"Eine normale Kirchenbürgerin" Die 25-Jährige Corina Zweifel erzählt im Gespräch, was ihr Engagement im Kirchenparlament mit einem Scherz am Weihnachtsessen zu tun hat, wieso sie sich trotzdem als normale Kirchbürgerin sieht und wie es sich zwischen ihrer Heimat Lichtensteig und den grossen Schweizer Städten lebt.

Die Frage, wie sie sich selbst beschreiben würde, bringt Corina Zweifel etwas in Verlegenheit. Eine Stunde über sich selbst zusprechen, war ihr bereits vor dieser Frage etwas «out of comfort-zone». Nun noch ein Selbstbeschrieb. Nach kurzem Nachdenken nennt die 25-Jährige eine Hand voll Adjektive: aufgestellt, zuvorkommend, optimistisch, freundlich, grüblerisch. Ganz direkt dreht sie anschliessend den Spiess um und fragt interessiert mit einem Schmunzeln im Gesicht zurück: «Wie würdest denn du dich selbst beschreiben?».

Mit Menschen arbeiten

Das ist nicht der erste Moment in unserem Gespräch, in dem sie zeigt, dass sie mit ihrer aufgestellten Art einfach auf andere Leute zugehen kann und dies auch gerne macht. So kam sie am abgemachten Ort am Hauptbahnhof Zürich unbekannterweise auf mich zu und sprach mich ungeniert an. So stellt man sie sich auch bei ihrer Arbeit als Physiotherapeutin vor: bereits im Gespräch mit den Patient:innen bevor die Therapie losgeht. Es ist die Interaktion mit den Leuten, die sie dort begeistert: Direkt mit dem Patienten:innen zu arbeiten, auf sie eingehen, ihnen zu helfen. Speziell Letzteres ist ein grosser Grund, wieso Corina Physiotherapeutin in der Neurologie-Klinik am Unispital Zürich und nicht sonst irgendwo ist. Dort hilft sie Personen, ihre Basics für den Alltag zurückzuerhalten – beispielsweise nach einem Hirnschlag. Dabei könne sie oft grosse Fortschritte beobachten. «Die Patient:innen sind sehr dankbar, das ist wirklich schön.» Da erstaunt es nicht, dass sie diesen Herbst ein Masterstudium mit dem Schwerpunkt Neurologie in Bern antritt.

Zwischen Winterthur, Lichtensteig und Aarau

Ganz unkompliziert kam Corina direkt von der Arbeit an unser Gespräch. Wir setzen uns in das erstbeste Kaffee und geniessen zur Abkühlung ein Eis. Nach etwa 20 Minuten kommt Corina auf ihre Kindheit zu sprechen: Aufgewachsen etwas oberhalb von Lichtensteig, das nächste Nachbarshaus 300 Meter entfernt, Kindheitserinnerungen an Winter, in denen sie mit ihren Geschwistern den Hang vor dem Haus mit den Skiern runtergefahren und wieder hochgelaufen ist. Irgendwie skurril diese Vorstellung, wenn 50 Meter neben dem Kaffee am Hauptbahnhof Zürich täglich gut 400'000 Leute umsteigen. Dieser Gegensatz: Auf der einen Seite das Urbane, Belebte, Anonyme auf der anderen Seite das Persönliche, Gemütliche, fast schon Schläfrige. Doch dieser Kontrast scheint zum Leben von Corina zu passen.

