Berliner Gärten
„Will er nicht von der gigantischen Inszenierung des modernen Lebens ganz an die Wand gespielt werden, bleibt dem heutigen Künstler, der sich ein Publikum schaffen möchte, nichts anderes übrig, als von seinem ästhetischen Standpunkt her alles, was ihn umgibt, als Rohmaterial zu betrachten und aus dem bunten Wirbel des Alltags die ihm entsprechenden bildnerischen und bühnenmäßigen Werte auszuwählen, um sie dann selber zu einem Schauspiel umzugestalten und sie unter seinem Szepter zu einer höheren szenischen Einheit emporzuführen.“
Fast könnte man meinen, dieser Satz sei als Gebrauchsanweisung für die Bilder des Malers Bodo Rott geschrieben worden. Tatsächlich stammt er jedoch von Fernand Léger und ist gut hundert Jahre alt. Nicht nur deshalb erscheint es naheliegend, sich Bodo Rott über die Kunstgeschichte zu nähern. 1971 in Ingolstadt geboren, wurde Bodo Rott in Nürnberg als Künstler sozialisiert. Zum einen durch sein Studium an der Kunstakademie bei Christine Colditz und Johannes Grützke – und zum anderen durch eine auf dem Flohmarkt erstandene Mappe mit sämtlichen Holzschnitten von Albrecht Dürer.
Es waren nicht nur Dürers ungemein filigran geschnitzte Linien und seine subtilen Schattierungen, sondern auch und vor allem seine vielgliedrigen, detailreichen und dynamischen Kompositionen, die Bodo Rott faszinierten. „Die vier Apokalyptischen Reiter“, die wie in einem Wirbelsturm über die Erde hinwegfegen, gehören ebenso dazu wie die „Heilige Familie mit den drei Hasen“. Dieses Blatt folgt zwar der Darstellungskonvention des „Hortus Conclusus“, dennoch fliegen hier alle Linien von den spielenden Hasen am unteren Bildrand über die Gottesmutter mit dem Kind auf ihren Knien und den gebeugten Josef hinauf in den Himmel zu den beiden Engeln mit der Krone.
Nicht zufällig bezieht sich Bodo Rott mit der seit 2015 entstehenden Werkgruppe „Hortus Convulsus“ auf die christliche Ikonographie und die Mariensymbolik. Anders als in dem von einer Mauer umschlossenen und mit Lilien bepflanzten „Hortus Conclusus“, der für Keuschheit und Fruchtbarkeit der Gottesmutter gleichermaßen steht, herrscht bei Bodo Rott Wildwuchs. In seinen „verzerrten“ oder „verdrehten“ Gärten bilden viele verschiedene Einzelmotive, holzschnittartige Schnipsel, deformierte Figuren und Gegenstände, ein dichtes Unterholz, das dank unterschiedlicher illusionistischer Techniken aus der Tiefe heraus und weit in den Raum hinein wuchert.
Von Albrecht Dürer, dessen Kunst den Beginn der Neuzeit markiert, sind es nur vierhundert Jahre bis zu Fernand Léger und zu den Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Angesichts einer neuen Zeit und einer durch zahlreiche technische Neuerungen gesteigerten Geschwindigkeit des Lebens in den Großstädten machten die Künstler nun die Moderne zum Inhalt der Kunst. Zum Kubismus gehörten die Mehransichtigkeit von Dingen und Figuren, die Ablösung der Farbe von den Gegenständen, die sie bezeichneten, und vor allem die Zersplitterung der Formen, um die Gleichzeitigkeit von vielen verschiedenen Ereignissen darzustellen.
In den ungeschönten, zuweilen schonungslosen Darstellungen von Bodo Rott lassen sich jedoch auch Elemente des Verismus wie bei etwa bei George Grosz ausmachen. Und nicht zuletzt finden sich Bezüge zu der höchst eigenwilligen figurativen Malerei von Johannes Grützke, bei dem Bodo Rott Anfang der 1990er Jahre in Nürnberg vor seinem Wechsel an die Hochschule der Künste in Berlin studierte.
Wie gesagt, es wäre durchaus naheliegend, eine Verbindungslinie von Dürer über Léger, Grosz und Grützke zu den Bildern von Bodo Rott zu ziehen. Aber eigentlich wäre es schade, wenn man überhaupt versuchen würde, diese Bilder zu erklären. Viel spannender ist es nämlich, sie so zu betrachten, wie sie entstanden sind: Von einem einzelnen Fundstück, einem alten Foto oder einem kleinen Gegenstand ausgehend, assoziativ von Form zu Form wandernd, staunend und fragend, sich immer weiter treiben lassend, sich in die Tiefe hineinstapelnd und aus dem Bild heraus in den Raum tretend.
