Mein Weg war Gottes Wille Julio Graf von Arancibia / Musikschule Arancibia

Geschrieben von Stefan Volkamer

Julio Graf von Arancibia ist der Spross einer alten spanischen Adelsfamilie. Geboren und aufgewachsen ist der heute 60-jährige Musiker, Komponist und Musiklehrer allerdings nicht in Spanien, sondern in Peru, einem Land im westlichen Südamerika, das an Ecuador, Kolumbien, Brasilien, Bolivien, Chile und im Westen an den Pazifik grenzt. Sein Vater – dem er zum Verwechseln ähnlich sieht − hat aus Angst vor Repressionen des damaligen Franco-Regimes mit Anfang zwanzig Spanien verlassen und seine neue Heimat in Trujillo gefunden, Hauptstadt der Region La Libertad und heute die wichtigste Stadt Perus nördlich von Lima. Trujillo war schon im 16. Jahrhundert bei vielen spanischen Adeligen beliebt. Prachtvolle und teils palastähnliche Häuser stehen bis heute als Zeugen der spanischen Kolonialzeit. Nach Peru auszuwandern, lag also nah, zudem galt und gilt die Stadt als Kulturhauptstadt des Landes und verfügt über mehr als ein halbes Dutzend Universitäten und anerkannte Hochschulen. Julio ist in einer durch Kultur und Bildung, Tanz und Musik stark geprägten Stadt aufgewachsen, zusammen mit drei älteren Brüdern und einer Schwester. Sein Weg aber war eher steinig.

Seine Mutter war Peruanerin und hatte, wie sein Vater, eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Sie war Buchhalterin, er Revisor. Beide führten eine Kanzlei ähnlich einer hiesigen Steuerberatungskanzlei. „Die große Leidenschaft meiner Mutter war der Tanz, vor allem der Marinera, der einem Stepptanz ähnelt. Den liebte sie über alles“, erinnert sich Julio. „Der Familie meines Vaters hingegen lag die Musik im Blut, und diese Begeisterung für Musik ist ganz offenbar schon früh auf mich übergesprungen. Vielleicht aber war es auch einfach der Wille Gottes, der mich dazu berufen hat, dass ich heute von und für die Musik lebe“, meint der gläubige „Master of Musik“ der Musikhochschule Detmold.

Mit dem Akkordeon fing alles an

Eindeutig ist das musikalische Gen seiner Familie väterlicherseits auf ihn übergesprungen, denn schon als fünfjähriger Knirps fing er an, Akkordeon zu spielen. Zwei Jahre später „habe ich dann das erste Mal am Klavier gesessen und bin nie mehr davon losgekommen. Ich konnte Unterricht an einer Klavierschule bekommen, die dem Konservatorium angeschlossen war. Hier lernte ich nicht nur das Spielen, sondern auch Rhythmik und alles, was dazu gehörte.“ Neben dem Klavierspiel entstanden auch die ersten eigene Improvisationen. Über einen Zeitraum von sieben Jahren war das Klavier sein Lebenselixier, doch die Schule durfte dabei nicht zu kurz kommen. „Als ich vierzehn wurde war mir klar, dass ich mich mehr um meine schulische Laufbahn kümmern musste. Meine Eltern wollten natürlich auch, dass ich einen vernünftigen Schulabschluss mache. Das Klavier und die Musik habe ich dann stark vernachlässigt. Doch es war die richtige Entscheidung, denn mit sechzehn habe ich den Abschluss geschafft, der dem hiesigen Abitur gleichzusetzen ist, und mit siebzehn habe ich mich dann schon an der Universität von Lima immatrikulieren können – Wirtschaftswissenschaft mit dem Schwerpunkt Rechnungswesen und Bilanzbuchhaltung.“ Julios Eltern kam seine Entscheidung entgegen, denn so hätte er die Kanzlei einmal übernehmen können. „Sie haben mich aber nicht zu diesem Studium gedrängt, es war meine eigene Entscheidung, ich habe mich dazu angeboten“, erinnert sich Julio.

