Jung und zielstrebig Im Portrait spricht die 20-Jährige Rorschacherin Jemina Ernst über ihre Zukunft, die Freuden an ihrem Amt und in welche Richtung sich die reformierte Kirche entwickeln soll.

Sie wird Anwältin. Sie wird den Militärdienst absolvieren. Sie wird eine Familie gründen. Das war für Jemina Ernst schon lange klar. Deshalb hat sie auch die Kanti gemacht. Deshalb hat sie sich für die Rekrutierung angemeldet. Deshalb studiert sie Recht. Ihre Zukunft scheint die 20-Jährige bereits felsenfest geplant zu haben. Dass, wie beim Militärdienst, mal etwas anders kommt als geplant, passiert auch bei ihr. Von ihren Bestrebungen lässt sich die jüngste Synodale des Kantons aber nicht abbringen. Zielstrebig – dieses Adjektiv passt zur Rorschacherin.

In der Kirche aufgewachsen

Dabei war der Weg zum jüngsten Mitglied in der St. Galler Synode nicht geplant, sondern hat sich einfach ergeben: Der Pfarrer kam im Frühjahr 2022 auf sie zu und fragte sie. Nach einer kurzen Schilderung, was die Synode ist, sagte sie diesem Amt zu. Ein Zufall war aber auch das nicht. Jemina wuchs mit ihren drei jüngeren Geschwistern in der Rorschacher Kirchgemeinde auf. Als Jugendliche begann sie, Weekends und Lager zu leiten. Sie half mit, wenn Freiwillige für den Oster-Zmorgen gesucht wurden, oder begleitete mit ihrer Mandoline einen speziellen Gottesdienst. Sie engagiere sich halt gerne, wenn ihr etwas wichtig sei. Die Rorschacher Kirchgemeinde gehört wohl dazu. Eine Fremde ist sie hier keinesfalls. Fröhlich grüsst sie die Sekretärin und die Hausmeisterin im Kirchengemeindezentrum, während wir einen passenden Raum für unser Gespräch suchen. Und bevor wir dann Platz genommen haben, erzählt sie vom kürzlich abgeschlossenen Neubau eben dieses Kirchengemeindezentrums. Schnell ist klar: Wir sind auf ihrem Terrain, hier kennt sie sich aus.

Zwischen Debatte und Politik

Seit ihrer Zusage sammelte Jemina Ernst an zwei Synoden unzählige Eindrücke. Speziell fasziniert sie die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulisse, in die Abläufe und den ganzen Aufbau der Landeskirche zu werfen. Dabei könne sie viele Dinge lernen. Dinge, die ihr eines Tages als Anwältin helfen könnten. Oder in der weltlichen Politik. Das würde die 20-Jährige auch reizen.

Es gibt aber etwas, was Jemina in der Synode vermisst: das Klatschen. Ein Szenenapplaus für eine gute Argumentation. Seinen Beifall nach einer Rede zeigen. «Das belebt die Debatte und die Synode lebt von der Debatte», sagt Jemina. Und sie selbst, sie scheint Debatten zu lieben: in ein Thema einarbeiten, eine Meinung dazu bilden und diese vertreten. Das glaubt man ihr aufs Wort. Bestimmt und selbstbewusst argumentiert sie, hat dabei offensichtlich Freude und scheut sich nicht, vor anderen ihre Meinung kundzutun. Herausforderungen gefallen ihr mehr als Abnick-Traktanden ohne Diskussion. Da erstaunt es niemanden, dass die weltliche Politik sie reizen würde.

Familie ist überall

Die Kirchenpolitik ist für Jemina aber mehr als ein ruhiges Übungsbecken, bevor sie auf das stürmische Meer der weltlichen Politik segeln will. Denn bei ihrem synodalen Amt sieht sie sich in ihrer christlichen Aufgabe, Gottes Licht auf der Welt zu verbreiten. Aber das Amt sei auch ein Einsatz für die Kirche und deren Werte. Zwei Dinge, welche für sie einen wichtigen Teil ihrer Identität darstellen. Unterstrichen vom schlichten, silbernen Kreuz an ihrer Halskette.

Einen expliziten Wert nennt die 20-Jährige dabei immer wieder: die Familie. Nach dem Studium will sie selbst eine gründen, sich selbst beschreibt sie als Familienmensch und auf die Frage, was für sie bewundernswert sei, kommt die Antwort: «Wenn jemand sein Herz, seine Seele, einfach alles für die Familie gibt».

Das Fundament

Sich selbst bleiben, verwurzelt sein, gewissem Druck standhalten, ein Anker, eine Konstante. All diese Ausdrücke nennt Jemina, als es um die Zukunft der Kirche geht. Denn eine Kirche, die sich alle zehn Jahre neu erfindet, wäre nicht die ihre. Die Synodale will sich einsetzen für eine Konstante, keine Fahne im Wind. Für eine Kirche, die sich selbst bleibt, den Leuten Halt gibt und nicht jedem Trend nachrennt. Sie will die Kirche nicht neu erfinden, sie will deren Fundament – die Bibel und die christlichen Werte – bewahren und stärken. Für sie scheint dies mehr als das Fundament der Kirche zu sein. Es ist auch ihr eigenes.

In ihren 20 Jahren hat sie bereits viele Erfahrungen auf ihr Fundament bauen können. Und sie baut fleissig weiter. Denn Jemina ist auch neben ihrem Engagement in der Kirche und dem Studium äusserst aktiv: Sie hat zwei Nebenjobs, ist Rettungsschwimmerin, spielt Mandoline, Klavier und Alphorn. Dann kommen noch Freunde, Fitness und ab und zu Tennis dazu. Und natürlich Zeit für ihre Familie. Doch viel loszuhaben, entspricht ihr. Sie will ihre Zeit gut nutzen. In Verschiedenes hineinschauen, spannende Begegnungen erleben, verschiedene Perspektiven kennenlernen. Das bringe sie weiter, sagt Jemina. «Mein Bild von der Welt wird farbiger und schärfer.»

Da ist sie wieder. Sie, die Herausforderungen sucht, um daran zu wachsen, sie die schon vor der Kanti wusste, was sie studieren wird. Die Zielstrebige.

Text: Diego Müggler, Fotos: Diego Müggler, Andreas Ackermann