Auf unserer Fachtagung haben wir die Akteure und Prozesse der Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten in MV unter die Lupe nehmen und in drei Table-Sessions erörtert, wie wir den Herausforderungen bei der Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten ganz konkret begegnen können.

Als Hausherr begrüßte Peter Todt, stellv. Hauptgeschäftsführer und Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin die Gäste im Ludwig-Bölkow-Haus, gegenüber dem Schweriner Schloss.
Axel Blaschke, der neue Büroleiter des Landesbüros MV der Friedrich-Ebert-Stiftung aus Schwerin hieß die Tagungsteilnehmenden willkommen.
Jana Michael, Integrationsbeauftragte der Landesregierung MV, sprach ein Grußwort.

Vorträge und Diskussionen

Vorstellung einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung

„Ohne sie geht nichts mehr: Welchen Beitrag leisten Migrant_innen und Geflüchtete zur Sicherung der Arbeitskräftebedarfe in Fachkraftberufen in Deutschland?“

Sarah Pierenkemper, Economist für Fachkräftesicherung am Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.

Sarah Pierenkemper war online zugeschaltet.

Blitzlicht

„Die aktuelle Entwicklung und Situation der Ausländerbeschäftigung in Mecklenburg-Vorpommern“

Gernot Gurkasch, Berater im Geschäftsfeld Arbeitsmarkt bei der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, Kiel

Gernot Gurkasch von der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Kiel.

Blitzlicht

„Das bundesweite Förderprogramm IQ“

Barbara Schmidt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Maßnahmen zur Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt, Berlin

Barbara Schmidt aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin sprach über das Förderprogramm IQ.

Impuls

„Das Glas ist halb voll oder halb leer? 25 Jahre Integrationsarbeit in MV. Erfahrungen, Einsichten, Forderungen.“

Dr. Maher Fakhouri, Koordinator des IQ Netzwerks MV, migra e.V., Rostock

Dr. Maher Fakhouri koordiniert seit 2011 das IQ Netzwerk Mecklenburg-Vorpommern. Er arbeitet für den Rostocker Verein migra e.V.

Mittagspause

Table-Sessions

„Vielfalt im Unternehmen: Interkulturelle Kompetenzen und inklusive Arbeitskulturen“

Katja Striegler, Leiterin der Fachstelle Interkulturelle Öffnung und Vielfaltsmanagement MV, migra e.V., Rostock

Katja Striegler während der Table-Session.

Ergebnisse

Thesen

  1. Interkulturelle Kompetenzen sind in einer globalisierten Arbeitswelt von entscheidender Bedeutung, da sie die Fähigkeit repräsentieren, effektiv mit Menschen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren.
  2. Vielfältige Arbeitskulturen fördern die Kreativität und Innovation in Teams, da unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen zu neuen Ideen und Lösungen führen können.
  3. Interkulturelle Kompetenzen tragen zur Konfliktprävention und -lösung bei, da sie die Sensibilität für kulturelle Unterschiede und die Fähigkeit zur Kommunikation in Konfliktsituationen verbessern.
  4. Die Förderung von interkulturellen Kompetenzen in der Arbeitswelt kann die globale Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens steigern.
  5. Vielfältige Arbeitskulturen tragen zur Chancengleichheit und Inklusion bei, indem sie Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, Geschlechter, Religionen und Hintergründe in die Arbeitswelt integrieren.
  6. Vielfältige Teams können jedoch auch Herausforderungen mit sich bringen, wie kulturelle Missverständnisse und Konflikte. Interkulturelle Kompetenzen sind erlernbar und sollten in Schulungen und Weiterbildungsprogrammen gefördert werden.
  7. Vielfalt und interkulturelle Kompetenzen sind ein Gewinn für alle Beteiligten, da sie zu einem offeneren, toleranteren und kooperativeren Arbeitsumfeld beitragen und die persönliche Entwicklung fördern.

Interkulturelle Öffnung/Diversity Management ist ein ganzheitlicher Prozess, der alle Hierarchieebenen und alle Arbeitsbereiche einer Organisation betrifft:

Dennoch sind interkulturelle Öffnung und Diversity Management noch längst nicht in allen Organisationen umgesetzt. Weshalb nicht? Wo liegen die Barrieren? (gemeinsame Ideensammlung)

