Im Juni durfte ich in der FEG Ägeri predigen. Ich habe mich sehr gefreut, die Gottesdienstbesucher und das Team vor Ort kennenzulernen. Die Jugend leitete und gestaltete an diesem Sonntagvormittag den Gottesdienst. Begeistert hatte Jenna und mich der freundliche Umgang zwischen Jung und Alt und die Vielfalt der Gottesdienstelemente. Wir waren sehr gerne bei euch zu Besuch. Herzlichen Dank! Gerne teile ich mit euch ein paar Gedanken aus der Predigt.
Robin Hugentobler, Leiter FEG Jugend. Ich feiere das Leben und liebe es, mit Jesus unterwegs zu sein. robin.hugentobler@feg.ch
Umgang mit Ungerechtigkeit
Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern brachte mich in den letzten Wochen neu ins Nachdenken. Josef war noch ein Jugendlicher, als ihm von seinen Brüdern viel Unrecht angetan wurde. Josef war sicherlich nicht der angenehmste Bruder: Er berichtete seinem Vater, wenn seine Brüder etwas Schlechtes getan hatten (1 Mose 37,2). Zudem war er ein Träumer und verkündete seinen Brüdern eines Tages, dass sie sich in seinem Traum vor ihm verneigt hätten. Dies verärgerte die Brüder. Ihr Hass auf Josef nahm zu. Und als wären dies nicht schon genug Gründe, Josef nicht zu mögen, war er auch noch der Lieblingssohn des Vaters und erhielt besondere Anerkennung von ihm.
Als die Brüder eines Tages – draussen in der Wildnis und weit weg vom Vater – die Möglichkeit hatten, Josef in die Sklaverei zu verkaufen, mussten sie nicht lange überlegen. Sie behandelten ihn abschätzig, würdelos, rissen ihm sein schönes Kleid vom Leibe und lieferten ihn an ismaelitische Händler aus, die auf dem Weg nach Ägypten waren.
Vergebung oder Vergeltung?
Welche Gefühle sind wohl in Josef hochgekommen, als seine Brüder so brutal mit ihm umgingen?
Wie würdest du mit harter Ablehnung, Ausgrenzung und erlebtem Hass umgehen? Was, wenn du mit Mobbing, körperlicher Gewalt und tiefster Enttäuschung konfrontiert wärst?
Josef ging wahrscheinlich davon aus, dass er seine Brüder nie wieder sehen würde. Aber was, wenn doch? Würde er ihnen vergeben – oder sich an ihnen rächen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte?
Auch heute passiert auf der Welt viel Unrecht. Wir Menschen finden uns oft wie Josef an einer Kreuzung wieder, wo wir zwischen zwei Wegen wählen müssen: Vergebung oder Vergeltung?
Vergebung ist ein Prozess
Bei Josef kam es tatsächlich zu einem Wiedersehen mit seinen Brüdern. In ganz Kanaan herrschte damals eine grosse Hungersnot, von der auch Josefs Familie betroffen war. Nur in Ägypten gab es noch zu Essen. Ausgerechnet Josef, der durch Gottes übernatürliches Wirken zum Stellvertreter des Pharaos wurde, war für die Essensausgabe zuständig.
Unerwartet standen nun – viele Jahre später – seine Brüder hungrig vor Josef und verneigten sich vor ihm. Sie erkannten ihn nicht. Josef konnte nun wortwörtlich über ihr Schicksal entscheiden. Soll er sie dem Hunger ausliefern und so an ihnen Vergeltung ausüben? Oder soll er den Weg der Vergebung einschlagen und sie retten?
Für mich ist es ermutigend zu sehen, dass Josef ein Mensch war wie wir: Es fiel ihm nicht leicht, den Weg der Vergebung einzuschlagen. Der Text beschreibt dies zwar so nicht direkt, aber ich glaube, wir können an Josefs Verhalten erkennen, dass er innerlich mit sich rang und mit seinen Emotionen und der Vergangenheit zu kämpfen hatte. Denn Josef fand vorerst harte Worte gegenüber seinen Brüdern und liess sie alle für drei Tage ins Gefängnis werfen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt gab er sich ihnen zu erkennen. Er erklärte ihnen, dass er Gottes souveränes Handeln in seiner Geschichte erkannte. Das, was er vor vielen Jahren geträumt hatte, war eingetroffen. Er realisierte, dass er dank Gottes Führung seinen Brüdern nun sogar zum Segen werden konnte.
Den Weg der Vergebung einschlagen
Schliesslich entschied sich Josef, seinen Brüdern von Herzen zu vergeben. Die Geschichte lehrt mich, dass wir das Böse durch das Gute überwinden können, und dass wir Gottes Wege oft erst im Nachhinein als für uns sinnvoll erkennen.
In einer Welt, in der Vergeltung oft die Antwort auf Ungerechtigkeit ist, sind wir als Jesus-Nachfolger dazu berufen, stattdessen wie Josef – und natürlich wie auch Jesus Christus – den Weg der Vergebung einzuschlagen.