Andreas Christen Direktor Zentralstelle für Medizinaltarife (ZMT)

Andreas Christen: Sie sind Direktor der Zentralstelle für Medizinaltarife (ZMT). Was sind die wichtigsten Aufgaben Ihrer Organisation?

Die ZMT ist das operative Organ der als Verein organisierten Medizinaltarif-Kommission UVG (MTK). Unsere Kernkompetenz ist das Verhandeln von Tarifen im Rahmen des Unfallversicherungsgesetzes (UVG), des Militärversicherungsgesetzes (MVG) und des Invalidenversicherungsgesetzes (IVG). Wir verhandeln rund 23 ambulante Tarife, vom Physiotherapie-Tarif über den Apotheken-Tarif bis zum ambulanten Arzttarif. Im stationären Bereich handeln wir mit rund 230 Spitälern und Kliniken individuelle Basispreise aus.

Zu unseren Aufgaben gehören auch Stellungnahmen bei Vernehmlassungen. Diese Vernehmlassungen haben häufig einen direkten Bezug zum Krankenversicherungsgesetz, können aber auch die Sozialversicherungen nach UVG, MVG und IVG tangieren. Ist dies der Fall und besteht ein gemeinsamer Nenner bei unseren Mitgliedern, dann reichen wir eine Stellungnahme ein.

Schliesslich geben wir auch Empfehlungen zur Übernahme und Tarifierung von neuen oder weiterentwickelten medizinischen Leistungen und Technologien ab. Die Empfehlungen erfolgen entlang der WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit). Da wir keine Zulassungsbehörde sind, kann jeder Unfallversicherer autonom entscheiden, ob er unserer Empfehlung folgen will. Die von uns ausgehandelten Tarife sind dagegen verbindlich.

Gab es 2023 ein Thema, das besonders im Fokus stand?

Ein wichtiger Schwerpunkt war der neue ambulante Arzttarif TARDOC. Wir möchten diesen KVG-Tarif auch im UV-, MV- und IV-Bereich anwenden und arbeiten deshalb seit sieben Jahren zusammen mit der FMH und curafutura bei der Entwicklung des TARDOC mit. Ende Jahr 2023 konnte der TARDOC beim Bundesrat zur Genehmigung eingereicht werden. Das war ein echter Meilenstein. Dem Bundesrat liegen nun zwei ganz unterschiedliche Tarifsysteme zur Genehmigung vor: TARDOC als Weiterentwicklung des TARMED 1.09 BR sowie das Tarifwerk von H+ Die Spitäler der Schweiz und santésuisse, das auf ambulanten Pauschalen basiert. Der Tarifentscheid des Bundesrats ist von grosser Bedeutung. Immerhin geht es um rund 12 Milliarden Franken pro Jahr.

Einen Verhandlungserfolg konnten wir 2023 bei den Tarifen für die akutsomatischen Kliniken verzeichnen, die rückwirkend per 1. Januar 2023 in Kraft traten. Solche Ergebnisse sind zentral: Auch wenn die Verhandlungspositionen zuweilen weit auseinanderliegen, stehen alle Beteiligten in der Verantwortung, partnerschaftlich Lösungen zu finden, um eine Eskalation an staatliche Behörden oder Festsetzungen zu vermeiden.

Andreas Christen bespricht sich mit dem ZMT-Gesundheitsökonomen Michel König, der auch das Vizepräsidium des ANQ innehat.

Welche Bedeutung hat die Qualität in Spitälern und Kliniken für Ihre Arbeit?

Qualität hat für die Unfallversicherer einen substanziellen Wert. Die Versicherten sollen dort behandelt werden, wo die Qualität stimmt und die Behandlungen erfolgsversprechend und nachhaltig wirksam sind. Denn nur so lässt sich das Risiko für Unfallfolgen und damit auch für Folgebehandlungen reduzieren. Deshalb wählen wir unsere Vertragspartner sorgfältig aus. Im Gegensatz zu den Krankenversicherern können wir individuelle Vertragsbeziehungen eingehen, also selektiv kontrahieren.

Welche Rolle spielen die Ergebnisse der ANQ-Messungen bei den Vertrags- und Tarifverhandlungen?

Es gibt verschiedene Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit wir einen Vertrag mit einem Spital oder einer Klinik abschliessen und der Institution den vollen Tarif gewähren. Die spitalindividuellen Messergebnisse des ANQ sind Teil dieses Kriterienkatalogs. Das heisst, die ANQ-Messungen sind nicht alleine ausschlaggebend, spielen aber eine wichtige Rolle. Die Institutionen wissen das – und haben dadurch einen weiteren Anreiz, sich engagiert an den ANQ-Messungen zu beteiligen und ihre Qualität laufend zu messen und weiterzuentwickeln.

Die MTK/ZMT ist seit Beginn Mitglied des ANQ. Welchen Mehrwert bringt diese Mitgliedschaft?

Als Mitglied sind wir im ANQ-Vorstand vertreten und können uns dort ganz direkt in die Weiterentwicklung des ANQ und der Messungen einbringen. Seit zweieinhalb Jahren hat die MTK/ZMT auch das Vizepräsidium inne. Das Mitgestalten ist uns sehr wichtig. Deshalb geht unser Engagement auch über den Vorstand hinaus: Als einzige Versichererorganisation engagiert sich die MTK/ZMT auch in einem Qualitätsausschuss des ANQ.

Der persönliche Kontakt zu den ANQ-Mitgliedern und der Geschäftsstelle stellt ebenfalls einen Mehrwert dar. Der ANQ lebt von der Vernetzung zwischen Leistungserbringern, Versicherern und Kantonen. Stehen sonst häufig Partikularinteressen im Vordergrund, haben wir im ANQ einen gemeinsamen Nenner, die Qualität. Dank dem ANQ können wir die Qualität im stationären Bereich autonom messen – ohne die Einmischung des Staates oder einer staatlichen Organisation.

2024 feiert der ANQ sein 15-jähriges Bestehen. Was braucht es, damit der ANQ seine Aufgaben auch in Zukunft im Interesse aller Mitgliederorganisationen erfüllen kann? Und was wünschen Sie sich für den ANQ?

Zuallererst gratuliere ich dem ANQ im Namen der MTK/ZMT herzlich zum Jubiläum. Möge das «innere Feuer» der Mitarbeitenden auch in Zukunft so hell weiterbrennen wie bisher! Für den ANQ wünschen wir von der MTK/ZMT uns, dass er weiterhin den Mut hat, neue Erkenntnisse und Technologien einzubringen – dies auch mit dem Ziel, den Versicherten einen niederschwelligen Zugang zu seinen wertvollen Qualitätsaussagen zu geben. Seit seiner Gründung hat der ANQ bewiesen, dass sich in der Qualität ein Konsens finden lässt. Dieser Konsens muss auch in Zukunft unser Anliegen sein.

«Im ANQ haben Leistungserbringer, Versicherer und Kantone einen gemeinsamen Nenner: die Qualität.»

Andreas Christen steht der Zentralstelle für Medizinaltarife (ZMT) seit 2017 als Direktor vor. Bevor er diese Aufgabe übernahm, leitete er den Bereich Medical Services & Gesundheitsmarkt der Zürich Schweiz und hatte Führungsfunktionen bei der Sanitas und der CSS inne.

Fotos: © Sandra Stampfli / ANQ