando den »festlichen Einzug ihrer Truppen« schon einen Tag später, am 15. Januar, nach. Militärische Stärke und politische Macht sollen nachhaltig demonstriert werden. Unter dem Geläut der Kirchenglocken ziehen die Artilleristen in Kampfausrüstung vorbei an geschmückten Häusern durch die Straßen der Stadt.
Auf ausdrücklichen Wunsch des Garnisonskommandos marschieren Vertreter aller örtlichen Verbände und Vereine mit ihren traditionellen Vereinsfahnen an der Spitze des Festumzugs, um Einigkeit vorzugaukeln. Alle Einwohner der Stadt werden aufgefordert, »heimkehrenden Kriegern (...) Dankbarkeit und Anhänglichkeit an die Regimenter Ausdruck zu verleihen« und es durch »Schmücken der Häuser mit Girlanden« sichtbar zu zeigen. Hierzu haben die Räte speziell für die Empfangsfeier Tannengrün unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Während sich der Umzug noch an der Holzmarktkaserne formiert, wird »die Freude an den Einzugsfestlichkeiten durch ein unliebsames Ereignis getrübt«. Denn als die roten Fahnen des Verdener Tabakarbeitervereins und der SPD an der Ecke der Bahnhofstraße in die Spitze des Zuges eingereiht werden, preschen zwei berittene Soldaten der Verdener Garnison ohne Vorwarnung in die Menschenmenge, »entrissen den Trägern die Fahnen und warfen sie über die Gartenmauer des Ehlerschen Grundstücks.» Bei dieser rüden Attacke wird auch ein Demonstrant verletzt.
Die Teilnahme am Umzug wird von den Tabakarbeitern sofort abgebrochen. Es entwickelt sich ein Politikum: der Soldatenrat schaltet sich ein und beginnt den Hergang zu recherchieren. Tatsache sei gewesen, so ergeben die Ermittlungen, dass »die beiden Artilleristen auf Befehl des Hauptmanns Schoch von der 4. Batterie gehandelt hätten«. Der Beschuldigte Schoch wird einem Verhör unterzogen. Die Gegenerklärung Schochs, welche mit der Überschrift »Zur Aufklärung« im Verdener Anzeigenblatt vom 19. Januar 1919 veröffentlicht wird, beschreibt nähere Umstände seines umstrittenen Eingreifens. Der Offizier beruft sich dabei auf die geheime Absprache, welche im Dezember 1918 zwischen den Räten und der ansässigen Regimentsleitung zustande gekommen sei.
»Als ich als Führer der am Schluss marschierenden 2. Abteilung den Bahnkörper auf der Lindhooper Straße überschritten hatte, wurde an der Ecke des Ehler'schen Grundstückes eine rote Fahne emporgehoben, die mangels sämtlicher Abzeichen am Tuch und am Schaft nicht als Vereinsfahne angesehen werden konnte. Der Träger der Fahne war weder durch Schärpe noch sonstige Abzeichen als Vereinsvertreter erkennbar. Auch dessen Umgebung, die sich aus lose umherstehenden Männern in Zivil und Uniform, aus Frauen und Kindern zusammensetzte, ließ nicht auf die Vertretung eines Vereins schließen. Ebensowenig der Aufstellungsort, denn der Träger stand an der Mauer des Grundstücks und nicht am Fahrdamm, wo Vertreter von Vereinen zu stehen pflegen. Diese Umstände mussten mich daher zu der Überzeugung bringen, dass es sich um soeben von der Bahn gekommene Fremde, jedenfalls um Leute handelte, die von der Festleitung nicht zugelassen waren und die jetzt, nachdem der größere Teil des Regiments vorbei war, den Augenblick für günstig hielten, ihre zum Zwecke der Herausforderung mitgebrachte Fahne zu zeigen (...)« (Verdener Anzeigenblatt, 19. Januar 1919)
Schoch selbst habe den Träger mit seiner roten Fahne vor Ort nicht eindeutig zuordnen können und vermutet deshalb, dass es sich um radikale Bremer Arbeiter handeln könnte. Er habe das rigorose Eingreifen der berittenen Soldaten befohlen, »erst nachdem der Träger sich weigerte, die Fahne abzugeben«. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass für den geplanten Umzug die Kommandatur das Verbot der roten Fahnen ausgesetzt habe. Unabhängig von den weiteren Ermittlungen des Soldatenrates beschlossen die Verdener MSPDler eine Gegendemonstration durch die Stadt zu organisieren.
Eine »gewaltige Kundgebung«, ist die Antwort von Verdens MSPD auf die »Entwürdigung« ihrer Fahne. Etwa 2.000 Beteiligte sammeln sich auf dem Bahnhofsplatz und ziehen mit »flotter Marschmusik« und »roten Fahnen« durch die Straßen der Stadt.
Gastredner Jänisch, Gewerkschaftssekretär aus Bremen, gibt der Versammlung bekannt, dass Hauptmann Schoch aus dem militärischen Dienst entlassen worden sei und die weitere Verhandlung vor dem Zentralrat der Arbeiter und Soldatenräte in Hannover stattfinden wird. Damit ist der Zwischenfall für die Verdener Räte erledigt, bzw. die wird die Verantwortung an das Hannoveraner Gremium delegiert.
Wohin führt der Weg?
Terror, Unruhe, Verunsicherung…
Diese Vorkommnisse in Verden stehen in einem anderen Licht, wenn wir zeitgleiche überregionale Ereignisse mit in die Betrachtung einbeziehen. Im Umfeld von politischen Anschlägen und Schüssen auf Demonstranten im ganzen Reichsgebiet ist die Unsicherheit über den weiteren Weg nach der Revolution sehr groß. Anfang 1919 fordert die Volksverhetzung zwei prominente Opfer: Die Anführer der Spartakisten und Mitbegründer der Kommunistischen Partei, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, werden ebenfalls am Mittwoch, den 15. Januar 1919, von Soldaten der »weißen Garden« der Gardekavallerie Schützendivision in Berlin Tiergarten brutal verschleppt und Wochen später ermordet im Landwehrkanal aufgefunden.
Kurz vor der Wahl zur Nationalversammlung in Weimar kommt es deshalb im Reichsgebiet zu schweren und bewaffneten Unruhen. So auch in Bremen: große Teile der Arbeiterschaft bewaffnen sich. Das führt die Räterepublik nahe an einen Bürgerkrieg. Am 14. Januar 1919 besetzen Soldaten der bremischen Garnison wichtige Weser-Brücken, den Marktplatz und den Hauptbahnhof. Anschließend stoßen Marine-Soldaten zur AG Weser vor, deren Arbeiterschaft eine Hauptstütze der Kommunisten ist. Auf dem Gelände der Werft kommt es zwischen Soldaten und bewaffneten Arbeitern zu Schießereien mit vielen Toten und Verletzten, bevor die Soldaten zum Einlenken gebracht werden können. Sind das die regionalen Auswirkungen der Morde an Luxemburg und Liebknecht, der Testlauf einer bevorstehenden Konter-Revolution? Kurz vor der Wahl herrscht größte Verunsicherung!
