Vorbemerkung der Redaktion:
Anderen Menschen zu dienen ist ein zentraler christlicher Auftrag. Es ist eine Lebenseinstellung, die in Jesus Christus verwurzelt ist (Markus 10,45). Jeder Christ soll seine Fähigkeiten, seine Zeit und Kraft als Dienst für andere verstehen (1. Petrus 4,10). Eine solche Haltung zu leben, kann durchaus als geistliche Übung verstanden werden. Neben dem Dienst des Einzelnen in Familie, Beruf und Gemeinde gibt es auch den Bereich des organisierten Dienens. Auf diese Weise entstehen zusätzliche Möglichkeiten des Dienens, die Einzelpersonen völlig überfordern würden. Als Beispiel folgt hier ein Einblick in das christliche Sozialwerk HOPE in Baden (AG).
Deborah Schenker
HOPE gibt Hoffnung mittendrin!
Der Verein HOPE Christliches Sozialwerk in Baden setzt sich seit über 40 Jahren für sozial benachteiligte Menschen in der Region ein. Unser Werk entstand 1983 während der grossen offenen Drogenszene in der Schweiz. Als der Platzspitz und Lettenhof in Zürich geschlossen wurden und die Suchtkranken in ihre Gemeinden zurückgeschickt wurden, entstand auch in Baden eine Drogenszene. Die Gründer von HOPE erkannten die Not und starteten darauf mit einer Gassenküche und mit diakonischer Arbeit. Dieser niederschwellige Ansatz mit rascher und unbürokratischer Soforthilfe für Menschen, die durch die Maschen des Sozialsystems fallen, wird heute noch so umgesetzt. Ebenso ist die Motivation für diese Arbeit in der christlichen Nächstenliebe noch genauso stark gegründet wie zu Beginn. Wir wollen gemäss Matthäus 25,35 handeln und Menschen in Not dienen und ihnen zu essen und zu trinken geben, sie beherbergen und in die Gemeinschaft integrieren.
Liebe muss praktisch werden
Von Anfang an war klar, dass nicht nur über christliche Nächstenliebe geredet werden sollte, sondern dass diese Liebe durch praktisches Handeln gezeigt werden muss. Obdachlose Menschen wurden bei den Gründern zu Hause beherbergt. Die meisten Mitarbeiter waren ehrenamtlich tätig. Daraus hat sich ein Team mit aktuell über 60 freiwillig Engagierten entwickelt. Ohne ihre Unterstützung könnten wir die über 40 Angebote nicht bewältigen. Fred Grob, Cartoonist und Gefängnisseelsorger, ist seit Beginn bei HOPE aktiv. Er leitete den Sozialbereich und ist heute über 75 Jahre alt, aber immer noch fast täglich im Dienst unterwegs. Seine Berufung lässt sich nicht einfach in den Ruhestand schicken. In seinem Buch «Liebe für Ungeliebte» beschreibt er, wie nur Gottes bedingungslose Liebe Menschen in diesen Extremsituationen erreichen kann. So setzt er sich unermüdlich ein und hat ein riesiges Herz für die Zielgruppe.
Für Menschen am Rand der Gesellschaft da sein
Es ist uns ein Anliegen, uns zum Wohl der Gesellschaft einzusetzen, indem wir Angebote schaffen, die dringend benötigt werden, aber von öffentlicher Seite nicht oder noch nicht vorhanden sind. Im Kanton Aargau bieten wir die einzigen betreuten Wohnplätze für Menschen mit schweren Suchterkrankungen an, die nicht abstinenzorientiert sind, und betreiben die einzige Notschlafstelle im Auftrag des Vereins Notschlafstelle Aargau. Wenn junge Menschen bereits obdachlos waren oder in Wäldern oder auf dem Balkon eines Freundes lebten, macht uns das zutiefst betroffen. Wenn sie bei uns wieder einen Platz finden, freut uns das sehr. Dabei treffen sich im urchigen Restaurant Jung und Alt. Egal welcher Herkunft, Religion oder Status: Menschen sind bei uns willkommen, und wir begegnen allen auf Augenhöhe. Wir sind überzeugt, dass auch Jesus sich in dieser Gesellschaft sehr wohlgefühlt hätte, und halten daran fest, dass es keine hoffnungslosen Fälle gibt.