Rechnungswesen in Lima

Die Millionenmetropole des Andenstaates mit ihren zahlreichen Universitäten, Hochschulen, Museen und Baudenkmälern, Restaurants, Cafés und Bars hat ihn zwar fasziniert, das Studium des Rechnungswesens hingegen nicht. Es war nicht seine Welt. Nach gerade einmal einem Jahr hörte er an der Universität auf und ging zurück in seine Heimatstadt Trujillo. „Ich fühlte mich einfach zu weit weg von der Musik, auch wenn ich während meines ersten Jahres in Lima immer wieder als Bar-Pianist spielen und mein Budget damit aufbessern konnte. Das hat mir am meisten Spaß gemacht. Das pralle Leben spüren, Klavier spielen und damit noch Geld verdienen. Einfach herrlich!“ Seine Entscheidung stand fest und Julio folgte seiner eigentlichen Berufung, der Musik. Zurück in Trujillo wurde er mit achtzehn an dem Konservatorium „Carlos Valderrama“ für das Fach Komposition aufgenommen und studierte dort drei Jahre. Drei Jahre, in denen er aber auch mit umfangreichen Konzerten in seiner Heimat tätig war. Auch Fernsehseminare über Mozart, Bach und Beethoven gehörten dazu. Vier Jahre später, mit gerade einmal zweiundzwanzig, wurde er in seiner Geburtsstadt als jüngster Komponist von Peru ausgezeichnet – mit Diplom und silberner Medaille. Ein Jahr später erhielt er im Regierungspalast von Lima die Goldmedaille.

Waren seine Eltern stolz auf ihn? „Meine Eltern standen meinem Wunsch, Musiker zu werden, eher skeptisch gegenüber“, gesteht Julio. „In Südamerika gilt der Beruf des Musikers als eine eher brotlose Kunst. Sie hätten mich lieber als Arzt, Ingenieur, Banker oder Steuerexperte gesehen. Aber sie haben meinen Entschluss akzeptiert.“

Was nun, Julio?

Anfang der Neunziger Jahre stellte sich die Frage, wie es jetzt weitergehen könnte. In Peru bleiben? Oder nach Amerika oder Europa gehen? Weil Julios Leidenschaft unter anderem der Alten Musik galt, entschied er sich nach Europa zu gehen, „die Heimat der großen Komponisten wie Mozart, Bach und Beethoven“. Über eine Verwandte hatte er Kontakte nach Amsterdam und so nahm er am „Sweelinck Konservatorium“ zunächst das Studium der Alten Musik auf. Allerdings nur für wenige Monate, dann ging ihm das Geld aus und seine Eltern waren nicht länger geneigt, ihn weiterhin finanziell im notwendigen Maß zu unterstützen. „Das war für mich eine schwere Zeit. Ich wollte in Amsterdam unbedingt weiter studieren, aber es ging nicht länger. Die finanzielle Unterstützung seitens meiner Familie reichte nicht.“ Seine Mutter hatte eine Freundin, deren Sohn an der Musikhochschule Detmold Cello studierte. „Er riet mir nach Detmold zu kommen und wenn ich Geld bräuchte, könnte ich ja in Restaurants und Bars jobben, so wie es viele Studentinnen und Studenten der Hochschule machen. Und ein Zimmer wird sich auch irgendwie finden lassen, meinte er“, so Julio.

Neu und allein in Detmold

In Detmold musste sich Julio zunächst mit der deutschen Sprache vertraut machen, er sprach nur Spanisch, Englisch und etwas Italienisch. Im Detmolder Studentenheim fand er ein Gastzimmer für drei Monate, und so konnte er sich auf die Aufnahmeprüfung für Klavier vorbereiten. Um über die Runden zu kommen, trat er in Bielefeld mit seinem neu erstandenen Akkordeon als Straßenmusiker auf. „Die praktische Prüfung für Klavier habe ich sofort bestanden, allerdings bin ich beim ersten Mal durch die theoretische Prüfung geknallt. Die durfte ich aber wiederholen und habe diese dann beim zweiten Anlauf bewältigt.“ Ab 1992 war Julio von Arancibia eingeschriebener Student an der Musikhochschule Detmold für Klavier und Musikpädagogik. 1997 erlangte er seinen Abschluss als Master of Musik. Doch anstatt sich nach seinem Abschluss an der Musikhochschule gleich um einen entsprechenden Job zu kümmern, schrieb sich Julio an der Universität Paderborn für das Fach Romanistik ein. Er wollte unbedingt noch Sprachliteraturwissenschaften studieren, und das tat er auch. 2003 erwarb er den Abschluss als Master of Art. Während seiner Paderborner Ausbildung konnte er ein Praktikum bei einem großen Elektrotechnikunternehmen absolvieren. Dank dieses Kontaktes gelang es ihm, nach seinem Studium dort als Technischer Fachübersetzer zu arbeiten. Bis 2005. „Eine gute Zeit mit regelmäßigem und solidem Einkommen“, gibt er zu. An den Wochenenden spielte er Musik.

2006 – das Schicksalsjahr

Inzwischen war er mit einer gebürtigen Berlinerin und gelernten Köchin verheiratet, mit der er ein gemeinsames Kind bekam. Doch das junge Glück hielt nicht ewig, 2006 erfolgte die Scheidung. Es war ein bitteres Jahr, privat und beruflich. Denn Julio musste sich im selben Jahr auch arbeitslos melden.

