Heinzpeter Hempelmann
Wer missionarisch arbeiten will, sollte sich am Beispiel und Vorbild des lebendigen Gottes selbst orientieren. Weil Gott mit uns Menschen kommunizieren will, wird Er Mensch; wird Er wie wir; taucht Er ein in unsere Welt. Das Johannes-Evangelium sagt: Das Wort, das Gott selber ist, wird Fleisch. Es teilt unsere Existenzbedingungen (vgl. Johannes 1,14). Gott selber nimmt an unseren Lebensbedingungen teil.
Dem Missionskonzept Gottes folgen
Der Hebräerbrief kann die Aussage wagen, dass Jesus ein barmherziger Hoherpriester wird. Er wird in allem versucht wie wir. Er lernt unsere Welt, ja Er lernt über dem, was Er an dieser und in dieser Welt leidet. Dass Gott in Jesus unter uns ist, das macht etwas mit Ihm. Das verändert Ihn. Gott lernt uns in Jesus kennen. Wir sehen hier :
- Weil Gott uns liebt, will Er uns helfen.
- Er hilft uns nicht, indem Er vom Himmel aus ein Rettungsprogramm fernsteuert.
- Er kommt zu uns. Er zeigt Interesse, indem Er unter uns, zwischen uns Menschen ist.
- Er lernt dabei unsere Situation, unsere Not kennen. Natürlich weiss Gott, wer wir sind und wie es um uns bestellt sind. Aber dieses theoretische Wissen reicht Ihm nicht. Kennen lernen ist ganz etwas anderes als theoretisch Bescheid zu wissen. Es ist berührt werden, angerührt werden, sich durch die Teilhabe an einer Situation auch verändern lassen.
Das Missionskonzept von Paulus
Paulus bringt die Sache missionstheologisch auf den Punkt : «Ich bin allen alles geworden», so formuliert er sein Missionskonzept, mit dem er genau dem skizzierten Vorbild des lebendigen Gottes folgt. «Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi –, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette» (1. Korinther 9,19–22).
Bei Paulus wird deutlich, was dieses «Interesse» theoretisch und praktisch bedeutet :
- differenzieren können, mit wem man es zu tun hat ; nicht alle über einen Kamm scheren.
- wahrnehmen, dass die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, sehr unterschiedlich sind ; ja dass sie zwar alle das Evangelium brauchen, dass sie selber aber völlig gegensätzliche Standpunkte (Jude – unter dem Gesetz, Heide – ohne Gesetz) einnehmen.
- sich auf die unterschiedlichen Szenarien einlassen ; in die unterschiedlichen religiösen Milieus eintauchen.
- die eigene Herrlichkeit verlassen ; sich nicht mehr als Nabel der Welt betrachten.
Dass Gott in Jesus unter uns ist, das macht etwas mit Ihm. Das verändert Ihn. Gott lernt uns in Jesus kennen.
Vier Grundsätze für unsere missionarische Strategie
- Die, die wir erreichen wollen, müssen wir liebhaben ; sonst halten wir den Stress und die Mühe gar nicht aus. Kirchenleitende Strategien und missionarische Gemeindeaufbau-Programme greifen da zu kurz, wo sie das ersetzen wollen, was nicht ersetzbar ist : Nicht der Erhalt der Kirche, nicht das Wachstum der Gemeinde steht im Mittelpunkt, sondern das Interesse an Menschen, die noch nicht das Glück haben, dass das Evangelium ihr Leben prägt.
- Wenn wir Menschen erreichen wollen, müssen wir zu ihnen hingehen, müssen wir an ihrer Lebenswelt teilnehmen. Wir müssen uns abkehren von der Erwartung, dass die Menschen doch gefälligst zu uns kommen sollen. Attraktive Gottesdienste alleine reichen nicht aus. Wenn wir dem lebendigen Gott folgen wollen, bedeutet das : weg von der Komm-Struktur, hin zu der Geh-Struktur.
- Wenn wir Menschen erreichen wollen, müssen wir Grenzen überschreiten, räumliche wie mentale: genau hinschauen, mit wem wir es zu tun haben ; kennen lernen wollen. Uns nicht abgrenzen von dem, was fremd ist und seltsam wirkt, sondern eintauchen in das ganz Andere, Fremde. Berührungsängste verlieren.
- Wenn wir Menschen erreichen wollen, müssen wir bereit sein, wie Paulus zu differenzieren. Die Liebe gebietet es, Einzelnen und Gruppen in ihrer jeweiligen Prägung gerecht zu werden ; diese wahrzunehmen und das Evangelium in ihrer Lebenswelt lebendig werden und wirksam werden zu lassen.