Menschen sind bei uns willkommen, und wir begegnen allen auf Augenhöhe.
Dienen in der Abhängigkeit von Gott
Es ist ein Privileg, dass wir uns in dieser Arbeit engagieren dürfen. Wir kommen oft in Situationen, in denen unsere Methoden und menschlichen Möglichkeiten an ihre Grenzen stossen. Daher bringen wir diese Herausforderungen immer wieder im gemeinsamen Gebet vor Gott. Oft haben wir keinen klaren Plan, wie wir uns verhalten sollen, und lassen uns führen. Ein Drittel unserer Finanzen hängen von Spendengeldern ab. Auch in diesem Bereich müssen wir ganz auf Gottes Versorgung vertrauen. Wir können diese Arbeit nicht allein bewältigen und sind aufeinander angewiesen – und diese Abhängigkeit macht uns in unserem Dienst demütig.
Oft haben wir keinen klaren Plan, wie wir uns verhalten sollen, und lassen uns führen.
Ich bin seit über dreieinhalb Jahren als Geschäftsleiterin tätig. Mich von Gott führen zu lassen, war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Zu Beginn dachte ich, Gott mache Witze, mich in diese Arbeit zu schicken. Ich war 20 Jahre lang in der Altersarbeit und in der Beratung tätig. Mein Plan war es, mit meiner Managementausbildung eine gediegene Seniorenresidenz in elegantem Ambiente zu führen. Bei uns im HOPE sind die Räumlichkeiten eng, und ich musste mir von meinen Mitarbeitern erst erklären lassen, wie Drogen konsumiert werden, damit ich überhaupt erkennen konnte, ob jemand konsumiert oder nicht. Ich hatte nur wenig Berührungspunkte mit unserer Zielgruppe, aber ich habe schon immer eine tiefe Liebe für Menschen empfunden, die traumatisiert sind. Ich bin auf diese Aufgabe in vielerlei Hinsicht vorbereitet worden. Dennoch erforderte es von mir eine Herzens-Entscheidung und eine tiefe Hingabe für diesen Dienst. Es hat mich einiges gekostet, und mein persönliches Umfeld musste in den letzten Jahren oft auf mich verzichten. Dennoch kann ich jeden ermutigen, dem Ruf zu folgen und sich ganz einem Dienst hinzugeben, den Gott bestimmt hat. Ich erlebe, dass in dieser Hingabe für etwas Grösseres ein riesiger Segen liegt. Gott ist treu und schenkt uns alles, was wir brauchen, und darüber hinaus noch viel mehr auf eine Weise, die mich immer wieder überrascht und tief berührt. Denn auch im Dienen ist es wichtig, dass wir Bedürftige und Bediente sind und unseren Liebes- und Energietank füllen lassen.
Dienend führen
Obwohl ich jetzt Chefin bin, habe ich festgestellt, dass es noch mehr ums Dienen geht als vor vielen Jahren im Nachtdienst als Pflegehilfe. Damals war ich ganz unten in der Hierarchie, aber das Prinzip des gegenseitigen Unterordnens und der gegenseitigen Wertschätzung, wie es in Philipper 2,3 beschrieben wird, gilt in der Führung umso mehr. So wie Jesus die Füsse Seiner Diener gewaschen hat, sollen auch wir mit genau dieser Haltung einander dienen. Es ist wichtig, dass wir unsere Identität und unseren Wert nicht von der geleisteten Aufgabe ableiten. Wie im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg in Matthäus 20,1–16 sollen wir uns allein darauf konzentrieren, dass der Weinberg-Besitzer gütig ist und für alle einen Platz hat, unabhängig von Äusserlichkeiten, und Ihm nacheifern.
Es ist wichtig, dass wir unsere Identität und unseren Wert nicht von der geleisteten Aufgabe ableiten.
Mein Wunsch ist, dass unser ganzes Team immer mehr nach dem Herzen Gottes leben darf und dass wir wie unsere Vorgänger weiterhin vielen Menschen mit unserem Dienst neue Hoffnung schenken können.