Meine ich das nur oder gibt es nicht mehr viele Ehepaare, die so viel Hingabe und Leidenschaft für die Mission haben? Dieses Ehepaar, über das ich heute schreibe, würde in der Masse gar nicht auffallen… und doch sind sie auffällig. Ich sitze mit Ernst und Susanne Wüthrich in ihrer gemütlichen Wohnung in Männedorf. Bevor wir uns auf ein feines Sommer-Raclette stürzen, fangen sie an, Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen. Sie lächeln sich oft verschmitzt an oder zwinkern sich zu.
Harry Pepelnar arbeitet zu 30 Prozent für den Bereich Kommunikation und ist Gemeindegründer in Köniz. pepelnar@gmail.com
Sie kommen beide aus dem Kanton Bern. Ernst kommt aus Mirchel im Emmental, nahe Grosshöchstetten. Susanne kommt aus Goldiwil, nahe bei Thun. «Die Kriegsjahre und die Jahre danach waren schwierig. Ich und meine sechs Geschwister mussten viel auf dem Bauernhof arbeiten. In die Schule ging ich nur, weil ich musste», sagt Ernst und seine Augen werden zu schmunzelnden Schlitzen. Ernst will Mechaniker lernen, aber es gibt wenige Lehrstellen. Nach einem Welschlandjahr auf einem Bauernhof macht er eine Lehre als Apparateschlosser in Worb. Und Gott fängt an, ihn langsam zu rufen.
Susannes Eltern gehören zur EMK, der methodistischen Kirche. «Ich bin im Glauben aufgewachsen. In der 9. Klasse habe ich mich bewusst Jesus übergeben.» Den Eltern ist die Mission sehr wichtig. Das prägt ihr ganzes Leben. «Meine Eltern haben viel für Missionare gebetet.» Auch sie will einen anderen Beruf lernen, das geht aber gesundheitlich nicht. Schliesslich besucht sie die Handelsschule. Ihr Wunsch: Sie möchte in einem Missionsbüro arbeiten.
1960 treffen wir Ernst in Basel. Er hat nach der Lehre und Rekrutenschule dort eine gute Anstellung gefunden. Und alle in der Stadt reden davon: «Billy Graham kommt ins St. Jakob Stadion!» Und Ernst ist einer von 12’000 Besuchern. «Beim Aufruf musste ich einfach nach vorne!» Aber der Durchbruch im Glauben kommt noch nicht. Später lädt ihn ein Freund nach Beatenberg ein. Ein Evangelist ruft zur Umkehr auf. Ernst kniet sich später in seinem Zimmer hin: «Jesus, hier bin ich, habe ich gebetet. Da wusste ich, jetzt gehöre ich Jesus.»
Susanne bekommt eine Stelle bei der Evangelischen Europa Mission in Winterthur. Das ist der Vorgänger der Europa Mission, die heute Vision Europa heisst. Diese begleitet Missionsarbeit in Spanien, Österreich, Polen und Italien. Alle zwei Monate wird eine Missionszeitschrift herausgegeben.
Ernst geht 1961 zur Bibelschule Beatenberg. Er macht eine vierjährige Ausbildung. Damals ist Frau Dr. Wasserzug die Leiterin. Ernst will nach der Bibelschule in die Mission, ist in Kontakt mit der Sudan Mission. Beim Sprachstudium in Genf erleidet er ein Burnout. «Es war einfach zu viel für mich. Der Psychiater sagte, ich solle wieder mit den Händen arbeiten.»
Auch für Susanne ändert sich etwas. «Ich habe im Missionsbüro gearbeitet, aber es gab nicht so viel zu tun, wie ich Zeit hatte.» So sucht sie eine neue Stelle und findet sie im Alters- und Erholungsheim Arthos in Interlaken im Sekretariat.
Aber jetzt stopp, wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? «Das war in einem Pfingstlager.» Susanne und ich haben uns am Bahnhof in Ramsei getroffen. «Aber es hat noch nicht gefunkt!» Ein halbes Jahr später schreibt Ernst ihr einen Brief. «Ich habe den Brief nicht gleich geöffnet. Ich hab ja geahnt, was drin stehen könnte. Ich wollte, dass Gott mir ein Zeichen gibt.» Sie hat gebetet und das Wort bekommen: «Stehe auf, was zögerst du …» (Apostelgeschichte 22,16). Sie heiraten 1969 in Heiligenschwendi. Aus der Ehe kommen drei wunderbare Töchter.
Ernst bekommt eine Stelle als Apparateschlosser bei Nestlé in Konolfingen. Ernst gefällt die Arbeit mit Apparaten nicht längerfristig. Er möchte lieber mit Menschen arbeiten. Er bewirbt sich für Anstellungen im sozialen Bereich. «Nach acht Absagen habe ich aufgegeben.» Aber Gott führt anders. Wie so oft. Ein Pfarrer empfiehlt ihm eine Stelle als Hauswart in einem neuen christlichen Altersheim Emmaus in Männedorf. Und am 1. März 1976 ziehen sie in ihre Wohnung auf dem Areal des Bibelheimes ein.
«Damals war vieles selbstverständlich, zum Beispiel, dass Ehefrauen mitarbeiten; dass ich Heimleiter-Stellvertreter war oder dass wir Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen hatten und diese auch betreuten. Aber ich war eigentlich als Hauswart angestellt.» Wieder dieses verschmitzte Lächeln.
So helfen die vielen Gaben von Wüthrichs bei der christlichen Arbeit am Zürichsee. Mission, Menschen, Handwerk und Hingabe. Sie staunen über die vielen Begegnungen. «Wir waren für so vieles zuständig. Susanne hat unter anderem auch im Büro gearbeitet. Ernst hat Andachten, Bibelstunden und Beerdigungen gehalten und gleichzeitig die Aufgabe des Hauswartes übernommen.»
Ich schaue die beiden mit grossen Augen an. Sie sind über 80 und immer noch aktiv. Wie geht das? «Es war ein Geschenk und wir haben vieles Gott überlassen. Ernst ist nach einem erneuten Burnout wieder aufgestanden und hat sich erholt. Es war eine reiche Zeit! Viele haben für uns gebetet.» Und bis heute beten sie wiederum für viele Missionare.
Sie sind seit 2002 pensioniert und wohnen in Männedorf. Sie sind dankbar, dass ihre Töchter im Emmaus eine gute Zeit hatten. «Alle haben heute einen Beruf, bei dem sie mit Menschen zu tun haben.»
Ach ja, noch was: 1989 sind Wüthrichs dabei, als die Freie Evangelische Gemeinde in Männedorf gegründet wird. Heute leiten sie dort…. natürlich das Missionsgebet. Und am Schluss sagen sie: «Wir sind von Gott so reich beschenkt und haben es einfach gut miteinander.»
Ich gehe erfüllt aus diesem Gespräch. Habe ich am Anfang zu viel versprochen als ich gesagt habe, dass sie unauffällig auffällig sind?