»Schmeißt ihn raus, den Bolschewisten«
Am 16. Januar 1919 eröffnet USPD-Redner Kriebow aus Hamburg in der »vollbesetzten (!) Halle des Hotel Hötje« den Wahlkampf der Unabhängigen Sozialdemokraten mit einer programmatischen Rede. Wiederholt weist er auf politische Unterschiede zwischen Unabhängigen und Mehrheitssozialdemokraten hin. Gemeinsamkeiten zu den Spartakisten stellt er dagegen in den Vordergrund. Energisch fordert Kriebow einen Aufschub der Wahlen zur Nationalversammlung. Diese kommen »zu früh, denn das Volk sei in den kurzen Wochen seit der Revolution nicht genug aufgeklärt worden.«
Arbeitersekretär Jänisch (MSPD) aus Bremen versucht seinen Vorredner, unter dem stürmischen Beifall der anwesenden Verdener Mehrheitssozialdemokraten, zu korrigieren. Er bedauert die Spaltung der sozialistischen Parteien und schildert den Anwesenden »die geradezu haarsträubende Gewaltherrschaft des Bolschewismus und Spartakismus in Bremen, die die Gewalt an sich gerissen habe und die Diktatur in einem Maße ausübe, dass man sich seines Lebens nicht mehr sicher wäre. (Zahlreiche Zwischen- und Pfuirufe.) (...) Man wolle eine Volksherrschaft, aber keine Klassenherrschaft. (Tosender Beifall.)« Unter den Beschimpfungen der Versammlungs-Teilnehmer, wie »Schmeißt ihn raus! und Bolschewist« ergreift USPD-Kriebow nochmals das Wort, kann sich aber »unter kaum beschreiblichen Tumult« nicht durchsetzen.
Wer weiß, was geschehen wäre, wenn er nicht schleunigst über die Bühne reißaus genommen hätte…
Der »Unabhängige oder Spartakist« Meyer, ein Verdener Depotarbeiter, bemüht sich, die Wogen zu glätten. Doch die Stimmung eskaliert weiter. Es kommt zu handgreiflichen Ausschreitungen, wie das Lokalblatt berichtete:
»Da trat auf einmal Depotarbeiter Meyer auf und forderte die Anwesenden zur Besonnenheit und Ruhe auf. Er meinte, dass sie wohl Horden wären, und er rief sogar den Anwesenden zu, dass sie vaterlandslose Gesellen seien. Nun brach ein unbeschreiblicher Tumult los, Soldaten stürmten auf den Sprecher zu, und wer weiß, was geschehen wäre, wenn dieser nicht schleunigst über die Bühne reißaus genommen hätte.« (Verdener Anzeigenblatt, 18. Januar 1919)
Die Versammlung stürzt danach vollends ins Chaos. Unruhe und Zwischenrufe werden so laut, dass Kriebow seine Rede mit den Worten, »das sei ein Komödienspiel« abbrechen muss. »Kriebow erstickt mit seinem Schlusswort unter dem tosenden Lärm.« »Die Versammlung wollte nichts mehr hören; sie löste sich auf und wurde nur noch einmal auf einige Minuten still, als Jänisch auf die alte Sozialdemokratie ein donnernd' Hoch ausbrachte.« Damit sei bewiesen worden, dass Verden weder für unabhängige Sozialisten, noch für Bolschewisten und Spartakisten ein Feld ist«, behauptet der zuständige Redakteur des Verdener Anzeigenblattes. Der Bericht über diese Versammlung schildert uns eindrucksvoll, dass es durchaus alternative, linke – vielleicht auch radikale Positionen zur Linie der Mehrheitssozialdemokraten in Verden gegeben hat, welche versuchen, sich im Vorfeld der Wahlen zu profilieren.
Weniger chaotisch verläuft eine zweite Veranstaltung der USPD in Verden
»Ein zweites Gastspiel gaben die Bremer Unabhängigen Sozialdemokraten gestern abend in unserer Stadt. Der Dunkersche Saal war voll besetzt von Vertretern aller Parteien. Wurden die Unabhängigen gelegentlich ihres ersten Auftretens mit Schimpf und Schande davon gejagt, so musste gestern festgestellt werden, dass der unabhängige Weizen auch bereits in Verden zu reifen beginnt. Bis in die Reihen der sozialdemokratischen Bürgerschaftsfraktion hat man, allerdings vereinzelt, Fuß gefasst. Und sahen wir recht, dann kam der Beifalljubel, der dem unabhängigen Hauptredner entgegenschallte, vornehmlich aus den Reihen jugendlicher Elemente.«
Die älteren Mehrheitssozialisten nehmen das Referat mit eisigem Schweigen auf, ja sie begleiten die aus Bremen kommenden mehrheitssozialistischen Diskussionsredner, Oberlehrer Dr. Roßmann und Ludwig Weigand, mit demonstrativen Beifall.
Kennt Ihr die Gefahr von links?
Hört Ihr's, Ihr Verdener Arbeiter? Ihr habt sie doch gesehen, die Herolde des neuen Putsch-Gedankens!
Diese Veranstaltungen führen bei den MSPDlern noch kurz vor der Wahl zu Irritationen: »In letzter Stunde«, so formuliert es das Verdener Anzeigenblatt vom 21. Januar 1919, hatte die Sozialdemokratische Partei am Sonnabend kurzfristig eine Versammlung angesetzt. Hier werden alle Anwesenden ein letztes Mal auf eine gemeinsame Linie eingeschworen und »gemahnt«, ihre Stimmen bei der Wahl der Sozialdemokratischen Partei zu geben.
Der 19. Januar 1919, »Tag X« der Wahlen zur Nationalversammlung, ergibt folgendes Gesamtergebnis für Stadt und Kreis Verden: (Verdener Anzeigenblatt, 21. Januar 1919)
- Alpers (Deutsch Hannover Partei): 5.632 Stimmen
- Stolten (Mehrheitssozialisten): 4.802 Stimmen
- Böhmert (Deutsch Demokr. Partei): 1.842 Stimmen
- Witthoefft (Deutsche Volkspartei): 1.625 Stimmen
- Schöttler (Deutschnat. Volkspartei): 477 Stimmen
- Nölting (Zentrum): 207 Stimmen
- Henke (Unabhäng. Sozialisten): 42 Stimmen
Nach Angaben des Verdener Kreisblattes vom 1. Januar 1920 beträgt die Wahlbeteiligung 90%. Doch bringt die Wahl für das Deutsche Reich nicht die, von bürgerlich konservativen und mehrheitssozialdemokratischen Parteien erhoffte, innenpolitische Ruhe.
Die Revolution wird sterben?
Nach der Wahl zur Nationalversammlung Deutschland leiden die Menschen unter einer enormen wirtschaftlichen Belastung. Die Rückführung und Eingliederung von Millionen von Frontsoldaten und Kriegsverletzten erscheint als kaum lösbares Problem. Viele Einwohner von Verden und den umliegenden Dörfern müssen Einquartierungs-Befehlen widerspruchslos Folge leisten. Und die Ernährungslage verschlechtert sich immer mehr…
Viele Einwohner fürchten sich vor »ansteckenden Krankheiten«, die die Heimkehrer einschleppen können. Solche Ängste versucht das Verdener Anzeigenblatt durch aufklärende Artikel zu zerstreuen. Unter Strafandrohung werden Hausbesitzer und Mieter gezwungen, die Ex-Soldaten in ihren Wohnungen vorübergehend einzuquartieren.
Seit Ende des Krieges rollt die große Demobilmachung. »Hunderte von Eisenbahnen mit Geschützen aller Kaliber, enorme Munitionsmengen, Waffen und Kampfgerät« werden am Verdener Bahnhof umgeschlagen und in den Depots der Garnison – einem Geheimplan folgend – eingelagert. Das Waffenarsenal wird bald dazu dienen, die Bremer Räterepublik zu stürzen…
Sturm auf Bremen!
