Riga Reisetagebuch 3.-7. Juni 2024, von Rahel Arnhold

Ankunft in Riga am 3.6.2024

Dienstag, den 4. Juni 2024

Die zerstörte Synagoge

Kurz nach der Invasion der deutschen Wehrmacht in Lettland im Juni und Juli 1941 begann der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung. Die jüdischen Menschen wurden separiert und in Riga in einem Ghetto zusammengepfercht. Rund 70.000 lettische Juden und 20.000 Juden, die aus anderen europäischen Ländern nach Lettland deportiert worden waren, wurden während der Besetzung Lettlands durch das nationalsozialistische Deutschland ermordet.

Am 4. Juli 1941, drei Tage nach der Okkupation Rigas durch die deutschen Truppen, wurde die 1871 erbaute große Synagoge zerstört. Mit Hilfe örtlicher Hilfstruppen unter dem Kommando von Viktor Arajs wurde die Synagoge auf Befehl der Nationalsozialisten in Brand gesteckt und jüdische Menschen in der Synagoge daran gehindert, aus dem Gebäude zu fliehen, so dass sie in den Flammen umkamen. Am gleichen Tag wurden auch noch weitere Synagogen in Riga zerstört und ca. 400 jüdische Menschen ermordet.

An der großen Synagoge erinnern Gedenktafeln an das Geschehen vom 4. Juli 1941. Das Denkmal rechts ist lettischen Widerstandskämpfer*innen gewidmet, die sich für die jüdischen Menschen während der Nazi-Okkupation eingesetzt haben.

Das Ghetto

Das Ghetto in Riga wurde im Oktober 1941 von den nationalsozialistischen Besatzern errichtet. Es diente der Isolierung und Internierung der jüdischen Bevölkerung Lettlands sowie deportierter Juden aus anderen europäischen Ländern. Es befand sich im Stadtteil Maskavas Forštate, auch Moskauer Vorstadt genannt, einem traditionellen jüdischen Viertel Rigas. Das Ghetto war stark überfüllt. Ursprünglich sollten etwa 30.000 Juden aus Riga und Umgebung dort leben, doch die Anzahl stieg schnell durch Deportationen aus anderen Gebieten. Die Lebensbedingungen waren katastrophal. Es herrschte ein ständiger Mangel an Nahrung, sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Die Ghettobewohner wurden zur Zwangsarbeit in verschiedenen Industrien und Bauprojekten eingesetzt, oft unter unmenschlichen Bedingungen. Im November und Dezember 1941 kam es zu den sogenannten „Großen Aktionen“, bei denen etwa 25.000 Juden aus dem Ghetto in den nahegelegenen Wald von Rumbula (s.u.) gebracht und dort erschossen wurden. Ab Ende 1941 wurden auch Juden aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei nach Riga deportiert und in das Ghetto eingewiesen. Auch sie fielen zum Teil Massenerschießungen im Wald von Biķernieki zum Opfer (s.u.). Das Ghetto wurde im November 1943 aufgelöst. Die überlebenden Insassen wurden in das Konzentrationslager Kaiserwald oder andere Arbeitslager in der Region verschleppt. Das Rigaer Ghetto ist ein tragisches Beispiel für die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung während des Holocaust und ein Mahnmal für die Gräueltaten der nationalsozialistischen Herrschaft in den besetzten Gebieten im Osten.

Die Bielefelder Straße war eine bedeutende Straße innerhalb des Rigaer Ghettos. Sie befand sich im südlichen Teil des Ghettos, stellte eine der Hauptachsen des Ghettos dar und spielte eine zentrale Rolle im täglichen Leben der Ghettobewohner*innen. Die Straße war Zeuge der extremen Not und Verzweiflung der Ghettoinsassen, aber auch des Versuchs, ein gewisses Maß an Gemeinschaft und Widerstand zu bewahren. In der Bielefelder Straße wurden 420 ostwestfälische Jüdinnen und Juden eingewiesen, die am 13. Dezember 1943 aus dem Ge­sta­po­kreis Bie­le­feld (Lip­pe, Schaum­burg-Lip­pe, Re­gie­rungs­be­zirk Min­den) deportiert wurden. Sie waren Teil von 1031 Jüdinnen und Juden, die aus den Re­gie­rungs­be­zir­ken Müns­ter, Os­na­brück, Bie­le­feld und dem Frei­staat Schaumburg nach Riga verschleppt wurden. Von ihnen überlebten nur 102. In das Haus mit der Nummer 7 (Foto) wurden auch die jüdischen Menschen, die aus Detmold deportiert worden waren, eingewiesen.