„Ich hatte nichts mehr. Keinen Job. Kein Geld. Keine Frau. Keine Familie. Und selbst Freunde und Bekannte haben mir teils den Rücken zugedreht. Mit einem arbeitslosen Musikus wollte keiner etwas zu tun haben. Ich fühlte mich allein auf weiter Flur. Mit meinem damals ebenfalls arbeitslosen Nachbarn habe ich viele Streifzüge durch die Detmolder Kneipenszene unternommen. Hier ein Bierchen, da ein Bierchen, doch lange konnte das nicht gut gehen“. Dann kam die Idee der Selbständigkeit auf, und anstatt eine Band zu gründen, was nahe gelegen hätte, setzte sich die Idee der eigenen Musikschule durch. „Ich schlenderte damals durch die Gassen der Altstadt und kam zufällig an dem Haus vorbei, in dem sich heute meine Musikschule befindet. Eine Studenten-WG wohnte hier und schmiss eine Party. Eine der Studentinnen kannte ich und sie lud mich spontan ein. So bin ich also rein und als ich die Räume sah, dachte ich mir, das wäre was für mich. Unten die Schulungsräume, oben wohnen.“

2007 − Gründung der Musikschule Arancibia

Es war eine Abschlussparty, nach der das Haus für einige Monate leer stand. Julio sprach den Eigentümer des Hauses später an, und schnell wurde man sich einig. „Das Arbeitsamt war von meiner Idee, hier eine Musikschule zu gründen, überzeugt und bot mir eine Existenzgründer-Seminar an. Das habe ich absolviert und erhielt daraufhin ein Gründungskapital von 2.000 Euro. Damit war die Miete für die ersten Monate gesichert und es blieb noch genug übrig, um mir für 70 Euro im Monat ein Klavier mieten zu können. Auch für ein bisschen Werbung reichte es gerade noch“, sagt Julio. 2007 eröffnet Julio die Musikschule Arancibia in den Räumen eines alten Fachwerkhauses, doch nichts passierte. Über Monate kein Kunde. „Ich habe in der Not gebetet, lange hätte ich mich nicht mehr über Wasser halten können. Und irgendwie hatte ich auch den Eindruck, dass mein ausländischer Name daran nicht ganz unbeteiligt sein könnte.“ Der Not folgend griff Julio auf sein Recht zurück, seinen Adelstitel der Musikschule voranstellen zu dürfen. Gräfliche Musikschule Arancibia – das wirkte offenbar. Die Durststrecke ging zu Ende, erst kamen zehn, dann zwanzig, später bis zu vierzig Kunden im Monat. Auf eine Unterstützung durch das Arbeitsamt war Julio jetzt nicht mehr angewiesen. Mit den derzeit zehn Musiklehrern, die für ihn arbeiten, kann man alle Instrumente erlernen. Er selbst gibt Klavierunterricht und ist da angekommen, wo er immer hinwollte.

Zeit für eigene Kompositionen

Die Musikschule lässt ihm aber noch genügend Zeit für eigene Kompositionen, die auf verschiedenen Veranstaltungen gespielt werden. Aktuell arbeitet er zum Beispiel an seiner neuen CD „Miniaturen für Kammermusik“ mit Werken für Violine & Klavier, Gesang & Klavier oder für ein Streichtrio.

Die Musikschule läuft. Sie füllt ihn aus. Sie macht ihn glücklich. Sie bereitet im Spaß und Vergnügen. Auch seine eigene Band, „The Black Diamands“, mit der er regelmäßig auf Hochzeiten, Firmenjubiläen, Geburtstagen und Ausstellungen wie Vernissagen spielt, bereitet ihm viel Freude. Gerne spielt er auch zu Hochzeiten auf dem Detmolder Residenz Schloss.

Julios Weg war lang und zum Teil sehr steinig. Vielleicht war es Gottes Wille, wie er glaubt. In jedem Fall aber gehören eine ordentliche Portion musikalisches Können, Durchsetzungsvermögen, Zähigkeit und Zielstrebigkeit dazu, um eine feste und respektierte Größe in der Detmolder Musikwelt zu werden. Hat er noch einen Traum? „Ja. Ich würde gerne noch mehr komponieren und auch Filme und Videoclips vertonen. Das würde mir sehr gefallen“, gesteht Julio Graf von Arancibia abschließend.

www.musikschule-in-detmold.de

ERSTELLT VON
TEXTHAUS-LIPPE Stefan Volkamer

Danksagung:

Danke Julio für die schönen Stunden in den Räumen Deiner Musikschule.