Dieter Bösser
Für die meisten Menschen hierzulande ist das Leben voll von Verpflichtungen, Informationen, Beziehungspflege und Berieselung. Für Berufstätige und solche in Ausbildung, aber auch für Mütter von kleinen Kindern ist der Alltag stark fremdbestimmt. Das Lebenstempo ist oft anhaltend hoch. Viele kommen in einen mehr oder weniger gedankenlosen Trott.
Innehalten
Es gehört zur Würde des Menschen, dass er sein Leben bewusst gestaltet und nicht fremdgesteuert von unterschiedlichen Einflüssen, die sein Tun und Erleben bestimmen. Klar: Es ist nicht möglich, ein selbstbestimmtes Leben völlig frei von Verpflichtungen zu führen. Zur Sicherung unserer Existenz ist die Erwerbsarbeit unverzichtbar. Eltern dürfen die zentralen Bedürfnisse ihrer Kinder nicht vernachlässigen – auch wenn sie selber gerade müde sind oder eigene ungestillte Bedürfnisse haben.
Zu dieser Fremdbestimmung, die es eigentlich schon immer gab, kommt etwas Neues hinzu. Wahrnehmung, Denken und Gefühle werden viel stärker als vor 20 oder 40 Jahren von Bildschirmen beeinflusst: Handys, Tablets, Computer und Fernseher. Über diese Bildschirme kommen quasi laufend Bilder, Töne, Nachrichten, Meinungen sowie Informationen aus dem persönlichen Umfeld. Sie beanspruchen unsere Aufmerksamkeit, sie stimulieren die immer gleichen Bereiche im Gehirn. Fachleute befürchten, dass Menschen durch eine übermässige Nutzung von Social Media in eine Abhängigkeit geraten. Sie erhalten ständig Impulse, auf die das Gehirn mit einem kleinen Dopaminausstoss reagiert. Das fühlt sich gut an, also mehr davon!
Dafür kommen andere wichtige Bedürfnisse zu kurz: Das Bedürfnis nach Ruhe, nach Innehalten, vertieftem Nachdenken und Verstehen, was im eigenen Leben abgeht.
Wohin steuert dein Lebensschiff?
Ein Leben, das stark von Verpflichtungen, Informationen, Empörung auslösenden Schlagzeilen oder stimmungsaufhellender Berieselung beeinflusst ist, ist geprägt durch eine Reizüberflutung. Wann sind die Menschen heute noch ungestört bei sich selbst? Wann können sie unverfälscht wahrnehmen, wie es ihrer Seele geht (vgl. Psalm 42,6)? Für Christen stellt sich zusätzlich die Frage: Wann erlebe ich eine Ruhe meiner Gedanken und Gefühle, so dass ich die leise Stimme Gottes vernehmen kann?
Wann erlebe ich eine Ruhe meiner Gedanken und Gefühle, so dass ich die leise Stimme Gottes vernehmen kann?
Ein fremdbestimmter Mensch ist wie ein Schiff auf hoher See, das vom Wind hin- und hergeworfen wird. Der Motor ist zu schwach, um dem Schiff eine stabile Richtung zu geben. Viele schauen nicht auf den Kompass, damit sie wissen, in welche Richtung ihr Lebensschiff eigentlich treibt. Zudem fehlt ihnen eine verlässliche Seekarte, mit deren Hilfe sie einen guten Kurs für ihr Leben festlegen könnten.
Kein Kapitän lässt sein Schiff auch bei rauer See einfach hin- und herschaukeln. Er tut, was immer möglich ist, damit das Schiff Kurs auf den Zielhafen hält. Aber viele Menschen sind schlechte Kapitäne ihres Lebensschiffes. Das ist besorgniserregend und fühlt sich auch für die Betroffenen nicht gut an.
Windstille
Damit ein Mensch innerlich zur Ruhe kommt, muss er für äussere Ruhe sorgen. Das bedeutet: Ein paar Tage (!) raus aus den üblichen Verpflichtungen. Verzicht auf Nachrichten aus aller Welt und auf Social Media. Natürlich verpasst man da einiges, aber das ist weniger tragisch als viele befürchten. Dafür kannst du ungestörter über dein Leben nachdenken: Wie geht es mir in der aktuellen Situation? Was beschäftigt meine Seele schon seit geraumer Zeit? Wie intensiv ist meine Beziehung zum dreieinigen Gott? Wie sehr wird mein Leben – Gedanken, Gefühle, Einstellungen und Handlungen – vom Lesen und Meditieren von Gottes Wort geprägt? Wie erfüllend und nährend sind meine Gebetszeiten, der liebevolle Umgang mit dem unsichtbaren, aber gegenwärtigen Gott?
Auszeit
Man muss mit einer Auszeit nicht warten, bis man völlig erschöpft ist. Aber wenn die schon lange leidende Seele sich an den Körper wendet und psychosomatische Beschwerden entstehen, dann ist es höchste Zeit für eine mehrtägige Auszeit!
Im Sommer 2021 waren meine Frau und ich vier Wochen lang auf einer kleinen Ostseeinsel, weit weg von den touristischen Zentren. Wir genossen die Ruhe in dem sogenannten Fischerhus: Kein Radio, kein Fernsehen, keine Zeitung, keine Mails. Dafür hatten wir Zeit, um unsere Beziehung zu pflegen und mehr Zeit für den vertrauten Umgang mit Gott. Den abendlichen Spaziergang auf dem Deich mit dem Sonnenuntergang über Hiddensee vermissen wir noch heute.
Man darf sich eine solche Zeit aber nicht zu romantisch vorstellen. Ernüchternd war die Erkenntnis: Je mehr du die Impulse von aussen reduzierst, umso intensiver nimmst du Impulse aus dem eigenen Inneren wahr. Vieles, was da an die Oberfläche kommt, wird dir nicht gefallen. Aber es gehört zu dir und deinem Leben. Darum solltest du dich damit auseinandersetzen durch Nachdenken, Beten, Tagebuch schreiben usw.
Solche Auszeiten sind lebensnotwendig! Sie dienen dazu, dass wir den Kurs unseres Lebensschiffes überprüfen, und liefern Erkenntnisse für nötige Kurskorrekturen. Das heisst: Mein Leben ist dann stärker von eigenen Entscheidungen und Prioritäten geprägt. Gib Gott in deiner Auszeit die Möglichkeit, deine Prioritäten zu verändern – damit für dich an erster Stelle steht, was aus Gottes Sicht wichtig ist. Damit dein Lebensschiff sich auf einem guten Kurs befindet und du im richtigen Hafen ankommst.