Noch bis weit vor die Verdener Stadtgrenzen stauen sich »etliche Sonderzüge mit Fahrzeugen und Geschützen auf den Schienen«. Solch gewaltige Mengen von Kriegsmaterial, die über Verden verfrachtet werden, können von den Arbeitern des Artillerie Depots nicht mehr allein bewältigt werden. Den Depotarbeitern und -arbeiterinnen werden Schüler der höheren Schulen als Hilfskräfte zur Seite gestellt, einige melden sich auch freiwillig. Dennoch: Die Militärbehörde sucht viele Arbeitskräfte, welche sich »bei guter Bezahlung« sofort melden können. Die Bedrohung aus dem nahen Verden ist in der Räterepublik Bremen kaum virulent. Der dortige Arbeiterrat weigert sich auch nach der Wahl und trotz aller innenpolitischer Schwierigkeiten, sich der Reichsregierung unterzuordnen. Und so ist der drohende Militär-Einmarsch in Bremen kaum noch zu verhindern…
Noch in der Nacht zum 30. Januar 1919 ziehen sich dem Oberbefehlshaber Noske (Berlin) unterstehende Truppen der Division Gerstenberg in Verden zusammen. Freiwillige vor Ort strömen hinzu. Bremer kommen per Schlittschuh über die zugefrorenen Gewässer bis nach Verden. Sogar eine Fliegerstaffel leistet mit ihren Aufklärungsflügen wichtige Dienste bei den Befehlshabern.
Die Freikorps Verbände bestehen aus der Marine Brigade, einer Abteilung der Garde Kavallerie Schützen-Division und der Landes Schützen-Brigade. Komplettiert werden die Verbände durch massiv angeworbene Freiwillige vor Ort. Mit Zeitungsinseraten sollen »alte Soldaten der 26er, 74er, 78er und 91er« reaktiviert und für »Ruhe und Ordnung« und zum Schutz der Regierung eingesetzt werden. Als Anreiz für die Soldaten gibt es eine »mobile Löhnung« in Höhe von fünf Mark täglich.
In diesen Tagen gleicht die Stadt Verden einem riesigen Heerlager: Zug um Zug treffen die Freikorps-Truppen mit ihrem umfangreichen Kriegsmaterial ein – 15.000 Soldaten warten auf den Einsatzbefehl gegen Bremen. Das Ausmaß gewinnt eine noch bedrohlichere Dimension, wenn man die Einwohnerzahl der Stadt Verden als Vergleich nimmt: die Stadt zählt im Jahre 1919 ca. 10.000 Einwohner in 2.500 Haushaltungen! Gerstenberg und seine Berater haben ihr Hauptquartier in den Gebäuden der alten Mittelschule aufgeschlagen. Auch die »Orte Achim bis Langwedel waren infolge der vielen Militär-Quartiersuchenden überfüllt.« Der Gerstenberg Division »strömten die Freiwilligen in hellen Scharen zu«, weiß das Verdener Anzeigenblatt, zu berichten, »bei einer Abteilung der Division hatten sich bis heute vormittag bereits 150 gemeldet.«
»Alles hetzte, Zusammenrottungen entstanden, die Kasernen waren voll mit Soldaten…«
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Verden im Zeichen der Konterrevolution
Schon lange ist die Verdener Polizeiverwaltung über Waffenschmuggel und Schiebereien informiert. Man sucht nach illegalen Waffen und Munition, die »bei späteren Unruhen im Inneren Verwendung finden« können. Spartakistische Arbeiter, so Gerüchte, würden überall im Umland Unfrieden stiften. »Stadtflucht und jeder ist bewaffnet.«
Ein Zeuge dieser Umstände schildert: »Zuzug aufrührerischer Elemente aus Bremen steht zu erwarten. Die Behörden sind machtlos. Bewaffnet ist jeder. Auf das in Verden befindliche Militär ist nicht zu rechnen. »Zunehmend kommen Gerüchte in Umlauf, die von Gefechten zwischen Aussenposten der Bremer Spartakisten und Spähtrupps der Division Gerstenberg berichten. Und tatsächlich: seit dem 1. Februar wird scharf geschossen… Die reguläre Bahnverbindung Bremen – Hannover wird durch die Gerstenberger zerstört, die Telefonleitungen gekappt. Der Bahnkörper wird von Militärposten bewacht. Jeder Passagier wird auf Waffen und »Propagandamaterial« kontrolliert. Bremen ist komplett eingekesselt und isoliert…
An der Spitze der Militärs stehen Oberst Gerstenberg und Major Caspari aus Bremen. Gemeinsam mit den MSPD Vertretern Deichmann, Rhein, Wellmann, Winkelmann und Dammer, welche nach geglückter Machtübernahme die Regierungsgewalt übernehmen sollen, entwirft man das Szenario zum »Marsch auf Bremen«. Die Verhandlungen zwischen Gerstenberg und den Bremer USPD-Räten Ertinger, Henke, Bäumer, Jannack und Drettmann müssen scheitern…
Der provisorischen Bremer Regierung stehen die ehemaligen Senatoren Dr. Spitta, Dr. Apelt und Bömers beratend zur Seite. Zweimal am Tag trifft man sich im Verdener »Schwarzen Bären«. Das Ergebnis der Beratungen wird in einem sieben Punkte umfassenden Manifest niedergelegt. Zentrale Forderung der Militärs ist die vollständige Entwaffnung der Bremer Arbeiterschaft.
Am 2. Februar 1919 machen sich die Teilnehmer aus Bremen frustriert auf die Rückreise. Doch durch einen dummen Zufall müssen sie feststellen, dass während der Gesprächsrunden ihre politischen Gegner (MSPD-Schattenregierung) im Nebenzimmer anwesend waren und mithören konnten. Zufall oder Verrat – ausgerechnet im »Schwarzen Bären«, dem Stammlokal der Verdener Tabakarbeiter?! Es ist davon auszugehen, dass die Verdener Räte um Hatzky und Co. sicherlich eingeweiht gewesen sind…
Die Verhandlungen sind gescheitert – westlich der Weser erfolgt der Hauptangriff…
Am eisigkalten Morgen des 3. Februar 1919 rückt die Division Gerstenberg auf Bremen vor. »Die Truppen setzen sich auf den Aufmarschstraßen nach Bremen in Bewegung«. »Seit heute früh setzte der Angriff mit allen Mitteln der modernen Kriegsführung ein«, so das Verdener Anzeigenblatt. »Aus der Ferne hört man den dumpfen Donner schwerer Geschütze…« Noch immer rollen sechs Eisenbahnzüge täglich nach Verden, stellen den Nachschub an Mensch und Material sicher.
»Der Aufmarsch erfolgte in den Landesgebieten südlich und östlich von Bremen. Die 3. Landesschützen Brigade wurde auf dem westlichen Weserufer zwischen Intschede-Kirchweyhe-Syke und Schwarme stationiert. Die Marinebrigade, welche ursprünglich in Achim und Langwedel den Einsatzbefehl abwartete, wurde auf dem östlichen Weserufer im Raum Sagehorn-Achim-Langwedel-Völkersen untergebracht«. Der Divisionsstab belässt sein Quartier in Verden. Gerstenberg legt einen militärischen Ring um die Hansestadt. Westlich der Weser erfolge der Hauptangriff. Vormittags, bei Schneetreiben und wenigen Graden unter Null, steigen Flugzeuge auf, um die Bremer Ausfallstraßen zu kontrollieren.
