Pomona Zipser – Verwegen auf Abwegen
Die Aufgabe muss möglichst schwierig sein: Ein Kunstwerk, das man wie eine Handtasche tragen oder wie einen Reisekoffer rollen kann. Eine ausgefuchste mechanische Konstruktion. Ein sorgfältig austariertes Gleichgewicht. Die eigentlich unmögliche Darstellung einer Reiseroute oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung als plastische Formen. Die Künstlerin Pomona Zipser denkt sich solche komplizierten Aufgaben aus, um sich selbst herauszufordern. „Ich mache eine Skulptur, um etwas sehen und hinstellen zu können, das mich in der Vorstellung beschäftigt“, sagte sie dazu einmal. Die Lösung einer solchen selbstgestellten Aufgabe findet sie, indem sie das Erfundene und Erdachte mit Gefundenem und Gebautem sichtbar macht.
Pomona Zipser wurde als Tochter einer Malerin und eines Bildhauers 1958 in Hermannstadt in Siebenbürgen geboren. Seit 1970 lebt sie in Deutschland. Sie begann 1979 ein Studium der Malerei bei Mac Zimmermann an der Akademie der Bildenden Künste in München. Anfang der 1980er Jahre wechselte sie an die Universität der Künste in Berlin. Dort studierte sie Bildhauerei bei Lothar Fischer, dessen Meisterschülerin sie auch war. Bis heute lebt und arbeitet Pomona Zipser in Berlin. Ihre vielfach ausgezeichneten Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen zu sehen und befinden sich in namhaften privaten wie öffentlichen Sammlungen.
Die Objekte von Pomona Zipser entstehen zumeist aus Holzfundstücken, die sie mit Schrauben, Drähten oder Schnüren zu eigenwillig fragilen Konstruktionen fügt. Aber nicht nur Leisten, Bretter, Kisten oder zerbrochene Liegestühle, auch Eisenteile, Möbelgriffe, Henkel, Ketten, Nägel, Werkzeuge, Räder, Seile oder ausrangierte Alltagsgegenstände können ihr Interesse wecken. In einer Art Upcycling verwandelt sie dieses Strandgut der Wegwerfgesellschaft in elegante Plastiken. Selbst ihre eigenen Arbeiten sind vor einer Wiederverwertung in einem neuen Zusammenhang nicht sicher.
Am Ende werden die aus verschiedenen Materialien bestehenden Teile durch eine einheitliche Farbfassung zu einem Ganzen. Das Weiß, das Schwarz oder das matte, warme Rot machen aus der Konstruktion eine Form, die Farbe umschmeichelt Bruchstellen und Übergänge, Klebestellen ebenso wie knotige Schnur- und Drahtgelenke.
Nicht nur die plastischen Formfindungen von Pomona Zipser, auch ihre Papierarbeiten entstehen nach dem Prinzip der Collage. Gefundenes – Holzstücke oder Papierschnipsel – wird in einen neuen Sinnzusammenhang gebracht, nicht dem Zufall folgend, aber eben zwangsläufig mit der Fähigkeit zu improvisieren.
Will man die spezifische Arbeitsweise von Pomona Zipser ergründen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Heinke Fabritius, die ihre letzte Ausstellung in Freising eröffnete, fand eine Erklärung in der Biografie der Künstlerin. Sie schrieb: „Mit dem Prinzip der Collage und der Improvisation ist auch dasjenige des Recycelns verbunden. Die Kompromisslosigkeit, mit der alle drei zur Anwendung gebracht werden, ist allerdings weniger eine selbstauferlegte Disziplin, vielmehr rührt sie aus einer früh erfahrenen, wenige Handlungsräume anbietenden Lebenswelt, wie sie die kommunistischen Gesellschaften diktierten.“
Durchaus spannend erscheint jedoch auch der Blick auf den Bildhauer Lothar Fischer, der seine Schülerin in ihrem eigenwilligen „Bauen“, einer Vorgehensweise abseits von klassischer Skulptur oder Plastik, sehr bestärkte. Fischer war davon überzeugt, dass ein Künstler aus sich selbst heraus schaffen und auf seine ganz eigene Gabe der Formfindungen vertrauen müsse, ohne ein Vorbild vor Augen zu haben. Das Zeichnen und das Realisieren von Skulpturen hatten für ihn gleichrangige Bedeutung. Wichtigstes Ziel seiner eigenen bildnerischen Arbeit war die Konzentration auf das Wesentliche und die Vereinfachung, die ihm jedoch in erster Linie Verdichtung bedeutete.
Alle drei Aspekte finden sich auch im Werk von Pomona Zipser, obwohl – oder gerade weil – sie bereits an der Akademie ihren ganz eigenen Weg eingeschlagen hat. Ihre Objekte werden selten vorgezeichnet, sondern meistens nur „vorgedacht“. Zeichnung und Collage entstehen parallel zur bildhauerischen Arbeit und sind ein gleichwertiger Strang in ihrem Schaffen. Hier wie dort geht die Künstlerin jedoch von der Linie, nicht von der Masse aus. Und so kann es eben durchaus sein, dass ein Objekt kaum mehr ist als ein „Strich an der Wand“ und dass aus einem chinesischen Schriftzeichen eine plastische Form wird.
Seit vielen Jahren ist Pomona Zipser als Strandgutsammlerin in den Straßen und auf den Wertstoffhöfen der Großstadt unterwegs. Sie holt sich Dinge ins Atelier, die bereits ein Leben hinter sich haben und meistens davon gezeichnet sind. Sie baut aus diesen Fundstücken verwegene und auch abwegige Gebilde, die manchmal nur durch einen einzigen Faden, einen kleinen Haken, ein Stöckchen oder ein Schräubchen im Gleichgewicht gehalten werden. Manche sind die Lösung einer höchst komplizierten Fragestellung, manche die Antwort auf etwas zufällig Gesehenes. Und doch ist in jedem dieser Objekte alles Wesentliche zu einer Form verdichtet.
Jede der Arbeiten von Pomona Zipser ist eine Erzählung, eine Parabel für das, was das Leben ausmacht – und gleichzeitig eine Einladung, sich selbst „verwegen auf Abwege“ zu begeben.
Katja Sebald