  • Vielfalt wird noch nicht als Querschnittsthema verstanden
  • Fehlendes Bewusstsein für die Bedeutung als Daueraufgabe-
  • Einseitiges Integrationsverständnis, Verantwortung wird anderen übertragen
  • Angst vor Veränderung
  • Xenophobie, struktureller Rassismus
  • Fehlendes Problemverständnis
  • Fehlende Selbstreflexion
  • Thema wird nicht diskutiert
  • Fehlende Wertschätzung, Akzeptanz und Toleranz
  • Politische Einstellungen
  • Veränderung kann nicht verordnet werden
  • Fehlende Zeit
  • Nicht Teil der Wirtschaftsförderung bzw. fehlende Kenntnis über Unterstützungsstrukturen
  • Wissen zum Thema fehlt
  • Andere Themen bekommen mehr Aufmerksamkeit
  • Der Druck der Organisationen, sich mit dem Thema zu beschäftigen ist noch nicht hoch genug.
  • Sprachbarrieren
  • Fehlende mittelfristige Rekrutierungsstrategien
  • Aufgabe zu groß und zu komplex
  • Überforderung in Zeiten verschiedener Krisen
  • Nicht genügend positive Beispiele
  • Schlechte Erfahrungen mit Integrationsbemühungen
  • Erfahrungen Ostdeutscher – selbst nicht „integriert“ worden

Was können wir konkret tun, um diese Barrieren abzubauen und interkulturelle Öffnung & Diversity Management in Unternehmen und anderen Organisationen zu unterstützen? (Kleingruppendiskussion)

Mögliche Strategien:

  • Leitbilder entwickeln (zusammen mit Mitarbeitenden und Geschäftsführung) – Haltung verdeutlichen
  • Best Practice Beispiel bekannt machen, z.B. aus anderen Ländern
  • Beratung von Unternehmen
  • Integration als Lösung verstehen – Mehrwerte vermitteln
  • Motivation stärken
  • Ängste zulassen und gemeinsam und bewusst abbauen
  • Arbeitgeberattraktivität stärken (vielseitige Unterstützung bieten)
  • Auszeichnung/Belohnung als Anreize
  • Betriebsräte als Türöffner ins Boot holen
  • Sensibilisierung für anderen Kulturen & Offenheit stärken
  • Kritischer Blick auf die eigene (Betriebs-)Kultur
  • Mentoring, Tandems, Buddy-Systeme
  • Erfahrungsaustausche
  • Anpassung von Recruiting-Strategien
  • Sprachkurse zeitnah
  • Punktesystem (Vorbild Kanada)
  • Ehrliche Kommunikation
  • Offenheit gegenüber Verschiedenheit

Vorhandene Ressourcen, die genutzt werden können:

  • Vorhandene Ressourcen, die genutzt werden können:
  • Laufende Projekte, z.B. Angebote für interkulturelle Trainings
  • Zugewanderte und ihre Erfahrungen, Arbeitgeber*innen und Personal mit Zuwanderungsgeschichte
  • Erfahrene Unternehmen und Teams
  • Arbeitgeberservice der Agenturen für Arbeit und Jobcenter
  • erfahrene Personen: z.B. Katja Striegler, Roman Stieler
  • vorhandenes Fachwissen
  • Förderung von Sprachkursen (durch Wirtschaftsministerium)
  • Mentoringprogramme
  • Kooperationen zwischen vorhandenen Strukturen
  • Bildung
  • Motivation
  • Unbürokratische Wege

Ressourcen, die zusätzlich notwendig sind:

  • Verstetigung – raus aus Projektstrukturen
  • Kooperation von Projekten
  • Bekanntmachung von Projekten
  • Mehr positive Beispiele sammeln und veröffentlichen
  • Politischen Druck, z.B. Anreizsysteme, Quote
  • Mehr finanzielle Förderung für Unternehmen, aber auch Mitarbeitende (z.B. für Sprachkurse)
  • Engagement, eigene Recherche, Geduld
  • Mehr Qualifikationen
  • Bereitschaft
  • Zeit !!!
  • Multiplikator*innen
  • Mentoring & damit verbundene Fortbildungsprogramme
  • Politischer Wille

„Von ausländischer Arbeitskraft zur qualifizierten Fachkraft“

Joanna Thoß, Leiterin des Teilvorhabens „IQ Qualifizierung für den Beruf, migra e.V., Rostock

Imke Brandt, Leiterin des Teilvorhabens „IQ Individuelle Qualifizierung und Begleitung“, VSP gGmbH, Schwerin

Joanna Thoß (r.) während der Table-Session mit einer Teilnehmerin.