Während in Bremen bereits gekämpft wird, befindet sich der Kommando-Stab der Division noch in Verden. Im Laufe des Tages machen sich die Befehlshaber samt künftiger Bremer Regierung und einiger Journalisten per Automobil auf den Weg in die Hansestadt. Beschützt wird dieser Fahrzeugtross von einigen Lastautos, auf denen Marine-Soldaten mit Maschinengewehren postiert waren, wie der Berichterstatter Dr. Heile in einem Aufsatz schilderte:
»Drohend überragt das schwere Maschinengewehr die 'Reeling' des Wagens. Munitionskästen, Generalstabskarten usw. werden verstaut, die Gewehre und Revolver geladen, die Maschinengewehrstreifen eingezogen. Die eingefrorenen Autorohre wurden mit flammenden Benzin und dank dem geduldigen Humor des Berliner Chauffeurs endlich erwärmt, das Plantuch, dem leise herabfallenden Schnee zu wehren, über das Bogengestell gezogen und fort rattert die Schlange der Autokolonne von der Mittelschule zu Verden nach Bremen.(...) Die Soldaten erzählen von Rußland, Libau und Finnland, die Zigaretten qualmen und die bäuerlichen Anrainer der großen Heerstraße winken fröhlich. Ihre Einbildungskraft, darauf lassen Zurufe schließen, ist stärker, als die Dinge in Bremen sich selbst wohl naiven Beobachtern darstellen würden.(...) Kalt pfeift der Wind in die grauen Mäntel. Plötzlich ein Ruck in allen Köpfen: Das erste Opfer, ein Schimmel, den irgendeine verirrte Kugel getroffen haben mag, liegt am Wege. Man ist in der Kriegszone…«
Nach schweren verlustfreien Kämpfen kapitulieren Bremer Arbeiter und Soldaten vor der erdrückenden Übermacht des Militärapparates. Gerstenbergs Soldaten inhaftieren 30 Bremer und überführen sie nach Verden. Gemäß einer Absprache mit dem 1. Staatsanwalt, sind die inhaftierten Mitglieder der Bremer Räteregierung ins Untersuchungsgefängnis der Stadt Verden zu überführen – wegen des »geringeren Sicherheitsrisikos«.
Der Verdener Arbeiterrat verhält sehr zurückhaltend, billigt aber den Truppeneinsatz grundsätzlich. Oberstes Ziel ist ja: der Erhalt von Ruhe und Ordnung. Eine offizielle Resolution der hiesigen Räte besagt, dass »dem Einmarsch von Abteilungen der Division Gerstenberg keinen Widerstand entgegenzusetzen« sei. Der Soldatenrat verbietet als Reaktion auf die »Spartakusunruhen das Schützenkränzchen bei Bruer« und lässt alle Lokale am 30. Januar 1919 um 22.30 Uhr sperren. Die provisorische Bremer MSPD Regierung übernimmt im Laufe des 4. Februar 1919 die volle Regierungsgewalt. Am 18. Februar werden sämtliche Inhaftierte der Bremer Spartakus Unruhen wieder aus dem Gefängnis entlassen.
Selbst das Verdener Anzeigenblatt zeigt sich im Jahresrückblick auf 1919 immer noch irritiert, dass es im Februar 1919 in Verden vergleichsweise ruhig geblieben ist. »In Verden blieb es ruhig, was doppelt zu verwundern war (…) dabei ist Verden doch Nachbarstadt der freien Reichsstadt Bremen. Unsere Stadt war sogar in jenen Tagen Hauptquartier der Division Gerstenberg, ja, von hier aus erfolgte der Aufmarsch der Division.« (Verdener Anzeigenblatt, 21. Dezember 1919)
Hungerrevolte und Eierkrawall
Ein extrem harter Winter im Frühjahr 1919 verschärft die dramatische Ernährungslage in der Bevölkerung noch weiter. Es droht eine Hungerkatastrophe.
Auf einer Veranstaltung der Sozialdemokraten über die »Gefahren des Bolschewismus« bringt es Hauptredner Winter, Mitglied der preußischen Landesversammlung, für die meisten Verdener auf den Punkt:
»Die Revolution habe uns die Freiheit gebracht, aber der Kampf um die Lebensmittelfrage gehe weiter.« (Verdener Anzeigenblatt, 25. Februar 1919)
Die akute Versorgungsnot erwächst zum existentiellen Problem: Wucherpreise für Nahrungsmittel führen zu einer Klassengesellschaft von Satten und Hungrigen. Offizielle Stellen kürzen die ohnehin schon unzureichenden Lebensmittelrationen drastisch auf 50 Gramm/Woche. Die Soldaten der Garnison hingegen werden bevorzugt versorgt…
»Sie sollten sich lieber Seife aufs Brot schmieren!«
Eine Hungerrevolte könnte unmittelbar bevor stehen, wie aus dem Schreiben eines Mitarbeiters der Reichsfettstelle hervorgeht:
»Auf Anordnung der Reichsfettstelle bearbeite ich mehrere Kreise des Regierungsbezirkes Stade. Da ich den Kreis Verden in der letzten Woche revidiert, die Verhältnisse und die Stimmung der Bevölkerung in Stadt und Land kennengelernt habe, so muss ich der Regierung folgendes mitteilen: Die Herabsetzung der Fettration von 70 auf 50 Gramm hat eine bedrohliche Haltung unter der Bevölkerung der Stadt Verden verursacht. Eine Hungerrevolte steht vor der Tür.(...) Bricht jetzt in Verden eine Hungerrevolte aus, so wird sie schnell auf andere Städte überspringen und nicht zuletzt auf Bremen, wo es noch immer nach Revolution riecht. Ich hatte mit dem Landrat des Kreises Verden und dem Vorsitzenden des Arbeiterrates eine Besprechung. Beide Herren können die Verantwortung für die Lage nicht länger übernehmen. Wird die Fettration nicht in den allernächsten Tagen wieder auf 70 Gramm erhöht, so bricht Anfang kommender Woche der Aufstand aus. Man will mit Waffengewalt Landratsamt und Rathaus stürmen. Im Namen des Landrates und des Arbeiterrates des Kreises Verden bitte ich daher die Regierung dringend, die Fettration wieder auf 70 Gramm erhöhen zu wollen…« (gez. von Gagern, landwirtschaftl. Sachverständiger der Reichsfettstelle)
Am 31. März 1919 entlädt sich der Unmut großer Teile der Verdener Arbeiterschaft über die herrschenden Zustände im sogenannten »Eierkrawall«. Zahlreiche Arbeiter, Männer und Frauen organisieren spontan die Durchsuchung von Lebensmittelgeschäften nach illegalen Nahrungsmittelvorräten. Über »500 Arbeiter des Artilleriedepots« ziehen in einem geschlossenen Demonstrationszug durch die Straßen der Stadt. Einige Depotarbeiter nutzen das allgemeine Durcheinander in der Innenstadt vor dem Wieseschen Lebensmittelgeschäft (Brückstraße), um vor dem nahegelegenen Untersuchungsgefängnis für die Freilassung eines, wegen Handgranaten-Diebstahls einsitzenden Kollegen zu demonstrieren: Ein Getümmel entsteht, die Pforten werden aufgebrochen, der Gefängniswärter wird vertrieben und der Inhaftierte befreit.
»Die Arbeiter drangen in einen Laden der Brückstraße, holten sich den Besitzer heraus und zogen mit ihm nach dem Landratsamt. Mittags sammelten sich wieder viele Menschen vor dem betreffenden Kaufmannshause, drangen in den Laden, holten sich die aufgefundenen Eier heraus und zogen damit ab. Auch zwangen sie das Personal, die Schlüssel zu den Lagerräumen herauszugeben, um diese nach derartigen Waren zu untersuchen.« (Verdener Anzeigenblatt, 1. April 1919)
Die Depotarbeiter entdecken über 120.000 Eier in den verschiedenen Lagerräumen. Ein Großteil der Hühnereier soll durch die »Reichs-Eierstelle«, mit Sitz in Verden, im gesamten Reichsgebiet an Soldaten und Militärangehörige verteilt werden.