Im ehemaligen Ghetto gibt es heute keine Hinweistafeln, die an das Geschehen von damals erinnern. In der Bielefelder Straße kann man aber zumindest an einer Holzmauer den gesprühten Schriftzug: Bielefelder Straße finden, den wahrscheinlich Besucher*innen vor einigen Jahren dort hinterlassen haben.

Der alte jüdische Friedhof

Der alte jüdische Friedhof in Riga wurde im Jahr 1725 gegründet und ist somit einer der ältesten jüdischen Friedhöfe in der Region. Der Friedhof war über zwei Jahrhunderte hinweg der zentrale Begräbnisort für die jüdische Gemeinde Rigas. Er spiegelt die lange und reiche Geschichte der jüdischen Bevölkerung in der Stadt wider. Hier wurden viele bedeutende Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinde bestattet, darunter Rabbiner, Gelehrte und Gemeindeführer. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg wurde der Friedhof stark beschädigt. Viele Grabsteine wurden zerstört oder entwendet. Da im Winter wegen des gefrorenen Bodens nicht alle Menschen, die im Ghetto ermordet worden waren, auf dem jüdischen Friedhof beerdigt werden konnten, wurden die Leichen an der Friedhofsmauer aufgestapelt. Nach dem Krieg nutzten die sowjetischen Behörden das Gelände für verschiedene Zwecke, was zu weiterer Zerstörung führte. In den 1960er Jahren wurde ein Großteil des Friedhofs in einen Park umgewandelt. Viele Grabsteine wurden entfernt und das Gelände als Naherholungsgebiet genutzt. Heute gibt es auf dem Gelände des alten jüdischen Friedhofs Denkmäler, die an die jüdische Geschichte und die Zerstörungen erinnern (Fotos). Ein Gedenkstein wurde errichtet, um die Bedeutung des Ortes zu würdigen (Foto oben). Im Park kann man noch Grabsteine finden, die aus der Erde herausragen (Foto unten rechts). So erinnert dieser besondere Ort an die Vergangenheit und mahnt zur Wachsamkeit gegen Antisemitismus und gegen das Vergessen.

Museum: Juden in Lettland

Das Museum "Jews in Latvia" wurde 1988 von der lettischen jüdischen Gemeinde gegründet und präsentiert die Geschichte und Kultur der lettischen Juden vom 16. Jahrhundert bis heute. Es besitzt über 16.000 Objekte, unter anderem die Sammlung von Memoiren, einschließlich der Erinnerungen von Holocaust-Überlebenden, sowie Familienalben, Postern, Dokumenten und Fotografien. In dem Gebäude befindet sich auch der Sitz des Jewish Club und bietet neben Führungen auch unterschiedliche Veranstaltungen an. Eine Führung durch das Gebäude und die Ausstellung bekamen wir vom Leiter des Museums Ilya Lensky.

Mittwoch, den 5. Juni 2024

Stadtrundgang durch die Altstadt von Riga: u.a. Schwarzhäupterhaus, Dom St. Marien, die drei Brüder, Petrikirche, Parlamentsgebäude und das Freiheitsdenkmal.
Treffen mit meiner lettischen Freundin Lia.

