Hans Dumler zwischen Himmel und Erde

Spiegel der Seele – Hans Dumler in Freising

Das Leben des Künstlers Hans Dumler bildet fast ein ganzes Jahrhundert deutscher Geschichte ab. Sein Werk, das im Lauf von siebzig Schaffensjahren entstand, spiegelt die Seele eines Menschen, der seine Jugend in Angst vor der nationalsozialistischen Rassegesetzen verbrachte, der als junger Mann das Trauma des Krieges und dann das Glück des Friedens erfuhr, der in die Welt hinausging und wieder zurückkehrte, der Höhenflüge und Tiefschläge erlebte, der sich zurückzog und beinahe verzweifelte, der sich immer wieder aufraffte und einen Neuanfang wagte. Alle Lebensphasen, gesundheitliche und private Probleme, Einsamkeit und nicht zuletzt auch die große Liebe am Ende seines langen Lebens haben sich in die Bilder von Hans Dumler eingeschrieben. Die Kunst war für ihn der Weg, das Erlebte zu verstehen und zu deuten. Und sie war gleichzeitig der Weg, sich seinen Mitmenschen zu offenbaren.

Hans Dumler wurde 1922 in Köln geboren. Sein leiblicher Vater war der jüdische Schuhfabrikant Louis Berg, die Mutter heiratete jedoch kurz vor seiner Geburt einen anderen Mann, sodass seine jüdische Abstammung geheim blieb. 1939 begann Dumler eine Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker an den Kölner Werkschulen. Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft verschlug es ihn nach Bayern. An der Akademie der Bildenden Künste in München konnte er sein Studium fortsetzen. Er wurde Meisterschüler und später auch Assistent von Franz Nagel. Ein Stipendium ermöglichte ihm Mitte der 1950er Jahre einen Studienaufenthalt in Paris. 1966 reiste er mehrere Monate durch Griechenland. Nach Auszeichnungen, internationalen Ausstellungen und Ankäufen wurde seine vielversprechende Karriere jäh unterbrochen, als 1976 der renommierte Münchner Galerist Günther Franke starb, der ihn mehrere Jahre lang vertreten und gefördert hatte.

Danach verließ Hans Dumler München und lebte auf Gut Memming bei Landsberg. Er malte die Äcker, Wiesen und Felder vor seiner Haustür und bestritt seinen Lebensunterhalt mit Kunst-am-Bau-Aufträgen. Gesundheitliche Probleme und eine gescheiterte Beziehung taten ein Übriges, um ihn in eine tiefe Depression zu stürzen. Als ihm dann auch noch die Wohnung gekündigt wurde, musste er sein Eremitendasein notgedrungen aufgeben. 1992 konnte er ein von Wolf-Eckart Lüps geplantes Atelierhaus in Utting beziehen. 2004 heiratete er seine dritte Frau Ruth Denk – und kehrte im hohen Alter noch einmal ins Leben zurück. Er starb im April 2017, nur wenige Tage vor der Eröffnung einer Ausstellung, die ihm Fritz Dettenhofer zum 95. Geburtstag widmete.

Die aktuelle Ausstellung, die seiner Biografie folgt, setzt mit einem Selbstporträt aus dem Jahr 1959 ein. Dumler war gerade aus Paris zurückgekehrt. Er hatte Bilder von Picasso gesehen, auch Dubuffet hatte ihn stark beeindruckt. Aus der schroffen und expressiven Malweise tritt dem Betrachter die verwundete Seele des Künstlers, ja der gesamten Menschheit entgegen: Völkervernichtung und Verfemung lagen erst wenige Jahre zurück, als Dumler sich selbst im schwarzen Bildgrund mit weit aufgerissenen Augen und ängstlich vor dem Körper verschränkten Armen positionierte.

Die Klärung seines eigenen Standpunkts, vielleicht auch eine Art Heilung erlebte Dumler im Jahr 1966 auf einer Griechenlandreise. Fast könnte man meinen, er habe die mediterrane Landschaft nicht mit seinem R4 erkundet, sondern sie wie ein Vogel – zwischen Himmel und Erde – überflogen. Wie auf Landkarten oder Brettspielen stellt er Olivenhaine, Weinberge, Häuser, Serpentinenwege, felsige Buchten und Kiesstrände, ja sogar das Leben der Menschen dar. Nicht das Postkartenmotiv, nicht das Meer und der Horizont interessieren ihn, sondern Kleinteiligkeit, Vielfalt und Struktur. Aber auch wenn er die klassische Landschaftseinteilung völlig vernachlässigt, so sind doch die Weite, das südliche Licht und die klaren Kontraste in jedem Blatt präsent.

Dieser Schwebezustand trägt Dumler durch die wilden Sechziger und auch weit in die Siebziger Jahre hinein. Er entspricht nun mit seinen Bildern, die von einer starken Farbigkeit, organischen Formen und dem Einfluss der Pop Art geprägt sind, ganz dem neuen Zeitgeist. Immer noch blickt er gerne aus der Vogelperspektive auf die bunte und freundliche Welt, gleichzeitig antizipiert er hier – insbesondere bei der Figurendarstellung – bereits die zeichenhafte Verkürzung der späten Jahre.