Die aufgebrachten Arbeiter ziehen, jetzt mit polizeilicher Unterstützung und Vertretern des Arbeiterrates, weiter zur Wieseschen Fettniederlage in der Marienstraße und zum Verdener Schlachthof, wo sämtliche Bestände an Speck, Schinken und Fleisch kassiert werden.
»Die Straße war schwarz«, der Demonstrationszug schwillt immer weiter an. Arbeiterrat Timner marschiert mit den protestierenden Arbeitern. Arbeiterrat Imken fungiert als Kurier und überbringt dem Magistrat die neuesten Nachrichten über das Ausmaß der Hungerrevolte. Die Arbeiter haben Kaufmann Schmidt ergriffen und führen ihn wie bei einem Spießrutenlauf durch die Straßen der Stadt.
Ein Augenzeuge gab am 11. April 1919 zu Protokoll: »Vormittags telefonierte Frau Schmidt, Arbeiter hätten ihren Mann fortgeholt. Ihre Stimme klang so gräßlich und ungläubig, dass ich sofort Nachforschungen anstellte. Schmidt marschiert vorn. Ich beruhige seine Frau. Timner sagte mir, Wiese sei vorher schon protestierend im Landratamt gewesen. Anschließend an den Eierkrawall drang die Arbeiterschaft, der eine große Menschenmenge folgte, in verschiedene Häuser, um Nachsuchungen nach ungesetzlichen Lebensmittelvorräten zu halten. Es war mir bekannt, dass der Magistrat (…) die Polizei mit den Durchsuchungen beauftragt hatte, damit das Ganze »einen gesetzlichen Anstrich erhielt«. (Arbeiterrat Timner sagt mir, er sei in dem Demonstrationszug mit marschiert.) (...) Wie ich die Menge durch fortwährenden dienstlichen Verkehr mit Führern der Arbeiterschaft kannte, erschien mir die Anordnung des Magistrats als Beamter und Bürger das Richtigste, denn wäre Militär eingeschritten, wie es unverantwortliche Personen wünschten, dann hätte es, abgesehen von der Zuverlässigkeit eines Teils des Militärs, nach meiner Überzeugung Handgranatenkämpfe auf den Straßen gegeben. Die Menge war den Tag über auf den Beinen und zog von Haus zu Haus, Geschäft zu Geschäft.«
Magistrat und Räte sind fieberhaft bemüht, die Unruhen in den Griff zu bekommen. Obersekretär Meyer versucht schlichtend einzugreifen:
»Als nachmittags der Rendant Deeke in mein Büro kam und dem Anwesenden Senator Wolff und mir klagte, jetzt sei die Menge bei der Witwe Oelfge, Große Straße 35, es sei doch unerhört, dass die Frau sich das gefallen lassen müsse, erklärte ich mich aus freien Stücken zur Übernahme der Vermittlerrolle bereit, da ich schon häufig mit den Arbeitervertretern bei früheren anderen Gelegenheiten mit Erfolg tätig gewesen war. Ich ließ einige Arbeiterführer holen und eröffnete Ihnen (…) folgendes: das große Gefolge müsse von der Straße verschwinden; Verden käme in schlechten Ruf; Reisende könnten die ärgsten Gerüchte verbreiten; wenn die Arbeiter große Hamster- und Schieberläger entdecken wollten, wäre die Menge hinderlich; es führe besser zum Ziel, wenn eine Deputation der Arbeiter unauffällig mit der Polizei herumginge; dann hätte die Sache auch einen gesetzlichen Anstrich.«
Trotzdem blieb die protestierende Menge auf der Straße! Tagsüber kamen mehrfach Arbeiter, die gefundenen Schinken, Speckseiten und Würste ablieferten. Meyer weiter in seinen Aufzeichnungen: »Einer sagte, wenn ich Vollmacht gäbe, liefere er noch viel mehr. Verdener Arbeiter drohen, das Rathaus zu stürmen.
Die abendliche Sitzung des Arbeiterrates steht ganz im Zeichen des Krawalls und seiner politischen Folgen. Die Frage, ob solche Durchsuchungen nun rechtmäßig seien oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Schließlich ist die Polizei zugegen gewesen, »hatte der Angelegenheit einen gesetzlichen Anstrich gegeben« und die »spontanen Suchaktionen hätten schließlich Erfolge verbucht.« Die Sitzung einigt sich darauf, solche anarchistischen Zustände nicht dulden zu können. »Ruhe und Ordnung sei das oberstes Ziel, Verden dürfe nicht in Verruf kommen.«
Auf diese dringliche Warnung, reagieren die entsprechenden Stellen sofort und unmissverständlich: Das Verdener Rathaus wird von der Garnison mit einem schweren Maschinengewehr ausgerüstet…
Zu allem bereit: das Maschinengewehr auf dem Rathaus!
Scharf schießen auf die Verdener Bevölkerung – wer hat die Befehlsgewalt über den Einsatz des Maschinengewehres? Und wer hätte es »bedienen« sollen? Auf welchem Zimmer ist es stationiert? Das lässt sich aus den vorliegenden Dokumenten leider nicht bestimmen…
In hartnäckigen Verhandlungen erringen die Verdener Räte einen kleinen Erfolg. Die Einwohner bekommen eine Sonderzuteilung, um die Lage in der Stadt zu entschärfen: »Wie ich bereits telefonisch habe mitteilen lassen, will ich der Stadt Verden eine besondere Notstandszuweisung von 100 Zentnern Nährmittel alsbald zukommen lassen.« (gez. Regierungs-Präsident)
Vor Ort blühen Schwarzmarkt und Schleichhandel
Doch ungeniert inserieren Verdener Geschäftsleute in Zeitungsanzeigen auf der Suche nach Lebensmitteln. Zu Höchstpreisen werden Eier angekauft und unter dem Ladentisch an kaufkräftige Kundschaft verschoben. Arbeiter haben in Erfahrung gebracht, dass hiesige Geschäftsleute Eier zu Preisen zwischen 70 und 80 Pfennig pro Stück aufkaufen, um sie für 1,25 bis 1,30 Mark wieder zu verkaufen. Wegen dieser Preistreiberei ist es fast unmöglich, von den Bauern Eier zu erschwinglichen Preisen direkt zu kaufen. Die Landwirte beteiligen sich an dem regen, lukrativen Schwarzhandel, wie ihnen in einer Bürgervorsteher Versammlung vorgehalten wird.
Die Preise haben eine phantastische Höhe erreicht. In einschlägigen Geschäften können betuchte Bürger heimlich Butter, Schmalz, Eier und Fleisch beziehen. Arbeiterrat Karl Lieberknecht macht in einer Versammlung des Gewerkschaftskartells seinen Unmut über die herrschenden Zustände Luft. Er beschuldigt Bauern und Landwirte der Profitgier. Besonders »die großen Bauern hätten ihre Vorräte aufgespeichert, man solle die Arbeiter aufs Land schicken und die großen Besitzer enteignen.« (Lebhaftes »Bravo!«).