Donnerstag, den 6. Juni 2024

Gedenkstätte Biķernieki

Der Wald von Biķernieki befindet sich außerhalb von Rigas Zentrum und ist einer der bedeutesten Holocaust Gedenkstätten in Lettland. Während der deutschen Bedsatzungszeit wurden von 1941-1944 ca. 35.000 Menschen durch Massenerschießungen an diesem Ort umgebracht. Zu den Todesopfern zählten lettische Juden, sowie deutsche, österreichische und tschechische Juden, die zuvor nach Riga deportiert wurden, politische Häftlinge, sowjetische Kriegsgefangene und Patienten der Psychiatrischen Klinik in Riga.

Von 1999-2001 ließ der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge die Gedenkstätte mit den Plänen des Architekten Sergej Ryzh umgestalten. Im Jahr 2001 wurde im Wald von Biķernieki eine Holocaustgedenkstätte eröffnet.

Die Gedenkstätte besteht aus 50 größeren und kleineren Massengräbern, welche sich über das weitläufige Waldgebiet erstrecken. Der zentrale Gedenkplatz ist in 48 Quadrate aufgeteilt, in denen Steine herausragen. Die unterschiedliche Form und Größe der Steine sollen die Individualität der Menschen darstellen, die an diesem Ort auf brutale Art und Weise umgebracht worden sind. Dabei stehen die Steine eng aneinander, da die Menschen im Augenblick ihrer Erschießung eng zusammengepfercht wurden. Daneben befinden sich Granitplatten, in denen die Namen der Städte eingraviert sind, aus denen die Menschen nach Riga deportiert wurden. In der Mitte des Gedenkplatzes steht ein Altar, in der ein Namensschrein mit den Listen der Todesopfer aufbewahrt wird.

Gedenkrede der Leiterin des Stadtarchivs Detmold, Dr. Bärbel Sunderbrink, in Biķernieki am 6. Juni 2024:

Bahnhof Šķirotava

Während der deutschen Besatzung Lettlands im Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof Šķirotava zu einem zentralen Ort für die Durchführung von Deportationen. Ab 1941 nutzten die Nationalsozialisten den Bahnhof Skirotava, um jüdische Menschen aus verschiedenen Teilen Lettlands sowie aus anderen europäischen Ländern, insbesondere aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, in das Rigaer Ghetto und später in Vernichtungslager zu transportieren. Die Deportationszüge, die am Bahnhof Šķirotava ankamen, waren überfüllt und die Bedingungen für die Deportierten waren entsetzlich. Viele Menschen starben bereits während des Transports.
Während der sowjetischen Besatzungszeit in Lettland spielte der Bahnhof Šķirotava eine tragische Rolle bei den Deportationen lettischer Bürger. In den 1940er und 1950er Jahren wurde der Bahnhof auch für die Deportationen von lettischen Bürgern in die Gulags (sowjetische Arbeitslager) und andere entlegene Gebiete der Sowjetunion genutzt. Die Deportationen betrafen insbesondere politische Gegner, Intellektuelle, Angehörige der ehemaligen Elite und Mitglieder nationaler Widerstandsbewegungen. Eine Informationstafel erinnert an das Geschehen.

Gedenkstätte Salaspils

Die Gedenkstätte Salaspils war ein ehemaliges Arbeitserziehungslager und erweitertes Polizeigefängnis. Jüdische Menschen aus dem Ghetto in Riga und Juden aus den ersten Transportzügen aus dem Deutschen Reich wurden dazu gezwungen, das Lager im Jahr 1941 zu errichten. Etwa 12.000 Menschen sollen zwischen 1941-1944 in Salaspils inhaftiert gewesen sein. Zu den Häftlingsgruppen gehörten jüdische Menschen, politische Gefangene, Widerstandskämpfer Zwangsarbeiter und Kinder.

