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Hans Turek Retrospektive

Hans Turek

Retrospektive in der galerie 13

In einem Brief an seine Frau schrieb Rainer Maria Rilke im Oktober 1907, „…dass es niemals noch so aufgezeigt worden ist, wie sehr das Malen unter den Farben vor sich geht, wie man sie ganz allein lassen muss, damit sie sich gegenseitig auseinander setzen. Ihr Verkehr untereinander: Das ist die ganze Malerei.“ Rilke bezog sich mit diesen Zeilen auf Cézanne, dessen Ausstellung er in Paris gesehen hatte. Er hätte sie jedoch auch über die Bilder schreiben können, die der Maler Hans Turek im letzten Jahrzehnt seines Lebens schuf: Bilder, in denen er das Malen den Farben überließ. Im Werk von Hans Turek ist die Biografie des Künstlers eingeschrieben. Aber auch die Auseinandersetzung mit den theoretischen Überlegungen und wichtigen Positionen zur Kunst des 20. Jahrhunderts lässt sich an seiner Malerei ablesen.

Hans Turek wurde 1938 in Herten in Westfalen geboren. Ausgezeichnet mit dem Nachwuchspreis der Stadt Gelsenkirchen besuchte er ab 1959 die Folkwangschule für Gestaltung in Essen und absolvierte ein Studium für freie und angewandte Malerei bei Philipp Schardt. Er arbeitete als Assistent von Hermann Schardt, dem Direktor der Folkwangschule, bevor er 1968 nach München an die Akademie der Bildenden Künste wechselte. Dort wurde er Meisterschüler von Josef Oberberger und arbeitete anschließend als Assistent von Akademiepräsident Aloys Goergen. Nach Beendigung der Lehrtätigkeit war Hans Turek von 1976 bis zu seinem Tod im Jahr 2002 freischaffend als Künstler tätig.

Er lebte und arbeitete in Huglfing, auf halber Strecke zwischen Weilheim und Murnau in Oberbayern. Das „Blaue Land“, das Künstler wie Kandinsky, Münter und Marc so stark beeindruckt hatte, fand – wenn überhaupt – erst spät und nur indirekt über die Farbe Eingang in sein Werk. Ob die Landschaften Skandinaviens, die er mit seiner aus Finnland stammenden Frau bereiste, ihn in seinem Schaffen beeinflussten, muss ebenfalls Spekulation bleiben.

Als Künstler betrat Hans Turek im Lauf seines Lebens immer wieder Neuland. Die verschiedenen Schaffensphasen unterscheiden sich so stark voneinander, dass man kaum von einer Entwicklung oder logischen Abfolge sprechen kann. Mit Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass die frühesten Arbeiten von der klassischen Moderne – und hier natürlich auch von Cézanne – ausgehen. Die Bauhaus-Tradition und die Auseinandersetzung mit Form und Farbe bestimmen die folgenden Jahre. Verweisen zunächst noch Titel wie „Tanz der Pflanzen“ und „Fleischfressende Pflanzen“ auf lose Assoziationen zur Welt der Dinge, bleibt schließlich nur noch das Interesse an der Linie bestehen. Turek ringt um neue Ausdrucksformen, gelangt zur Abstraktion – und gibt dabei für eine lange Wegstrecke die Farbe fast ganz auf.

Auch die Lebenssituation des Künstlers verändert sich. Das Atelier im Schloss Grafenauschau gestattet größere Formate, die Turek zunächst jedoch nur für eine raumgreifende Kreidemalerei auf Papier nutzt. Der Bildgrund wird nun mit dichten Gitterstrukturen überzogen, aus denen sich aus der Linie entwickelte Spiralen, Wirbel, organische Formen und stark bewegte Figuren Bahn brechen. Der heftige Impuls dieser ineinander verschlungenen und verknoteten Linien greift auf das Raster über, verzerrt und „verbiegt“ die Gitter, bricht sie auf. Der Widerstreit zwischen ordnenden und dynamischen Bildelementen wird mit solcher Vehemenz ausgetragen, dass es sich kaum um rein formale Fragestellungen handeln kann. Vielmehr scheinen Freiheitsdrang, Aggression und auch Verzweiflung aus diesen Arbeiten zu sprechen.

Als wäre der Kampf der Linien ausgetragen, ohne dass ein Sieger daraus hervorgegangen wäre, wechselt Turek in der ersten Hälfte der 1990er Jahre die Disziplin und wendet sich vollends der Malerei zu. Die Farbe bestimmt nun alles. Rot, Blau und Gelb werden mit heftigen Gesten aufs Papier geworfen. Grün, Violett, Orange antworten ihnen und steigern den Ausdruck noch einmal. Fast scheint es, als feiere der Maler in dieser Schaffensphase der „Aktionsmalerei“ nicht nur die Rückkehr der Farbe und den – freilich nur vorübergehenden – Abschied von der Linie, sondern auch den Prozess des Malens an sich.

Es lässt sich wohl rückblickend kaum mehr feststellen, auf welchem Weg genau die neue Ordnung in die Bilder von Hans Turek Einzug gehalten hat. Experimente mit collagierten Malgründen dürften jedenfalls dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben: Die selbe Farbe, in ein und derselben Pinselspur auf Papierstreifen in unterschiedlicher Qualität aufgetragen, erzeugt nicht nur unterschiedlich intensive Töne – sondern in den Fugen und Zwischenräumen auch vertikale Linien, die den Rhythmus der Komposition vorgeben.

Die Werkreihe der Streifenbilder stellt, vor den späten Collagen und parallel zu einem reichen druckgrafischen Werk, unbestritten den Höhepunkt im Schaffen von Hans Turek dar. Papierbahnen von unterschiedlicher Saugfähigkeit und in unterschiedlichen Breiten werden in vertikalem Verlauf aufgeklebt und bilden die Basis für die Acrylfarbe, die lasierend und ebenfalls in vertikaler Richtung aufgetragen wird. Und nun geschieht es, dass „das Malen unter den Farben vor sich geht“. Aus Überlagerungen und Zwischentönen, aus zarten gestischen Spuren und feinsten Nuancen ergeben sich Bilder von fast meditativer Ruhe. Ein Spiel der Farben, ein subtiles Nebeneinander und Übereinander voller Poesie: Das ist die ganze Malerei.

Katja Sebald

Dank

Bedanke mich herzlich bei Katja Sebald für ihren sensiblen, einfühlsamen Textbeitrag und bei Paulo Mulatinho für die einprägsame, digitale Präsentation. Herzlichen Dank an Arja Turek für ihr Vertrauen und für die Zurverfügungstellung der Arbeiten.

Die Ausstellung ist vom 21./22 Januar bis 11. März 2023 zu den Öffnungszeiten der Galerie zu besuchen. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften aus Anlass der COVID-19 Pandemie.

Sollten Sie den Wunsch haben, einen Einzeltermin außerhalb der Öffnungszeiten zu erhalten, bitten wir um telefonische Anmeldung.

galerie 13 - fritz dettenhofer