»Wie kommt es nun, dass nach Verden so wenig Lebensmittel kommen: weil unsere Stadt als ländlicher Ort angesehen wird. (…) Es liegt nicht an unserem neuen Bürgermeister, dem das Wohl und das Wehe der Arbeiterschaft sehr am Herzen liegt. Sein Vorgänger hat es verpfuscht (lebhafte Zurufe). (...) Nienburg und Achim werden bereits als Industriestandorte angesehen, zeigen wir unsere Macht, dann wird es uns auch gelingen. Diese Macht wollen wir aber nicht zeigen durch Fenstereinwerfen und Maschinengewehre. (...) (Stürmischer Beifall). (Karl Lieberknecht)
Gemeinsam mit der Ortspolizei werden im Verlaufe des 1. Aprils weitere Hausdurchsuchungen durchgeführt. Die Ordnungshüter werden erneut fündig.
Eine unerwartet bedrohliche politische Wendung erhält der »Eierkrawall« wieder durch den drohenden Aufmarsch bewaffneter Regierungstruppen. Denn offensichtlich sind »von bürgerlicher Seite vom Generalkommando« Soldaten zur Sicherung der »Ruhe und Ordnung« angefordert worden. Der Vorsitzende des Bürgervereins Rechtsanwalt Firnhaber telefoniert – eigenmächtig und wohl frühzeitig – nach Stade, um den Regierungspräsidenten über die Unruhen in Verden zu informieren:
»… ungesetzliche Haussuchungen nach Lebensmitteln durch Arbeiter unter einem Polizisten vorgenommen werden und das Plünderungen stattfinden gegen die die Polizei machtlos ist und dass militärisches Einschreiten das angeboten vom Magistrat, abgelehnt sei. Ersuche sofort Bericht.« Regierungs-Präsident (Verden, den 1. April 1919, 8.55 Uhr)
Wohlhabenden Bürgern, denen unvermittelt das Haus durchsucht wurde, drehen bald mit aller Macht den Spieß um: Überfall, Hausfriedensbruch, Nötigung und Raub – einige Verdener Juristen versuchen, die Rädelsführer der Krawalle mit Spitzfindigkeiten zu überführen. Zentraler Punkt ihrer Anklage: Wann wurde die Genehmigung zur Durchsuchung ausgestellt? Ohne Vollmacht würde es sich – im Sinne des Gesetzes – um eine Staftat handeln!
Hier Auszüge aus den Schriftwechseln, die aus gegensätzlichen Blickwinkeln die Geschehnisse schildern:
Mühlendirektor Richard Apel
Am 31. März ds. Js. hat eine Rotte von ca. 2.300 Menschen mein Haus in der Lindhooperstr. 3 überfallen und zunächst umstellt. Von dieser Rotte lösten sich 8 Personen, unter denen sich der Polizist Wittler befand, ab und versuchten, in mein Haus einzudringen. Auf mein Befragen, was hier vorgehe, antwortete man mir, man wolle mein Haus nach Lebensmitteln durchsuchen. Ich forderte einen Ausweis über die Berechtigung des Vorhabens, worauf mir erklärt wurde, einen Ausweis bedürfe es nicht. Ich machte die Leute, sowie den Polizisten Wittler darauf aufmerksam, dass das Beginnen ungesetzlich, unberechtigt sei und von mir als Hausfriedensbruch betrachtet werde. Da ein amtlicher, genügender Ausweis nicht vorlag, verweigerte ich den Zutritt zu meinem Grundstück. Die mir unbekannten Personern erklärten, sie würden dann Gewalt brauchen und mich zwingen, das Grundstück betreten zu lassen. (...) Ich fügte mich der Übermacht. Auf der unteren Diele meines Hauses, vor dem eigentlichen Aufgang zur Wohnung, forderte ich die Leute nochmals auf, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen, mit demselben Erfolg, indem man mir höhnisch wiederholte, dann Gewalt anwenden zu müssen. Ich erwiderte, dass zur Durchsuchung des Hauses 8 Mann nicht nötig seien und bat, man möge 1 oder 2 Leute hinaufschicken. Hierauf teilte sich der Haufen und der Polizist Wittler mit den Arbeitern Blüthner, Kuhlwilm und Meyer, Obere Str. 21 wohnhaft, drangen in meine Wohnung ein. Meine Frau und ich wurden beide gezwungen, Küche uns Speisekammer betreten zu lassen. Die dort befindlichen Schränke und Behälter wurden aufgerissen und durchsucht. Nachdem Küche und Speisekamer durchstöbert waren, verlangte man die Bodenräume zu sehen und drang hier in 2 verschiedene Kammern ein, wo ich meine Vorräte an Lebensmitteln aufbewahre. (...) Nach Wohnung und Boden wurde der Keller durchsucht. Während der ganze Hausdurchsuchung hielten sich die übrigen eingedrungenen Personen, die nicht in meine Wohnräume gefolgt waren zusammengerottet auf der unteren Diele meines Hauses auf. Bei ihrem Fortgange nahm der Arbeiter Blüthner 8 Pfund geräuchertes Fleisch mit, mit der Behauptung, dasselbe sei beschlagnahmt und der ganze Trupp verließ mein Haus.«
Polizist Wittler
»Am 31. März des Jahres wurde von den Depotarbeitern und einigen Zigarrenarbeiter eine Durchsuchung nach Fleischwaren in mehreren Häusern in hiesiger Stadt vorgenommen. Am selben Nachmittage erhielt ich vom Herrn Landschaftsrat Schorcht hier den Auftrag an der Durchsuchung teilzunehmen. Aus dem Gespräch, welches der Herr Landschaftsrat mit mir hatte und wobei Herr Senator Wolf zugegen war, habe ich den Eindruck gewonnen, dass ich keine persönlichen Durchsuchungen vornehmen, sondern nur zugegen sein sollte, damit keine Übergriffe seitens der Arbeiter vorkämen und sich alles in Ruhe abspielte. Wir gingen zuerst zu dem Grundstück des Herrn Apel. Neben dem Weinlager von Vogt begegnete uns Herr Apel und als er sah, dass wir auf sein Grundstück zugingen, kehrte er wieder um, kam auf uns zu und fragte, was wir wollten. Ich teilte ihm mit, dass wir eine Durchsuchung nach Fleischwaren in seinem Hause vornehmen wollten. Herr Apel verlangte einen Ausweis von mir, und als ich ihm sagte, ich brauchte keinen, erwiderte er: »Dann sind Sie auch nicht berechtigt, mein Haus zu betreten. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich das Betreten meines Hauses als Hausfriedensbruch betrachte und werde mein Haus nicht öffnen.« Inzwischen wurde die Tür von einer weiblichen Person geöffnet. Im Hausflur wiederholte Herr Apel seine Aufforderung und wünschte zu der Duchsuchung weniger Personen. Ich habe dann bestimmt, dass außer mir die drei genannten Personen teilnehmen sollten. Bei unserer Rückkehr aus der Apelschen Wohnung standen nur noch zwei Personen im Hausflur. Die übrigen Personen befanden sich vor dem Grundstück auf der Straße. Herr Apel führte uns nun vom Flur aus die Treppe hinauf zu seiner Wohnung. Ich sagte dann zu Herrn Apel wörtlich: »Wollen Sie uns nun mal Ihre Küche und Speisekammer zeigen?« Herr Apel zeigte zur Küche und sagte: »Bitte schön!« Wir gingen hinein und sahen Küchenschrank und Speisekammer durch und Blüthner fand im Schrank das erwähnte Stück Fleisch. Frau Apel, welche auch zugegen war, erklärte gleich, dass Sie das Fleisch gekauft hätte, wogegen Herr Apel jetzt angibt, es eingetauscht zu haben, der mit anwesende Kuhlwilm erklärte darauf Herrn Apel: »Wenn Sie das Fleisch gekauft haben, gehört es der Allgemeinheit, und wir nehmen es mit.