Denn die Lichtensteigerin wohnt, arbeitet und studiert nun seit vier Jahren in Winterthur, Zürich und Aarau. Trotzdem verbringt sie ihre Wochenenden regelmässig bei ihren Eltern und den fünf jüngeren Geschwistern im Elternhaus. Darauf freue sie sich jeweils. Denn zuhause sei immer etwas los. «Ich habe immer jemanden, um gemeinsam ein Spiel zu spielen.» Im Toggenburg absolvierte sie dann auch die Kanti, reiste danach aber zwei Jahre als Flight Attendant durch die ganze Welt. Sie hat keinen urchigen Sprachgebrauch, benutzt dafür gerne ein paar Anglizismen. Trotzdem ist die 25-Jährige immer noch im Toggenburg verwurzelt, bleibt weiterhin im Taekwondo-Verein in Wattwil, dem sie seit Kanti-Tagen angehört. Ein Wechsel zu einem Verein in Winterthur hat sie nie vollzogen. «An anderen Orten ist es einfach nicht das Gleiche.»

So scheint es für sie auch mit der Kirche zu sein: Als Kind des Kirchgemeindepräsidenten und der Kirchgemeindesekretärin wuchs sie in der reformierten Kirche auf. Am Sonntag ging sie jeweils ins «Kolibri» - ein Kirchenangebot, in dem Kindern die Bibel nähergebracht wird. Seit bald zwei Jahren ist sie Vertreterin der Kirchgemeinde in der Synode. In Zürich, Winterthur und Aarau scheint die Kirche aber nicht ihre grosse Priorität zu sein. Deshalb spricht sie im Zürcher Kaffee auch mehr über ihre Arbeit oder ihre Leidenschaft, das Taekwondo, anstatt über ihre grossen Pläne für die reformierte Kirche. Deshalb beschreibt sie sich auch als «normale Kirchenbürgerin».

Ein Scherz am Weihnachtsessen als Anfang

Doch in Lichtensteig ist sie nicht einfach eine «normale Kirchbürgerin». So kam es vor zwei Jahren bei einem Familien-Weihnachtsessen zum Scherz, sie solle in die Fusstapfen ihres Vaters treten und sich ebenfalls in der Kirchenvorsteherschaft engagieren. Da dies aber aufgrund des Amtes ihres Vaters nicht zulässig war, kam die Idee der Synode auf. Corina setzte sich anschliessend ernsthaft mit damit auseinander und kam zum Schluss: Das würde sie gerne machen.

Seither hat die Lichtensteigerin im Kirchenparlament einige Erfahrungen gesammelt, welche sie sehr spannend und lehrreich findet. «Als Synodale blickt man hinter viele Dinge, die einem sonst gar nicht auffallen.» Ebenfalls gefällt es ihr, dass sie im kantonalen Kirchenparlament die Möglichkeit hat, aktiv die reformierte Kirche mitzugestalten. Aber natürlich auch, auf die vielen spannenden Leute zuzugehen, mit diesen ins Gespräch zu kommen und sie kennenzulernen. Dabei merke sie, wie viel Erfahrung und Wissen gewisse Synodale haben. «Teilweise frage ich mich dann, was ich überhaupt beitragen kann.» Wiederum merke sie in anderen Momenten, dass die «Aussenperspektive» von ihr sehr geschätzt wird.

Das Image der Kirche

Sie selbst findet es sehr schade, dass viele Junge ein so negatives Bild von der Kirche haben. «Es gibt viele coole Projekte, in denen die Kirche auch mal anders angedacht wird.» Das Problem sei, dass Personen, welche nicht viel mit der Kirche am Hut haben, davon gar nichts mitbekommen und so beim alten Bild der Kirche bleiben. Corina findet es deshalb auch sehr stark und beeindruckend, dass sich Julia Roelli als 21-Jährige für das Präsidium der Synode zur Verfügung stellt. «Das bringt frischen Wind in die Kirche und prägt das Image der Kirche.» Wenn man Corina zuhört, scheint die Kirche nicht alt, sondern frisch und lebendig zu sein. Sie scheint sicher zu sein, dass die Kirche durch ihre aktuellen Probleme kommen wird. Da fällt mir wieder das dritte Adjektiv ein, mit dem sie sich selbst beschrieben hat: optimistisch.

Text: Diego Müggler, Fotos: Diego Müggler, Andreas Ackermann, Nicolas Zonvi