Den Stuhl des Präsidiums vor Augen Die 21-jährige Julia Roelli will Präsidentin der Synode werden. Die Diepoldsauerin erzählt von ihrer Motivation für das Amt, über die grössten Baustellen der Kirche und ein Synoden-Erlebnis, das sie wohl nie mehr vergessen wird.

«Ein unübliches Ziel für ihr Alter». So beschreibt der «Rheintaler» das Vorhaben der 21-jährigen Julia Roelli. Der Grund dafür wird schnell klar: Die Diepoldsauerin will Präsidentin der St. Galler Synode werden. Unüblich ist dieses Ziel definitiv. Schliesslich waren ihre Vorgänger:innen meistens doppelt oder dreifach so alt wie sie, brachten jahr(zehnte)lange Erfahrung im Kirchenparlament mit und waren nicht selten auch beruflich in der Kirche tätig. Sie dagegen ist erst seit 2022 Synodale, arbeitet auf einer Bank und beginnt diesen Herbst ihr Studium in Management und Recht. Ein Problem ist dies aber nicht. Einzig ihre fehlende Synoden-Erfahrung liess sie zurückhaltend reagieren, als turnusgemäss in der Region Rheintal eine Person für das Präsidium gesucht wurde. Denn im entsprechenden Mail wurde gewünscht, dass die Person bereits etwas Erfahrung aus der Synode mitbringt. «Wäre dieser Satz nicht gewesen, hätte ich mich direkt gemeldet», sagt die 21-Jährige. So brauchte es einen kleinen Umweg: Da sich niemand auf die Mail-Anfrage meldete, wurde Julia nochmals direkt per Telefon angefragt – und sie sagte zu. Nun wird sie aller Voraussicht nach ab 2024 Vize- und ab 2026 Präsidentin des reformierten Kirchenparlaments sein. Eine Senkrechtstarterin.

Will sich nicht für Kirche rechtfertigen

Die Diepoldsauerin freut sich sichtlich auf ihr Amt. Denn zum einen könne sie in dieser Funktion enorm viel lernen. Zum anderen wird sie als Präsidentin der Synode auf dem richtigen Stuhl sitzen, um etwas zu bewirken und mitzugestalten. Letzteres ist auch der Grund, warum sie überhaupt in der Synode ist. Sie will sich dort für die Kirche und deren Zukunft einsetzen. In der Kirchgemeinde macht Julia das schon lange. Früher ging sie nach der Schule in den «Fritigstreff» und an Kindergottesdienste, später half sie dort mit. Als die Kirchgemeinde Diepoldsau die Pfarrstelle neu besetzen musste, meldete sie sich für die Pfarrwahlkommission. Allerdings musste sie sich für ihr Engagement und ihre Nähe zur Kirche immer wieder rechtfertigen. Trotzdem machte sie weiter. Man braucht Julia nicht lange zu kennen, um festzustellen, dass die Kirche ihr wirklich wichtig ist. Deshalb will sie sich dafür auch nicht rechtfertigen müssen. Nicht für ihr Engagement. Nicht für ihre Kirche. Deshalb engagiert sie sich auch, um die Kirche mitzugestalten und weiterzubringen. Weiter zu einer Kirche, für die sie sich nicht rechtfertigen muss.

Die Baustellen der Kirche

Die vorgeschlagene Synode-Präsidentin hat klare Ansichten, wo die Kirche Baustellen hat: «Im Zentrum der Kirche stehen Gott und die christlichen Werte». In den Köpfen der Leute sei die Kirche aber etwas Altes und Starres. Dieses Image will die 21-Jährige ändern: Die Kirche müsse mehr aufzeigen, dass sie beweglich und nah am Leben der Menschen ist. «Ich will, dass die Leute an die Werte der Kirche denken und nicht an ein Gebäude aus altem Stein.» Ein Gebäude aus altem Stein – eine harte, aber doch treffende Metapher.

Über ihre Vorstellungen spricht Julia in einer erstaunlichen Gelassenheit. Sie kennt ihre Ansichten und formuliert diese präzise aus. Sie spricht bestimmt nicht zum ersten Mal über die Kirche und ihre Meinung. Zu abgeklärt, die theologische Flughöhe zu hoch, die obige Metapher zu passend. Genau diese Gespräche und Diskussionen findet Julia so spannend, dass sie kaum damit aufhören möchte. Das merkt man und deshalb wirkt ihre Kandidatur fürs Präsidium authentisch. Und deshalb ist das Glas Hahnenwasser auch am Schluss des Gesprächs noch nicht leer.

Seriös und schlicht

Wahrscheinlich gibt es wenige 21-Jährige, denen man das Synoden-Präsidium zutrauen würde. Anders bei der Diepoldsauerin: Sie wurde im Juni von der Vorsynode Rheintal einstimmig nominiert. Julia ist zwar nicht die, die den Ton in der Synode angeben und im Rampenlicht stehen will oder die den Ablauf und die Themen in der Synode bereits in- und auswendig kennt. Aber sie ist auch nicht die, die einen Schnellschuss abfeuert, mit einer unglücklichen Formulierung in ein Fettnäpfchen tritt oder aneckt und so einen konstruktiven Diskurs erschwert. In Kombination mit ihrem seriösen, aber schlichtem schwarz-weiss getupften Kleid, einem einfachen Rossschwanz und keineswegs extravaganten Ohrringen hat Julia nahezu etwas von einer Magistratin. Eine Vermittlerin, die für alle ein Ohr offen hat und mit diplomatischem Geschick Konflikte besänftigt. Eine, der die Vorsynode zutraut, dass sie als Präsidentin die Geschäfte des Parlaments mit Ruhe und Professionalität leitet und die Synode sauber gegen aussen vertritt.

Ihre ersten Eindrücke der Synode

Obwohl sie aller Wahrscheinlichkeit nach bald Synoden-Präsidentin sein wird, kann sich Julia noch gut an ihre erste Synode erinnern: «Alleine der Kantonsratssaal war sehr beeindruckend». Ansonsten sei es viel Zuhören und sich einen Überblick verschaffen gewesen. Auch einen anderen Moment in der Synode wird ihr – wie vielen anderen Synodale auch – noch lange in Erinnerung bleiben. Denn in der Wintersynode 2022 kam es bei der Wahl des Kirchenrates zu einer Panne und die Wahl musste zwei Mal wiederholt werden. «Wir alle waren baff und wussten nicht, was falsch gelaufen war», sagt die 21-Jährige. Doch solche Ungereimtheiten nimmt sie mit Humor: «Jetzt lachen wir alle darüber. Es muss nicht immer alles perfekt sein.»

Text: Diego Müggler, Fotos: Diego Müggler, Andreas Ackermann