« Dann sagte Kuhlwilm zu Herrn Apel, ob er uns nun mal seine Räucherkammer zeigen wolle. Herr Apel ging vorauf, schloss die Kammertür auf und zeigte uns die Fleischwaren mit dem Bemerken, dass dieses sein Eingeschlachtetes sei. An dem Schinken war kein Stempel zu sehen. Herr Apel erklärte aber, dass er von dem selben Schweine sei, welches er auf dem hiesigen Schlachthofe geschlachtet habe. Hierauf begaben wir uns in den Keller. Herr Apel ging wieder vorauf, zündete Licht an und zeigte uns freiwillig seine Kellerräume. Von einer Drohung, Gewalt usw. wie Herr Apel sich in seinem Schreiben ausdrückt, liegt nicht das geringste vor. Ich behaupte, daß sich unser Vorgehen von den mitwirkenden Personen in ruhiger und sachlicher Weise abgespielt hat und das Schreiben des Herrn Apel von groben Beleidigungen und Unwahrheiten strotzt.«
Wilhelm Ahrens, Fabrikant
»Im Nu waren die Männer vom Dachboden bis in den Keller am Suchen. Ich erklärte sofort, Besitzer eines teuer erstandenen Schinkens zu sein, da ich im Glauben war, diesen eisernen Bestand für den Sommer würde man mir als friedlichen Bürger lassen, zur Erhaltung meiner Lehrlinge und Mädchen, durch Bereitung von Mittagessen im Sommer. Wie alle meine Leute und ich haben während des Krieges und jetzt die Schwerarbeiterzulage nicht erhalten, es ist ein Unding mit den zugeteilten Rationen auszukommen. Im Selbsterhaltungstrieb liegt es also, zu sehen etwas zur Streckung dieser Rationen zu kommen. In einer hungrigen Stunde welche ich vielleicht mehr mit den Meinigen gehabt habe, als mancher Arbeiter, kaufte ich diesen mir angebotenen Schinken, zur Erhaltung meiner Leute, welche bei mir am Tisch sind und trotzdem unterernährt. Ich möchte nun höffl. bitten, mir den Schinken wiederzugeben, denn welches Gesetz erlaubt es in friedliche Bürgerhäuser einzudringen und den Hausfrieden zu verletzen. Hätte ich damit Wucher getrieben, um mich zu bereichern, oder mich sonst strafbar gemacht, wäre es was anderes. Wenn meine Leute und ich mit meinem Geschäft unsere Arbeitskraft der Allgemeinheit weiter widmen sollen, so bitte ich den Magistrat nochmals höfflich diese Härte nicht zu dulden und mir meinen Schinken zurückzugeben, da wir weiter nichts zu essen haben. Wenn es im (...) neuen Deutschland eine Gerechtigkeit geben soll, so ist eine Erfüllung meiner dringenden Bitte hier im Interesse meiner Leute sehr am Platze.«
Die Justizbehörden schalten sich ein, um über Recht oder Unrechtmäßigkeit der Hausdurchsuchungen zu befinden.
Rüppel, Untersuchungsrichter Landgericht Verden
»Am 31. März 1919 sind hier von einer ganzen Anzahl von Depotarbeitern anlässlich des Eierkrawalls Haussuchungen vorgenommen. Es ist bekannt, dass es bei einer Reihe von Haussuchungen Polizeibeamte zugegen gewesen sind. Ich bitte, mir mitzuteilen, von wem, zu welcher Tageszeit und welchen Personen die Genehmigung zur Durchführung der Haussuchungen erteilt worden ist. Ist namentlich dem Maurer (Depotarbeiter:) Emil Biermann, Mühlentor, eine Genehmigung erteilt worden, die Haussuchungen ermöglichte? Geben Sie bitte Auskunft, ob bei den Vorgängen in dem Geschäft von Carl Wiese, dem Kaufmann Schmidt und dem Kaufmann Jakobsen Polizeibeamte zugegen waren. Der Untersuchungsrichter beim Landgericht. Verden, den 13. Mai 1919. gez. Rüppel
Das richterliche Hauptinteresse gelten den »Durchsuchungsgenehmigungen«. Die Arbeiter Beermann, Blüthner und Kuhlwilm standen plötzlich im Kreuzfeuer der Kritik. In einer Anzeige gegen Blüthner und Genossen wegen Zusammenrottung hatte der angeschuldigte Maurer, Emil Biermann, folgendes zu seiner Entlastung anzugeben:
Emil Biermann, Maurer
»Mir ist von dem Obersekretär Meyer eine Ausweis erteilt worden, der mich zur Durchführung von Durchsuchungen berechtigte. Leider habe ich ihn nicht mehr im Besitz. Ob mir der Ausweis am Montagvormittag oder -nachmitags ausgestellt worden ist, weiß ich nicht mehr. Ebensowenig kann ich mit Bestimmtheit sagen, ob ich den Ausweis schon bei den Vorgängen bei Jakobsen geführt habe. Es wurden Leuten, die Lebensmittel beschlagnahmt und zum Rathause gebracht, Polizisten angehängt. Da sich die Leute aber in mehrere Kolonnen teilten und jeder Kolonne ein Polizist nicht mitgegeben werden konnte, sagte der Obersekretär Meyer, er würde Ausweise ausstellen. Das wäre genau so gut, als wenn ein Polizist mitginge.«
»Recht haben« oder »Recht bekommen«?
Verden, 4. April. Die »vorzüglichen« deutschen Gerichte. »Das Bürgervorsteherkollegium verurteilt jeden Wucher mit Lebensmitteln und jede übertriebene Lebensmittelhamsterei und erwartet, dass jeder Wucher und jede Betrügerei mit Lebensmitteln auf das schärfste bestraft wird.« So lautet der erste Teil der Entschließung des Bürgervorsteherkollegiums in der Sitzung vom 1. April v. J. Auf der Tagesordnung stand die Aussprache über die gerade stattgefundenen Haussuchungen der Arbeiter.«
Die beschuldigten Arbeiter werden verurteilt
»Jetzt, ein Jahr nach dem »Eierkrawall«, sind zwar die Arbeiter teilweise bestraft, die die Haussuchungen abhielten, doch hat der Staatsanwalt noch keinen Grund gefunden, auch gegen den Kaufmann Schmidt, der den Anlass zu dem »Eierkrawall« gab, einzuschreiten. Sollte hier wirklich kein Grund zum Einschreiten sein? Unseres Erachtens hat der Kaufmann Schmidt die Eier, die er am ersten Tage der Eierfreigabe zu 1,25 Mark angeboten hat, über den Höchstpreis eingekauft, aber er hat sie zu Wucherpreisen verkaufen wollen. Eine zeitlang hörte man von Vernehmungen, dann schlief auch diese Sache sanft ein. Wir glauben dem Landrat, wenn er erklärt, wie es in der letzten Kreistagssitzung geschah, dass die Gerichte ihn bei der Verfolgung von Lebensmittelschiebungen bzw. Unterschlagungen im Stich lassen. Und zu diesen Gerichten soll die Arbeiterschaft noch Vertrauen haben? (Bremer Volkszeitung, 9. April 1920)
Vom Umgang mit der Macht
Für die Zigarrenmacher ist der »Eierkrawall« zu einer weiteren Nagelprobe ihrer politischen Verantwortung geworden. Die Wahlen zum Stadtverordneten-Kollegium konnte die MSPD, neben den Vertretern aus den bürgerlich konservativen Parteien, in der Kommunalpolitik etablieren. Mit einem Anteil von 12 Sitzen bildet sie die stärkste Fraktion und ist in allen Kommissionen vertreten. Der Zigarrenmacher Carl Fritz Hatzky wird einstimmig zum zweiten Bürgervorsteher Wortführer gewählt.