Bodo Rott möchte mit seiner Kunst keine Geschichten erzählen, sondern Situationen schaffen, in denen die Welt anders – aber nicht unbedingt schöner – erscheint, als sie tatsächlich ist. In die verzerrten und verdrehten Gärten seiner Bilder blickt man durch winzige Fenster. Spiegelscherben und Pfützen reflektieren die Fetzen des Berliner Großstadtlebens. In den Beeten wachsen zertretene Bierdosen oder die Reste einer ausschweifenden Party. Es gibt Pflanzliches und Ornamentales, Zerknülltes und Zerknautschtes. Auf den kahlen Bäumen sitzen Krähen und Tauben. Eine alte Frau schiebt ihren Einkaufswagen herein. Die Dinge und manchmal auch eine ganze Hochzeitsgesellschaft müssen sich nach den Gegebenheiten des Bildes richten. Sie werden gequetscht oder verzerrt, damit sie Platz finden. Sie werden hintereinander in den Bildraum gestaffelt. Aber sie werden trotz der Beengtheit auf der ihnen zugewiesenen Fläche mit großer Detailgenauigkeit und Hingabe gezeichnet.
Das Schönste aber an diesen Bilder ist, dass sie sich jedem Erklärungsversuch widersetzen. Dass sie sich nie und unter keinen Umständen in der digitalen Welt verbreiten ließen, sondern unbedingt im echten analogen Leben angeschaut werden müssen. Dass man aber auch dort nicht verstehen wird, wie ihre verwirrende Tiefe und Plastizität entstanden ist. Dass man noch so viele Dinge in ihnen finden kann – und sich gleichzeitig immer wieder neue Rätsel darin auftun.
Katja Sebald
Im Wirbelschatten
Rede von Bodo Rott zum Artist-Talk am 01.06.2025
„Im Raum der Erinnerung ist alles gleichermassen es selbst und etwas anderes.“ (Paul Auster, Portrait eines Unsichtbaren“)
Gegeben eine Wohnung. Die Wohnungstür öffnet sich und jemand betritt den Flur, legt die Strassenkleidung ab und geht ins Bad. Nach einem weiteren Gang in die Küche, betritt die Person das nächste Zimmer, legt sich dort auf ein Sofa und zappt mit der Fernbedienung durch die Nachrichten und Programme.
Gegeben ein Garten. Verschiedene Pflanzen strecken sich in allen Höhen in Richtung Himmel. Wind zaust und rüttelt sie. Blätter rascheln, Zweige klappern, Äste knarren. Aus diesem Groove erheben sich die Stimmen der Vögel und das Brummen und Sirren der Insekten. Entschlossen kriechen die Käfer, lautstark hüpfen die Amseln. Im Dickicht eine Pfütze vom letzten Regen. Darin spiegelen sich sämtliche Unterseiten. Ein stilles Auge im lebendigen Kreisen.
Gegeben ein Atelier Darin ein Maler. Neben sich Pinsel und Farben auf dem Paletttisch. Umgeben von (überbordenden) Gemälden. Auf der Staffelei eine Leinwand. Die äusserliche Stille wird von innerem Aufruhr begleitet, Zug um Zug finden die Farben ihren Platz, mit jedem Pinselstrich nimmt der innere Aufruhr ab, der Maler verschwindet, das Bild erscheint.
Was ist ein Maler? Ein Maler ist jemand, der die Malerei betreibt.
Sie gilt vielen als staubige Angelegenheit. Diese Leute haben Recht. Das Pigment ist eine spezielle Art von Staub. Staub mit Fett heißt Lehm. Pigmentstaub mit Fett heißt Ölfarbe. Aber Farbe ist nicht nur leuchtender Schlamm sondern auch ein Leuchten im Raum. Farbe hat also ein doppeltes Gesicht. Sein und Schein fallen in ihr von Anfang an auseinander.
Zur Malerei lassen sich aber alle möglichen Mittel gebrauchen: Holz, Fahrkarten, Styropor, Käse, Schokolade, Senf, Tee, Projektoren.
Was also ist Malerei? Malerei ist Licht zu Bildern gebeugt.
Die hier gezeigten Werke sind Ölbilder, Zeichnungen und ein Objekt das Skulptur und Malerei mischt.
Es sind Bilder und wie alle Bilder Collagen, oder besser Montagen, die im gegebenen Fall den Trick als solchen zu erkennen geben. Der Künstler hat es nicht auf das Imitat des Augenscheins einer ganz anderen Werktechnik abgesehen, sondern hat – zugunsten einer direkten Formulierfähigkeit – die Illusion auf das für ihn unabdingbare Mindestmass reduziert.
