Idda Niggli
Wir kennen wohl alle den Ausspruch: Es kommt nicht darauf an, wie viel man hat, sondern ob man zufrieden ist mit dem, was man hat. Zufriedenheit hat sehr viel mit Dankbarkeit zu tun. Da stellt sich natürlich die Frage, ob wir ein Anrecht haben auf irgendetwas, oder ob sowieso alles, was wir haben, geschenkt ist und wir daher alles mit Dankbarkeit annehmen sollten.
Meine Prägung
Aufgewachsen als sechstes von acht Kindern in einer Bauernfamilie in einem kleinen Dorf waren wir an Einfachheit gewöhnt; und für mich ist es bis heute ein Wunder, dass ich das Gymnasium besuchen und Sekundarlehrerin werden konnte.
Schon als Kinder hatten wir immer das Gefühl, dass wir genug haben: Als Gemüse gab es das, was im Garten wuchs und eine Tonne Futterkartoffeln pro Jahr reichte gut für die ganze Familie. Jedes Jahr wurde ein Schwein geschlachtet, für Milch und Käse sorgten die Kühe. Auch dass meine Mutter Gemüse und Früchte für den Winter einmachte, hat mir später in einem kleinen Dorf in Westafrika sehr geholfen, mit dem auszukommen, was vorhanden war.
Im Gymnasium machte mich jemand auf die Bibelgruppe aufmerksam, und als ich selber das Neue Testament las, wurde mir klar, dass jeder Mensch diese wichtigste Botschaft lesen können muss; so hatte mir Gott ganz klar gezeigt, dass das meine Lebensaufgabe ist.
Nach dem Studium unterrichtete ich mit Leidenschaft, aber schon im dritten Jahr wurde mir klar, dass ich nun den Beruf an den Nagel hängen und alles loslassen musste, weil Gott mir einen anderen Auftrag gab. An das Materielle hatte ich dabei nie gedacht, da ich ganz mit Gottes Versorgung rechnete. Gott hat sich um meine Bedürfnisse gekümmert, indem Er mir zuerst den richtigen Mann und dann auch einen Unterstützerkreis geschenkt hat.
Was wirklich zählt im Leben
Die Bibel sagt, dass Gier – die Liebe zu Geld und Besitz – eine Wurzel allen Übels ist (1. Timotheus 6,10). Ich bin sehr dankbar, dass ich mich nie über Besitz und Konsum oder meine Stellung in der Gesellschaft definieren musste. Meine Eltern waren immer zufrieden mit dem, was sie hatten, und haben uns Kindern nie Druck aufgesetzt in Bezug auf das, was wir beruflich erreichen müssen.
Als Teenager hat mir Gott so klar gezeigt, was wirklich zählt im Leben, dass gar keine Versuchung mehr aufkam, dass mir Besitz oder irgendwelche Ansprüche auf Luxus und Sicherheit wichtiger werden könnten als die Beziehung zu Ihm. Ich glaube, dass in diesem Punkt das Entscheidende liegt: Wie Jesus sagt, können wir nicht zwei Herren dienen (Matthäus 6,24), und in unserer Haltung zum Besitz zeigt sich, ob wirklich Christus das Zentrum unseres Lebens ist, oder ob unsere Beziehung zu Ihm nur etwas Zusätzliches ist, wir also unser eigenes Leben leben und der Glaube nur ein Teil dieses Lebens ist.
In unserer Haltung zum Besitz zeigt sich, ob wirklich Christus das Zentrum unseres Lebens ist.
Wichtig ist nicht die Einfachheit im Sinne von nichts haben zu dürfen. Es gibt auch Leute, die wenig haben und umso gieriger und auf grösstmöglichen Besitz versessen sind. Paulus schreibt im Philipperbrief, er könne in Armut leben und mit Überfluss umgehen. Er wisse, wie es sei, satt zu sein und zu hungern (Philipper 4,12). Und ich kann mich dem anschliessen: Es gibt Zeiten im Leben, wo es darum geht, alles loszulassen, weil wir Gott an die erste Stelle setzen, und es gibt Zeiten, wo wir nur staunen können, wie grosszügig Gott in jeder Beziehung ist und wir von Herzen und ohne schlechtes Gewissen geniessen können, was wir haben und immer wieder bekommen. Die Möglichkeit, einen guten Job zu haben und Geld zu verdienen, ist genauso ein Geschenk von Gott wie ein Erbe, das man (immer unverdient!) bekommt – oder eben die Spenden, von denen wir Missionare leben.
Es gibt Zeiten im Leben, wo es darum geht, alles loszulassen, weil wir Gott an die erste Stelle setzen, und es gibt Zeiten, wo wir nur staunen können, wie grosszügig Gott in jeder Beziehung ist.
Unsere Gesellschaft
Wir leben in einer Gesellschaft, wo man den Anspruch hat, jeden Tag glücklich zu sein und keine Schwierigkeiten zu haben. Alles muss optimiert werden, koste es, was es wolle. Die Gesellschaft täuscht uns vor, dass mit den richtigen Produkten ein reibungsloses Leben möglich ist.
Wenn man aus einem anderen Kulturkreis kommt, sagt man sich oft: «Die Schweizer leiden auf hohem Niveau.» Da werden bei einer Abstimmung als Gründe für die Entscheidung genannt, dass man sich sonst keine teuren Ferien oder Essen in einem Restaurant leisten könne. In Westafrika hingegen gehört man zu den ärmeren Leuten, wenn man nicht genügend zu essen hat und seine Kinder nicht zur Schule schicken kann. Also denken wir, dass diese schon zufrieden wären, wenn sie heute genügend zu essen haben. Aber auch das ist nur momentan. Sobald sie mehr haben, wollen auch sie noch mehr. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich in den Entwicklungsländern noch krasser als in den Industrieländern.
Ich denke an den Turmbau zu Babel: Die Menschen wollen hoch hinaus und alles erreichen; sie denken, alles sei möglich. Die Werbung gaukelt uns heute vor, dass du nur das Richtige kaufen musst, dann bist du glücklich und es geht dir immer gut – und dies alles unabhängig von Gott.
Fazit
Als Christen sollen wir unsere Abhängigkeit von Gott akzeptieren. Wir leben in einer gefallenen Welt und müssen bereit sein, Schwierigkeiten und Mangel zu ertragen. Dann können wir erleben, dass Gott uns führt, versorgt und uns schlussendlich alles zum Guten dient. Wenn es uns im Leben gut geht, dann ist das ein momentanes Geschenk, aber Perfektion wird erst in der Ewigkeit Wirklichkeit werden.
Perfektion wird erst in der Ewigkeit Wirklichkeit werden.
Wir brauchen die Demut, zu akzeptieren, dass das Los, das Gott uns zugeteilt hat, gut ist für uns. So kann ich mich freuen an dem, was Gott mir gegeben hat, und mein Leben dafür einsetzen, dass auch andere diesen Gott kennenlernen und in der Abhängigkeit von Ihm echtes Glück und ewiges Leben bekommen.
Wenn wir das Gebot ernst nehmen: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst», dann werden wir zu denen gehören, die in Matthäus 25,31–46 gelobt werden, weil sie nicht nur an sich selber, sondern genauso an das Wohl der Anderen gedacht haben. Sie haben anderen Gutes getan, ohne sich dessen bewusst zu sein. Jesus macht in diesem Gleichnis klar, dass wir alles Gute, das wir unseren Mitmenschen tun, letztlich Ihm getan haben.