Die Liebe gebietet es, Einzelnen und Gruppen in ihrer jeweiligen Prägung gerecht zu werden ; diese wahrzunehmen und das Evangelium in ihrer Lebenswelt lebendig werden und wirksam werden zu lassen.
Warum nicht alle so ticken wie ich
Ich weiss nicht, ob Ihnen das anders geht : Ich denke, dass eigentlich alle so denken, reden, empfinden und handeln müssten wie ich. Ich denke und handle ja richtig – wenn nicht, würde ich dann nicht anders denken ?! Ich bin normal, und ich bin dazu auch noch im Beruf und in der Gemeinde von Menschen umgeben, die ganz ähnlich denken, reden, empfinden und handeln wie ich. Das zeigt doch nur, dass ich richtig liege. Das Problem ist nur, es gibt offenbar eine ganze Reihe von Leuten, die anders sind. Das ist aber nicht wirklich zu verstehen – oder ? Eigentlich, wenn sie vernünftig denken, müssten sie doch so ticken wie ich.
Das eigentliche Problem ist : Es gibt eine ganze Reihe von Gruppen in unserer Gesellschaft, die so sind wie ich und genauso empfinden, wie ich ihnen gegenüber. Jeder denkt, er wäre normal, weil er oder sie es ja gewohnt ist, so zu ticken, wie er oder sie tickt, und weil wir uns natürlich mit Menschen umgeben, die so ticken wie wir. Alles andere wäre ja auch viel zu mühsam. Die, die anders sind als wir, denen signalisieren wir auf vielerlei Weise: Ändere dich, oder du gehörst nicht zu uns ! Wir bilden Gruppen gleich Gesinnter und wir leben in ihnen. Sie stabilisieren uns in unserer Weise, die Welt zu sehen. Sie geben uns Halt und Sicherheit, wenn wir merken, dass die Welt da draussen so ganz anders ist.
Wir bilden Gruppen gleich Gesinnter und wir leben in ihnen. Sie stabilisieren uns in unserer Weise, die Welt zu sehen. Sie geben uns Halt und Sicherheit, wenn wir merken, dass die Welt da draussen so ganz anders ist.
Das Problem ist zudem, dass nicht nur die Gesellschaft so funktioniert, sondern eben auch unsere Gemeinden, Gemeinschaften, Hauskreise und (Kirchen-)Gemeinden. Dass wir sie attraktiv gestalten, heisst ja im Regelfall, wir machen sie noch mehr so, dass Menschen wie wir sich in ihnen wohlfühlen. Das Fatale dabei : Je wohler sich die einen fühlen, je mehr fühlen sich andere mit einer ganz anderen Prägung abgestossen. Je mehr die einen sich einbezogen fühlen, desto mehr spüren die anderen instinktiv: Wir gehören nicht dazu. Das ist nicht unser Ort. Das ist besonders deutlich bei so «Äusserlichkeiten» wie Musik und Gesang im Gottesdienst.
Es fängt aber eigentlich schon an mit den Gottesdienstzeiten und den Orten, an denen der Gottesdienst stattfindet. Sonntagmorgen, 10.00 Uhr, ist für den einen ein Gesetz der Meder und Perser, für den anderen bedeutet es das Signal : Mich wollen die nicht dabei haben. Das passt doch gar nicht zu meinem Leben. Denn das ist die einzige Zeit, wo ich ausschlafen kann; oder : Das ist die einzige Zeit, wo wir als Familie miteinander kommunizieren können ; oder : Das ist die Zeit, wo ich berufstätig bin (ca. 40 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung im Dienstleistungsbereich). Was für mich eine Entlastung bedeutet : Jeden Sonntag, gleicher Ort, gleicher Sitzplatz, gleiche mentale Welle, das ist für meinen Heranwachsenden nur ätzend, nur abschreckend.
Sollen die anderen sich uns anpassen !
Uns, den Etablierten, fällt da nur ein : Wir sind doch da ! Bei uns wird das Evangelium verkündigt. Sollen die anderen sich doch an uns anpassen ; sollen sie zu uns kommen ; sollen sie doch ihr Leben ändern, um bei uns mittun zu können. Nur, genau das ist eben nicht die Weise Jesu, die Art, wie Gott mit uns kommuniziert, indem Er uns aufsucht. Das ist nicht die Missionsstrategie des Paulus, der eben nicht erwartet, dass alle erst einmal so werden wie er, bevor er ihnen das Evangelium weitersagen kann.