Ich glaubte ihn zu kennen, den Reto Pelli von der Prisma Kirche in Rapperswil. Er ist ein geschätzter Pastorenkollege, Referent an Konferenzen im In- und Ausland und seit 27 Jahren Pastor in Rapperswil. Aber obwohl wir fast gemeinsam im Dienst angefangen haben, kenne ich ihn nicht wirklich. Wie wir alle sehe ich nur die Frontseite. Der Blick dahinter zeigt einen anderen Reto Pelli. Einen einfühlsamen, zugänglichen, aber auch verletzlichen Familienvater, der wie wir alle durch die Tiefen des Lebens geschliffen wird.
Harry Pepelnar arbeitet zu 30 Prozent für die FEG Schweiz im Bereich Kommunikation, pepelnar@gmail.com
Jungschi-Pfingstlager
Reto, Jahrgang 1969, wächst in Wilchingen auf und verbringt eine glückliche Kindheit auf dem Land. Der Vater arbeitet bei der Swissair und ist oft über den Wolken. Die Mutter ist Krankenschwester, gläubig und muss mit ihren Grenzen leben. «Ich verbrachte jede freie Minute auf dem Fussballplatz und war ein grosser Servette-Fan!» Bis zu diesem einen Pfingstlager. Reto geht in ein Jungscharlager und hört zum ersten Mal, dass Jesus für ihn gestorben ist. Er will sein Leben Jesus geben, aber der Leiter sagt, er solle noch warten. Am nächsten Tag kniet er mit seinem Freund im Wald nieder und übergibt Jesus unter Tränen sein Leben. «Da wusste ich: Wenn das mit Jesus wahr ist, dann müssen es alle Menschen hören.»
Vollgas für Jesus
Reto schliesst sich der Jungschar an und findet es nicht richtig, dass immer nur der Pastor die Andachten macht. Selbst hört er auf Kassetten gerne Predigten von Wilhelm Pahls und übernimmt als Minileiter später auch öfters die Andachten. Auf seinem Schuletui steht in grossen Buchstaben: Jesus lebt! Er ist 15 Jahre alt. Sein Vater nimmt ihn auf einen Flug nach Südafrika mit und nachher wusste die ganze Crew, warum Jesus für sie gestorben ist. «Ich musste mich zwischen Fussball und Jungschar entscheiden – die Jungschar hat gesiegt.» Zwei Vorbilder prägen den jungen Reto. Ein cooler Jungscharleiter und eine engagierte Familienfrau, die ein Herz für junge Christen hat. «Sie hat uns Teenager jeden Montag zum Bibellesen und feinem Dessert-Essen eingeladen. Das war ein sensationelles Jüngerschaftstraining.»
Teenager kommen zum Glauben
Reto lernt Drogist und lebt mit Haut und Haaren für Jesus. Er wird als Hauptredner für ein Pfingstlager angefragt. Sein Pastor ist nicht begeistert, er findet ihn noch zu jung. Aber Reto will die Gute Nachricht weitertragen, das drängt ihn. «Ich predige bis heute für das Herz!» An diesem Wochenende kommen rund 40 Teenager zum Glauben. «Ich musste lernen, damit umzugehen. Meine Vorbilder haben mir sehr geholfen, mit dem allem umzugehen. Ich habe viel Tagebuch geschrieben, das hat mir geholfen, die Dinge einzuordnen, die ich mit Gott erlebt habe. Diese Erfahrung war ein Schlüsselerlebnis und schliesslich auch meine Berufung für den vollzeitlichen Dienst.»
Chrischona und Marlies
Eigentlich will er nicht zur Bibelschule, sondern Menschen für Jesus gewinnen. Und der Kulturschock auf Chrischona ist gross. «Das war so eine fromme Bubble.» Eine Bibelschülerin will er dort auch nicht kennenlernen, die sind ihm zu brav. Bis er Marlies trifft. Sie lebt für Evangelisation und die beiden diskutieren stundenlang über die Bücher von Floyd McClung.
Ich wollte alles richtig machen
1997 heiratete er, und statt in der FEG Sulgen ein Praktikum zu machen, holte ihn René Christen nach Rapperswil. Aufbauarbeit in einer krisengeschüttelten Gemeinde. Er hat hohe Erwartungen, an sich, an die Gemeinde und an seine Ehe. Doch die Gemeinde wächst nicht so rasch wie er es sich vorgestellt hat. Auch im Ehealltag anzukommen und neue Freunde zu finden war nicht einfach. Dann soll auch noch die Jugendgruppe geschlossen werden. «Da bin ich in eine Depression gefallen. Das war eine echte Lebenskrise. René Christen hat damals zu mir gesagt: Das gehört jetzt zu deiner Ausbildung!» Obwohl die Jugendgruppe danach wächst und die ersten Menschen zum Glauben finden, hört die Lebensschule nicht auf.
Im Jahr 2001 ist Marlies zum zweiten Mal schwanger, aber das ungeborene Kind ist körperlich behindert und stirbt nach sieben Monaten im Mutterleib. «Wir waren extrem traurig, aber ich konnte nicht weinen. Ich meinte, ich müsse stark sein und das System nicht belasten, wie in meiner Kindheit.» Erst zwei Jahre später, bei einem Willow-Kongress in Chicago, bricht es aus ihm heraus. «Ich hatte einen halbstündigen Weinkrampf.» 2002 kommt Thayssa, ein gesundes drittes Kind, zur Welt.
Heilung der Ehe
«In den ersten sieben Jahren ging es unserer Ehe nicht wirklich gut.» Reto ist wie immer mit vollem Einsatz an der Arbeit, doch die Ehe leidet. Ein Sabbatical in Neuseeland kommt da gerade recht. Und ein Schlüsselerlebnis. Gott sagt zu ihm: «Reto, bau das Reich Gottes nicht auf Kosten deiner Ehe und deiner Familie. Ehe und Familie ist Reich Gottes! «Wir haben damals viel Heilung erlebt und auch Konsequenzen gezogen!» Seither nimmt er sich meistens zwei Tage pro Woche frei und versucht, nicht mehr als an drei Abenden pro Woche zu arbeiten.
Verrückte Jahre
Das Prisma wächst und ist bis heute sehr arbeitsintensiv. «Oft sehen Menschen nur den Frontstagebereich und sehen nicht, was im Backstagebereich los ist.» Vor zwei Jahren wird bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert. Es folgt eine grosse Operation und erneut eine herausfordernde Phase. «Seit meiner Jugend suche ich Unterstützung in der Seelsorge. Ich lerne immer wieder neu was es heisst, in diesem Spannungsfeld zu leben, nicht Dienst nach Vorschrift zu machen und was ich für mich und meine Familie brauche. Das ist wohl ein lebenslanger Lernprozess für mich.»
Dass dies auch gelungen ist, zeigt die Aussage seines Sohnes Cecilio, als er zwanzig wurde: «Danke, Papa, dass du dir so viel Zeit für mich genommen hast!» Und, dass seine Leidenschaft immer noch den Menschen gilt, die Jesus noch nicht kennen.