Durch die neue Zusammensetzung des Bürgervorsteher-Kollegiums verschärft sich anfangs das Gesprächsklima zwischen den Fraktionen. Der politische Gegensatz zwischen den Parteien zeigt Wirkung: Debatten werden hitziger geführt, wie die Presse in ihrem Jahresrückblick feststellen konnte:
»Auf dem Rathause selbst ging es bisweilen recht hitzig her, aber diese Aussprachen führten in den meisten Fällen oft allerdings nach mühevollen und vielverschlungenen Wegen zu einer kaum geahnten Einmütigkeit.« (Verdener Anzeigenblatt, 31. Dezember 1919)
Doch gerade diese »Einmütigkeit« sorgt immer wieder für neuen Konfliktstoff innerhalb der Verdener Arbeiterschaft. Kam es in der Kommunalpolitik häufiger zu Kompromissen und gemeinsamen Beschlüssen zwischen den Fraktionen, herrscht in der Arbeiterschaft doch immer noch ein unversöhnliches, klassenbewusstes Klima gegenüber den Bürgerlichen. Mißtrauisch wird jede Annäherung an die »honorigen« Bürger registriert.
Speziell der Bürgervorsteher Wortführer, Zigarrenmacher Hatzky steht im Mittelpunkt der Kritik, wie das Verdener Anzeigenblatt vom 31. Dezember 1919 zu berichten weiss:
»Einen solchen Zustand wünschen wir uns doch nicht, wie ihn neulich ein biederer Arbeiter äußerte (er nahm es dem Führer seiner Bürgersprecherfraktion übel, dass dieser mit dem Führer der Bürgerlichen auf der Straße freundliche Worte wechselte).«
Sang- und klanglos: das Ende der Revolution…
Eine Vollsitzung des Verdener Arbeiterrates im Stammlokal »Schwarzer Bär« nach längerer Pause beschäftigt sich am Abend des 1. April 1919 mit juristischen Fragen zum Fortbestehen der Arbeiterräte. Zukünftig sollen auch Frauen Sitz und Stimme erlangen, doch relativiert sich der fortschrittliche Gedanke allein schon durch die Tatsache, dass der Rat zu diesem Zeitpunkt bereits in politische Bedeutungslosigkeit versunken ist.
Die folgende Sitzung vom 9. Mai 1919 hält für alle Beteiligten eine Überraschung parat: der Vorsitzende Hatzky teilt den Anwesenden dort persönlich mit, »dass er auf ärztlichen Rat sein Amt als Vorsitzender wegen Krankheit niederlegen müsse«. Das Aktionskomitee verliert seine Führungspersönlichkeit und Integrationsfigur. Der Vorsitz wird vom Zigarrenmacher Philipp Hülsbergen kommissarisch fortgeführt.
Die letzte Vollsitzung des Verdener Arbeiterrates lässt sich auf den 10. Juni 1919 zurückverfolgen. Doch blieb der Verdener Arbeiterrat noch bis zum Herbst des Jahres 1919 bestehen. Erst die Jahresrückschau des Verdener Kreisblattes datiert das Ende des Gremiums auf den 13. November 1919. Der Kommentar des Redakteurs: »Der Arbeiterrat löst sich sang- und klanglos auf.« (Verdener Kreisblatt, 1 Januar 1920)
Obere Reihe, von links: Bv. Ottilige, Bv. Harms, Bv. Frl. Otersen, Bv. Evers, B. Meinecke, Bv. Graßhoff, Bv. Hoffmann, Bv. Ahrens, Bv. Lüders, Bv. Töllner, Bv. Römer, Bv. Höfener. Mittlere Reihe, von links: Bv. Engelhardt, Bv. Troue, Bv. Maaß, Bv. Ohlrogge, Bv. Renke, Bv. Tegtmeyer, Bv. Hatzky, Bv. Fremy, Bv Seekamp, Bv. Blüthner, Bv. Zehl, Bv. Kiesewetter, Bv. Winkel, Bv. Runge, Bv. v. Uffel, Bv. Lieberknecht. Untere Reine, von links: Bv. Frl. Wiese, Dir. Zichner, Sen. Kerndorff, Sen. Küster, Sen. Wolff, Bürgermeister Dr. Urban, Sen. Warnecke, Sen. Stumpe, Sen. Döhle, Stadtbaumeister Antz, Bv. Frau Brylla.
Zur Diskussion: Was bleibt?
Meuterei, Revolte oder Revolution? So ganz sicher ist man sich bis heute nicht, was im November 1918 eigentlich in Deutschland und in der norddeutschen Provinz passiert ist. Das wird Stück für Stück weiter aufgearbeitet werden müssen. Fakt ist jedoch, dass die »revolutionäre« Bewegung in Verden bereits im Februar 1919 seine gestaltende Kraft verloren hatte. Und fast auf den Tag genau ein Jahr nach seiner Einsetzung fällt das letzte Überbleibsel der November-Revolution in Verden.
Keine leichte Aufgabe für die Verdener Räte
Fakt ist auch, das der Verdener Arbeiterrat, als das politische Machtinstrument der organisierten Tabakarbeiterschaft, im wesentlichen nur die »Revolution« verwaltete. Dabei hatten Hatzky und Co. – realistisch betrachtet – eigentlich nie eine eigenständige politische Wirksamkeit entwickeln können. Verdens politisch aktive MSPDler hatten die ihnen anfangs sicherlich offenstehenden Handlungsspielräume nicht ausreichend genutzt, um vorhandene gesellschaftspolitische oder wirtschaftliche Problembereiche in der Region umzugestalten. Der Fortgang der russischen Oktober-Revolution 1917 mag immer die Blaupause und Fanal einer gewalttätigen Entwicklung gewesen sein, die niemals in Deutschland zu akzeptieren gewesen wäre. Die Verdener Räte befanden sich deshalb voll auf der politischen Linie der MSPD auf Reichsebene.
Abgesang
»Bei uns in Verden bestand die Revolution aus Tanz und nochmals Tanz. (…) Ja, man kann wohl sagen, dass nicht ein Faustschlag wegen der Revolution und seiner Folgeerscheinungen hüben und drüben gewechselt wurde.« (Verdener Anzeigenblatt, 31. Dezember 1919)
Im Jahresrückblick auf 1919 hat die Lokalpresse das »Zwischenspiel« der Verdener Revolution schon wieder ins »rechte« Licht gerückt. Man stellt die »Revolution« in ihrer Konsequenz als eine »bürgerliche Episode« dar und verpasst damit die Aufarbeitung eines epochalen Ereignisses für Verden, für Deutschland und für die Welt. Der Weg in die nächste Katastrophe ist bereits vorbereitet…
Erinnerungskultur
Nie wieder Krieg, keine Gewalt, die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und freie, geheime, demokratische Wahlen – diese elementaren Fragen bestimmten das Denken und Handeln von Carl Fritz Hatzky. Das müssen wir respektieren! Denn schließlich zeichnete Friedrich Ebert, 1. Reichskanzler der Weimarer Republik, den Kurs der zerstrittenen Sozialdemokratie massgeblich in Berlin vor – Hatzky und seine Arbeiterräte etablierten sich in Verden als sozialdemokratische Teilhaber des MSPD-Establishments. Doch waren die Protagonisten überhaupt in der Lage – in Zeiten von Umbruch und Umwälzung – diese Situation richtig einzuschätzen? Die Tabakarbeiter um Carl Fritz Hatzky haben sich vor 100 Jahren entschlossen, den Ablauf von Ereignissen nicht wesentlich im Wege zu stehen.
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