Ergebnisse

In dieser Table-Session ging es darum, die Problemlage zu benennen, Lösungsansätze zu erarbeiten und noch bestehende Bedarfe zu identifizieren. Sie hatte vor allem zum Ziel, die Erfahrungen aus der Praxis der zugewanderten Arbeitskräfte, deren Arbeitgeber*innen, der Leistungsträger sowie der Bildungsträger/Qualifizierungsanbieter zu sammeln, um zum Bekanntheitsgrad der vorhandenen und erprobten (IQ internen sowie IQ externen) Qualifizierungsangebote beizutragen. Des Weiteren verfolgte die Table-Session das Ziel, eventuelle Lücken im System sichtbar zu machen, die den Entscheidungsträgern kommuniziert werden sollten.

Als Impuls für die Teilnehmenden stellten die Moderatorinnen Qualifizierungswege am Beispiel von vier verschiedenen Berufsbiographien aus der IQ Praxis dar. Anschließend wurden die Teilnehmenden dazu eingeladen, sich über Ihre Erfahrungen und ggf. erkannte Bedarfe auszutauschen.

Erfahrungen aus der Praxis:

  1. Teilqualifizierung im Rahmen der IHK-Berufe
  2. berufliche Kompetenzfeststellung
  3. Programm des Bildungsministeriums M-V für ukrainische Lehrkräfte und Psycholo*innen
  4. Umschulung (z.B. zur Kosmetikerin)
  5. Anpassungsqualifizierung für Erzieher*innen

Als Herausforderungen und strukturelle Hürden bei der Qualifizierung von Zugewanderten wurden genannt:

  1. (zu lange) Dauer der Qualifizierungen
  2. (zu hohe) Kosten der Qualifizierung für Arbeitgeber: Ca. 96 % der AG in M-V seien KMU, den sowohl die finanziellen Mittel für die Qualifizierung der zugewanderten Arbeitnehmer*innen als auch die zeitlichen Kapazitäten dafür fehlen.
  3. (zu hohe) Kosten für die Allgemeinheit: Sind diese legitim?
  4. Deutschkenntnisse: unzureichende allgemeine Sprachkenntnisse für den Einsatz am Arbeitsplatz bzw. fehlende fachsprachliche Kompetenz
  5. Deutscherwerb: Mangel an zeitnahen bzw. aneinander anschließenden Sprachkursen
  6. Aufenthaltsbefristung für ukrainische Bürger*innen bis März 2024 → Qualifizierungsmaßnahmen, die über diese Befristung hinausgehen, werden verweigert
  7. mangelnde Willkommenskultur bei den Arbeitgebern bzw. bei bestehenden Belegschaften
  8. das föderale System mit unterschiedlichen Zuständigkeiten und Regeln im Bereich der Anerkennung ausländischer Qualifikationen
  9. Erreichbarkeit der Bildungsanbieter (Bildungsschulen) → Problem: Entfernung und Mobilität der Betroffenen im ländlichen Raum
  10. Aktualität der bestehenden Berufszugangsvorschriften im Hinblick auf die Einwanderungssituation → Notwendigkeit der Überprüfung
  11. Unzureichende Bekanntheit der Angebote, der Ansprechpartner*innen und ggf. der Unterstützungs- bzw. Fördermöglichkeiten

Ergänzende Angebote und Instrumente, die fehlen bzw. gewünscht sind:

  1. Entbürokratisierung
  2. Anpassungsqualifikationen in fast allen Berufen

„Der Migrant-Gender-Pay-Gap“

Bianca Dülken, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der IQ Fachstelle Einwanderung und Integration bei Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung gGmbH, Berlin

Bianca Dülken während der Table-Session.

Ergebnisse

Aktuelle Lage in Mecklenburg-Vorpommern (MV)

  • MV hat im Vergleich zu anderen Bundesländern einen geringen Ausländeranteil, was zu wenig Erfahrung mit Migrantinnen führt.
  • Dies spiegelt sich in Vorurteilen und Vorannahmen wider, die die Migrantinnen in der Arbeitswelt benachteiligen. Beispielsweise wird oftmals suggeriert, dass zugewanderte Frauen nicht arbeiten wollen, sondern nur in Begleitung ihrer Ehemänner kommen.
  • Der MGPG ist daher in MV nicht stark präsent, da Maßnahmen und öffentliche Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Themen wie z.B. häusliche Gewalt abzielen, anstatt auf die Integration von Migrantinnen im Arbeitsmarkt.
  • Daher ist die Sichtbarkeit von Migrantinnen in Unternehmen in MV nicht gegeben.
  • Es besteht die Notwendigkeit für mehr Storytelling, um Migrantinnen in der Öffentlichkeit und in verschiedenen Berufen präsent zu machen und somit in der Berufswelt und der Bevölkerung von MV zu normalisieren.
  • Eine erhebliche Herausforderung in MV ist die Abwanderung von Migrantinnen in andere Bundesländer, da MV als Niedriglohnland gilt und die größten Arbeitgeber z.B. die Verwaltungen sind.
  • Zeitgleich altert MVs Bevölkerung zunehmend und ist auf zugewanderte Arbeitskräfte angewiesen.
  • Die Mentalität einiger Arbeitgeber ist, sich vor ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu verstecken, insbesondere im Hinblick auf Migrantinnen, die jünger und weniger erfahren sind als der durchschnitte, deutsche Arbeitnehmer*in in MV.
  • Wenig Entgelttransparenz in MV, da das verbreitete Motto ist „über Geld spricht man nicht“.