Darüber hinaus sind es figürliche Malereien, was bedeutet, dass die Werke zusätzlich zu ihrem Doppelcharakter aus Materie und Strahlkraft auch noch auf etwas ausserhalb ihrer selbst hinweisen, das der Maler gesehen hat und festhält.
Der figürliche Maler malt figürlich wegen des grösstmöglichen Reichtums an Problemen.
Überhaupt liegt die Zeichnung zuoberst. Den Werken eignet eine ornamentale Linienführung, Gesehenes wird in das strenge Korsett genau bestimmter Zeichen gebracht. So verstricken sich die Einzelheiten zu einem grossen Gewebe.
Umriss und Erscheinung, Flächenfarbe und Einschreibung sind in Widerstreit zueinander gebracht.
Psychedelisch, nennen andere die Bilder. Verzerrung dient hier der Verwandlung des Gesehenen und einer Betonung des unmittelbar Gegenwärtigen. Es sind Bilder, die auf verschiedenen Wegen mit dem Raum vor Ihnen, dem Betrachter und dem Bildraum spielen, indem sie scheinen, was sie nicht sind, indem sie eine Gleichzeitigkeit zu erzeugen versuchen von Erinnerung und Wahrnehmung, indem die sichtbaren Räume und Volumen in die unsichtbaren Räume der Gedanken und Gefühle führen.
Hier malt ein räumlicher Maler. Mit ihm betreten wir Raum und gehen so lange in die Malerei bis wir an dem Ort ankommen, den er gefunden hat. Es ist immer der gleiche Ort, er heisst „die Gegenwart“. Es ist der Ort, von dem aus ist es überallhin gleich weit. Absicht und Zufall halten sich dort die Waage, das Bild findet dort seine endgültige Gestalt.
Jedes Bild ist also ein Weg und ein Ort. Den Weg dahin kann der Maler aber nie zwei Mal gehen. Deshalb muss er immer ein neues anderes Bild malen.
Gegeben ein Meer. Es hat keine Küste.
Mächtige Kräfte wirken rundherum. Rollen gegeneinander an. Im Inneren das Meer als eine stille Zone. Der Knopf im wässrigen Mantel der Welt um den sich alle Falten strecken. Vom Weltraum aus gesehen vermutlich ein stilles Auge in den Gezeiten der Erde.
Auf geologisch heisst dieses Meer die Sargassosee. Auf physikalisch heisst die Erscheinung: der Wirbelschatten.
Wo die Wogen sich glätten eröffnet sich der Blick in die Tiefe.
In der Tiefe zu sehen: Walbabies, kleine Schildkröten, Seepferdchen, Kinderhaie, die Kinderstube der Welt.
Alles Flüssige bewegt sich im Kreis. Die träge Donau oder die wilde Isar fliessen zwar in einer Richtung davon, kommen aber doch als Regen zurück. Es taumelt und trubelt, stolpert und strudelt.
Wir halten also fest: Der figürliche Maler malt mit einem janusköpfigen Werkzeug ein Bild als Ortsbestimmung und Zustandsbeschreibung und zeigt eine durch Erinnerung und Durchdringung verwandelte Welt.
Manche nennen diese Werke laut, das ist insofern richtig als in der Regel der Betrachter überrollt wird von einer Fülle an Sichtbarem, einer Art von visuellem Lärm, bei dem das Ornamentale hilft. Ein bildliches Tosen, durch das der Betrachter erst einmal hindurch muss.
Dazu bedient sich der Maler sämtlicher erinnerter Erscheinungen. Ein Wirbel aus dem Treibgut der Tage, das in jedem Menschen kreist.
Mit dem Reichtum an Problemen der Malerei antwortet der Maler auf den Reichtum an Problemen, der kurz „das Leben“ genannt wird.
Die Antwort zieht ihn in einen Strudel, der das Malen selber dann ebenso wichtig macht wie das gefundene Bild.
„Geschmack hat nur die Wirklichkeit.“ (Hanns Henny Jahn, Fluss ohne Ufer)
Dank
Unser besonderer Dank gilt Paulo Mulatinho, dessen sichere Hand in der Web-Gestaltung die Präsentation abgerundet hat und Katja Sebald, die die Gedanken hinter den Bildern in ihrem Vortrag hat lebendig werden lassen.
Bodo und Fritz
Die Ausstellung ist vom 10.Mai bis 21.Juni 2025 zu den Öffnungszeiten der Galerie zu besuchen.
galerie 13 - fritz dettenhofer