Obwohl Dumler schon seit Ende der 1960er Jahre dank zahlreicher Aufträge zur künstlerischen Gestaltung von öffentlichen Gebäuden keine wirtschaftlichen Sorgen hatte, führte ihn das zurückgezogene Leben auf Gut Memming im Landkreis Landsberg am Lech immer weiter in die Isolation und schließlich in eine tiefe Krise. In dem großzügigen Austragshaus wohnte er im Erdgeschoss und arbeitete im ersten Stock. Anstatt mit Menschen umgab er sich mit Katzen, die nun ebenfalls Einzug in seine Bildwelten hielten. Gleichzeitig schuf er in dieser Phase Arbeiten, mit denen er sich weit von allem Vorangegangenen entfernte und eine ungeahnte malerische Qualität erreichte. Es entstanden Landschaften mit oftmals beinahe surrealer Anmutung, durchdrungen von einem geheimnisvoll-gefährlichen gelben Licht. In den Stillleben und den Interieurs aus dieser Zeit wird die Erfahrung der Einsamkeit greifbar.

Als Dumler dieses zwar leere, aber doch wohlgeordnete Zuhause verliert, verändert sich seine Bildsprache noch einmal radikal. Wie dreißig Jahre zuvor malt er nun wieder sich selbst. Fast scheint es, als kann er nicht mit Worten, sondern nur im Bild ausdrücken, was in ihm vorgeht. Seine Welt zerbirst, er findet keine Ruhe mehr. Drängend wirft er die Pinselstriche aufs Papier. Mann, Katze, Haus fliegen förmlich auseinander, obwohl die Szene mit „Siesta“ betitelt ist. Auf einem anderen Blatt droht ihn das gelbe Licht ganz zu verschlucken. Wieder ist er fassungslos. Mit weit aufgerissenen Augen blickt er diesmal nicht auf die Vergangenheit, sondern in eine ungewisse Zukunft.

Und doch wendet sich schließlich alles zum Guten. Dumler zieht in ein lichtes Haus in Utting am Ammersee. Er lernt neue Menschen kennen, er ordnet seine Welt und sein Schaffen. Wieder greift er auf die Vereinfachung der Formen bei gleichzeitiger Steigerung des Ausdrucks, auf die zeichenhafte Verkürzung bei der Darstellung von Figuren und auf die Verwendung von Primärfarben zurück. Gleichzeitig reduziert er nun das Bildgeschehen radikal auf geometrische Formen. Nicht nur Köpfe, Körper, Frisuren, Nasen, Arme, Beine, Geschlechtsteile – alles setzt er aus Rechtecken, Dreiecken und Halbkreisen zusammen. Und doch wohnt selbst einem solchen eckigen Liebesakt eine sachte Poesie und eine zärtliche Sehnsucht inne.

Als hätte er sie sich mit den gezeichneten und gemalten Paaren herbeigewünscht, tritt tatsächlich noch einmal eine Frau in das Leben des mittlerweile fast Achtzigjährigen. Sie verändert alles. Aus eckig wird praktisch über Nacht rund. Dumler erfindet sich für seine letzte Schaffensphase noch einmal neu – und bleibt sich doch ganz und gar treu. Er entwickelt seinen eigenen und unverwechselbaren Stil, irgendwo zwischen Expressionismus, Pop Art und Naiver Malerei. Frauen werden nun sein bevorzugtes, sein beinahe ausschließliches Bildsujet. Und eigentlich ist es immer nur die eine Frau, die ihn noch einmal zum Liebenden gemacht hat. Mal ist sie nackt, mal bekleidet. Mal kann sie sich nicht entscheiden, was sie anziehen soll. Mal trägt sie nichts als Lockenwickler und roten Lippenstift. Aber diese Bilder sind alles andere als die Darstellungen von Gesehenem. Der Maler kombiniert hier spielerisch alles mit allem und testet verschiedene Farbigkeiten, aber es geht ihm doch um mehr als eine rein formale Auseinandersetzung mit Farbe, Form und Figur.

Auch diese zuletzt entstandene Werkreihe von Hans Dumler ist als Innenschau zu verstehen. Sie ist bunt, humorvoll und immer noch so vital wie der kleine Mann, der den Betrachter an seinem späten Glück teilhaben lässt. Diese Bilder sind facettenreich und symbolhaft aufgeladen, manchmal voller Hinweise und Anspielungen auf seinen Lebensalltag. Sie sind noch einmal ein Spiegel seiner Seele.

Katja Sebald

Dank

Herzlichen Dank an Ruth Dumler und Yvonne Denk für ihr Vertrauen und die gute Zusammenarbeit. Katja Sebald ist es wieder gelungen einen wunderbaren, einfühlsamen Text zu schreiben. Bezüglich der Onlinepräsentation erleben wir eine Premiere. Die Gestaltung wurde in fabelhafter Weise von Annika Aurbach und Paulo Mulatinho gemeinsam erstellt.

Die Ausstellung ist vom 28. Juni bis 2. August 2025 zu den Öffnungszeiten der Galerie zu besuchen.

galerie 13 - fritz dettenhofer

ERSTELLT VON
Paulo Mulatinho