Welche Maßnahmen können Arbeitgeber, Beratungsstellen sowie zugewanderte Arbeits- und Fachkräfte in MV ergreifen, um strukturelle Benachteiligungen u.a. bei der Entlohnung zu minimieren?

Beratungsstellen & zugewanderte Arbeits- und Fachkräfte:

  • Aktuelle Beratung von Migrant*innen enden oft nach der Anerkennung der Qualifikationen. Beratungsstellen haben oftmals keine Kapazitäten, Informationen über die Einstellung von Migrant*innen hinaus anzubieten; hier wurde eine Beratungslücke identifiziert.
  • Migrant*innen müssen über ihre Rechte informiert werden. Es ist wichtig, langfristige Perspektiven aufzuzeigen. Viele Migrant*innen sind froh, dass sie einen Job gefunden haben und trauen sich nicht, Forderungen zu stellen oder sie wissen nicht, welche Rechte sie haben (z.B. Feiertagszuschlag).
  • Gewerkschaften sollten mehr gefördert werden und Migrant*innnen über Gewerkschaften aufgeklärt werden. Dies ist entscheidend, um Arbeitnehmer*innen über ihre Rechte zu informieren und für faire Arbeitsbedingungen einzutreten, wenn die Migrant*innen bereits in einem Beschäftigungsverhältnis sind.

Arbeitgeberseite und staatlicher Einfluss:

  • Teilnehmer*innen sprachen über die Notwendigkeit eines Umdenkens und langfristigen Denkens auf Seiten der Arbeitgeber.
  • Arbeitgeber müssen ihr Bewusstsein schärfen, um Arbeitnehmer*innen langfristig zu halten und insb. die für MV notwendigen, zugewanderten Arbeitskräfte (Stichwort: demographischer Wandel).
  • Dabei sollte nicht nur auf Zahlen geschaut werden, sondern auch auf die soziale Auswirkung der Arbeitsbedingungen und die gesellschaftliche Verantwortung von Arbeitgebern.
  • Entgelttransparenz im Unternehmen wurde als wichtiger Schritt zur Konfliktminimierung unter Mitarbeitenden und mehr Vertrauen in den Arbeitgeber angesehen.
  • Die Teilnehmer*innen diskutierten die Bedeutung der Tarifbindung in Mecklenburg-Vorpommern (MV) und betonten deren Relevanz für eine gerechte Entlohnung der Arbeitnehmer*innen.
  • Es wurde zudem auf die Bedeutung des ortsüblichen Gehalts in den verschiedenen Branchen hingewiesen, an welches sich die Unternehmen orientieren sollten.
  • Einschränkung hierbei: Vereinzelte, (größere) Unternehmen wie Zulieferer von Airbus oder die Werften, die teilweise überdurchschnittliche Gehälter zahlen, führen zu einer Verzerrung des ortsüblichen Gehalts.
  • Zudem wurde die Herausforderung der Arbeitgeber hervorgehoben, ein ausgewogenes Verhältnis bei der Entlohnung zwischen neuen Mitarbeitern und langjährigen, hochqualifizierten Mitarbeitern herzustellen.
  • Dabei sollte vermieden werden, erfahrene Arbeitskräfte zu benachteiligen, was für kleinere Unternehmen mit geringem, finanziellem Spielraum eine Herausforderung darstellen kann.
  • Zudem stellt die Vergleichbarkeit der Berufsjahre der Arbeitnehmer*innen im Ausland und im Inland eine weitere Herausforderung für die Unternehmen dar.
  • Hierbei wurde betont, dass es auch für Unternehmen viele Beratungsstellen gibt (z.B. auch von der Agentur für Arbeit), an die sie sich wenden können, um Gehaltsstrukturen zu strukturieren etc. Die Möglichkeit der Beratung für Unternehmen sollte noch stärker publik gemacht werden.