Im Jahr 1943 unternahm die Wehrmacht Gewaltaktionen gegen aufständische Gruppen im lettisch-russischen Grenzgebiet. Viele Menschen sind bei diesen Aktionen umgekommen. 2.228 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, wurden dabei nach Salaspils verschleppt. Viele Menschen starben aufgrund der Kälte und der schlechten sanitären Versorgung, die dort herrschte, sowie an Mangelernährung.
Das Lager wurde 1944 aufgrund des Vormarsches der Roten Armee aufgelöst. Die Baracken wurden niedergebrannt und die Insassen in weitere Konzentrationslager deportiert. Im Jahr 1967 wurde eine Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Arbeits- und Erziehungslagers eröffnet. Die Gedenkstätte wurde im sowjetischen Stil errichtet und besteht aus Skulpturen, die auf dem Gelände des ehemaligen Lagers verteilt sind. Diese verkörpern die Eigenschaften: "Humiliated", "Unbroken", "Mother" und "Solidarity". In der Mitte befindet sich ein Marmorblock mit einem eingebauten Metronom, welches den Herzschlag der inhaftierten Menschen in dem Lager symbolisieren soll. Zudem befindet sich seit 2017 eine Ausstellung auf dem Gelände, die die Geschichte des Lagers in Salaspils aufarbeitet.

Wald von Rumbula

Ende 1941 wurden ca. 25.000. jüdische Menschen aus dem Rigaer Ghetto und mehr als 1.000 deportierte Juden aus dem Deutschen Reich durch deutsche SS-Männer und lettischen Hilfspolizisten im Wald von Rumbula erschossen.
Jahr 1964 wurde ein Gedenkstein im Wald von Rumbula von Aktivisten der jüdischen Community in Riga während der sowjetischen Besatzungszeit in Lettland errichtet. Es war zu der Zeit das einzige jüdische Gedenkmonument für die Opfer des Nazi Terrors in der ehemaligen UDSSR. Im Jahr 2000 wurde auf Initiative der Stadt und des Volksbundes eine Gedenkstätte errichtet. Diese basierte auf den Plänen vom demselben Architekten wie in Biķernieki, Sergej Ryzh. Im Jahr 2002 wurde die Gedenkstätte eröffnet. In der Mitte befindet sich eine Menorah, um die sich die Form eines Davidstern bildet. In die Steine, die sich um die Menorah befinden, sind die Namen der hier ermordeten Juden sowie die Straßen des Ghettos eingraviert.

Freitag, den 7. Juni 2024

Erkundung des Jugendstil-Viertels in Riga

Stūra māja ("Eckhaus")

Bereits während der ersten sowjetischen Besatzung Lettlands (1940-1941) undder nationalsozialistischen Besetzung Lettlands (1941-1944) wurde das Gebäude Stūra māja ("Eckhaus) von den sowjetischen und deutschen Besatzungsbehörden als Gefängnis genutzt. Von 1944-1991 diente es als Hauptquartier des sowjetischen Geheimdienstes KGB (Komitee für Staatssicherheit). Das Gebäude wurde für Verhöre, Inhaftierungen und Folterungen von politischen Gefangenen genutzt. Stūra māja ist ein symbolischer Ort des Gedenkens und ein wichtiger Bestandteil der lettischen Erinnerungskultur. Es steht als Mahnmal für die dunklen Kapitel der lettischen Geschichte.

Žanis-Lipke-Memorial

Die Gedenkstätte besteht aus einem Museum, das dem Andenken an Žanis Lipke und seiner Familie gewidmet ist. Lipke und seine Familie retteten während des Holocaust zahlreiche Juden vor der Verfolgung und dem Tod durch die Nationalsozialisten. Žanis Lipke war ein lettischer Hafenarbeiter und später ein Mitarbeiter der Luftwaffe im besetzten Riga. Während der deutschen Besatzung Lettlands im Zweiten Weltkrieg nutzte er seine Position und Kontakte, um Juden aus dem Rigaer Ghetto und anderen Lagern zu retten. Lipke baute ein Versteck unter seinem Holzschuppen auf der Insel Ķīpsala, einem Stadtteil von Riga. Zusammen mit seiner Frau Johanna und weiteren Helfern rettete er mindestens 50 Juden vor dem sicheren Tod, indem er sie dort versteckte und versorgte. Am 28.06.1966 wurden Žanis und Johanna Lipke von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als “Gerechte unter den Völkern” anerkannt und geehrt.

Bis hoffentlich bald, Riga!