Ich war nicht erwünscht FEG Persönlich - Rosmarie Sasse

Ich bin seit über 25 Jahren FEG-Pastor und habe in dieser Funktion schon viele Pastorenfrühstücke erlebt. Gleich zu Beginn fiel mir eine Frau auf, von der ich nur wusste, dass sie in der Buchhandlung der FEG in Bern arbeitet. Eigentlich ist sie unauffällig, aber vielleicht gerade deshalb ist sie mir aufgefallen und hat mich neugierig auf ihre Lebensgeschichte gemacht. Sie wohnt in einer grossen Überbauung in Bern-Bümpliz. Dort erzählt sie mir ihre Lebensgeschichte.

Harry Pepelnar arbeitet zu 30 Prozent für die FEG Schweiz im Bereich Kommunikation, pepelnar@gmail.com

Zur Adoption freigegeben

Rosmarie wird als unerwünschtes Kind geboren. Sie sollte nicht sein und wird deshalb im Oktober 1945 von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben. «Ich hatte nie Kontakt zu meiner leiblichen Mutter», meint sie nachdenklich. Unerwünschte Kinder kamen damals oft in Waisenhäuser. Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende und viele Menschen leben in Armut. Kinder sind zu teuer. «Aber Gott hat schon damals seine Hand über mich gehalten und mich vor vielem bewahrt.»

Schon im November kommt sie zu ihren Pflegeeltern nach Rubigen, Arnold und Margrit Sasse. Bereits am 1. Adventssonntag wird Rosmarie im Saal der FEG Rubigen von ihrem Pflegevater gesegnet. Ihre Pflege­eltern sind nämlich ein Pastorenehepaar, und Rubigen war damals eine Aussenstation der FEG Münsingen. 1948 kommt eine neue Anstellung des Vaters an die Reihe: FEG Kempten/Wetzikon.

Erwünscht

Als der Vater 1954 an Krebs stirbt, bleibt Rosmarie mit ihrer Mutter allein zurück. Damit die beiden überleben können, muss sich die Mutter eine Arbeit suchen. Sie wird von der Leitung FEG CH angefragt, ob sie gewillt sei, die Stelle der Hausmutter im Friedheim, einem Heim der FEG Schweiz in Netstal, anzunehmen. «Wir haben uns dort der FEG Ennenda angeschlossen, was ein grosser Segen war.» Die Mutter erhält einen bescheidenen Lohn und ist froh für jede Unterstützung. In den Missionsstunden lernt sie den damaligen SAM-Missionsleiter Eugen Schmidt kennen, der Rosmarie das erste Jungscharlager in Ulrichen finanziert. «Dort habe ich 1956 mein Leben Jesus übergeben und er ist bis heute mein starkes Lebensfundament geblieben!» Endlich gewollt, auserwählt und von Gott geliebt!

Die damaligen Verhältnisse in den Schulen sind heute unvorstellbar. «In meiner Grundschulklasse waren min­destens 50 Schüler und es gab nur einen Lehrer!» Sie ist eine mittelmässige Schülerin, wie sie beiläufig bemerkt, aber schliesst die Sekundarschule mit guten Noten ab. Doch was soll aus Rosmarie werden? Welchen Beruf soll sie erlernen?

Drogistin mit Diplom

Zu dieser Zeit gibt es für die Schüler den Pestalozzi-Kalender. Dieser übt einen grossen Einfluss auf die Bildung der Jugend aus. Im Kalender gibt es viele Hilfen für den Schulalltag, aber auch einen Wissensteil. Im Jahr 1960 wird darin auch der Beruf der Drogistin vorgestellt, der Rosmarie sofort fasziniert. Das Problem: Im Kanton Glarus gibt es in diesem Jahr nur eine freie Drogisten-Lehrstelle. «Und genau diese Lehrstelle habe ich bekommen. Gott hat es so gut mit mir gemeint.»

In der Drogerie hängt das HFP-Diplom des Drogisten. «Dieses Diplom war stets in meinem Blickfeld und dabei wuchs in mir der Wunsch, dass ich das ebenfalls er­reichen möchte. Ich wollte Sicherheit im Leben haben.» 1969 schafft sie es und bekommt die eine Anstellung in einer Drogerie in Ennenda. Nach abgeschlossener Lehre tritt sie eine Stelle in Zürich an und wird Wochenaufenthalterin. «Ich bin so gerne in die Jugendgruppe der FEG Ennenda gegangen. Der Gründer der Läderach-­Schokolade war damals unser Leiter.»

Ich bin unverheiratet geblieben

Der innere Wunsch, von einem Mann geliebt zu werden, ist auch bei Rosmarie vorhanden. Dass sie bis heute Single ist, ist zwar eine bewusste Entscheidung, fällt ihr aber nicht immer leicht. Auch über den Auslöser dieser Entscheidung zu sprechen, ist herausfordernd. Damals lernt sie einen Mann kennen. Dieser will sie unbedingt heiraten, aber Rosmarie traut sich das nicht zu, sie findet kein Ja. «Ich wusste nicht, ob ich die gegebenen Herausforderungen mit meiner Kraft aushalten kann und habe Nein gesagt.» Der Mann will nicht aufgeben und droht ihr sogar mit Selbstmord, sollte sie einen anderen Mann heiraten. «Das hat mich lange davon abgehalten, eine Beziehung einzugehen, und danach ist es nicht mehr passiert und das ist gut so.»

Lehrreiche Jahre

Rosmarie ist lernbegierig, und während sie mir das erzählt, staune ich, denn das hätte ich dieser Frau gar nicht zugetraut. Zuerst lernt sie Englisch an der Abbey Missionary School in London. Dann wird sie von der Liebe zu Israel angesteckt. Es ist Herbst 1972, in Israel herrscht Unruhe. Am 5. September verübt eine palästinensische Terrororganisation ein Attentat in München. Und Rosmarie beschliesst, mit der ersten Gruppe von amzi in dieses Land zu gehen. Mit dem Schiff DAN geht es nach Haifa. Ab dann verkauft sie während 9 Monaten christliche Literatur von Haus zu Haus in Israel. «Das war sehr spannend. Ich bin sogar einmal auf einer Polizeistation gelandet, weil das nicht überall geduldet wurde!» Während dieser Zeit in Israel merkt sie, dass sie noch mehr theologisches Grundwissen braucht und meldet sich bei Chrischona an, wo sie eine zweijährige Ausbildung absolviert.

Zum Buchhandel

Es folgen einige Jahre Dienst in verschiedenen Gemeinden in Deutschland und dort auch der Einstieg in den christlichen Buchhandel. 1981 übernimmt sie die Leitung der Buchhandlung FEG in Bern, die heute Fontis heisst. «Das war ein Sprung ins kalte Wasser! Eine schwierige Zeit, denn ich musste mich sofort auf Schweizer Verhältnisse umstellen, mich einarbeiten, und dabei war meine Vorgängerin noch im Team.» Aber auch das schafft Rosmarie mit Gottes Hilfe. Seit 2009 ist sie pensioniert und weiterhin aktives Mitglied der FEG Bern.

Staunend blickt sie zurück. Der Bibelvers, den sie zum Unterrichts-Abschluss von Prediger Samuel Studer be­kommen hat, passt:

Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens! Johannes 6,68