ICH und DU Sinen Thalheimer und Karl Mordstein

Zeichen des eigenen Seins

Sinen Thalheimer und Karl Mordstein

Der Ausstellungstitel „Ich und Du“ steht für ein Künstlerpaar, das auch über den Tod hinaus Zwiesprache hält: Sinen Thalheimer, die 1943 in Balingen zur Welt kam, und Karl Mordstein, der 1937 in Füssen geboren wurde, lernten sich Anfang der 1960er Jahre als Studenten an der Werkkunstschule in Augsburg kennen. 1968 gingen die beiden zusammen nach München. Im ersten Sommer lebten sie, weil sie keine Wohnung hatten, in einem Zweimann-Zelt am Ammersee. 1970 heirateten sie.

Nach zwei Jahren – zwei sehr erfolgreichen Jahren – im neuen Beruf als Grafiker und in einer chicen Münchner Werbeagentur beschloss Karl Mordstein, seinen gut bezahlten Job zu kündigen und Künstler zu werden. 1972 richtete ihm die Galerie Margelik in München die erste Einzelausstellung aus. Erfolge auf dem Kunstmarkt stellten sich bald ein und es folgte über Jahrzehnte eine überaus rege Ausstellungstätigkeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz, auch in den USA und in Japan wurden seine Arbeiten gezeigt.

Sinen Thalheimer arbeitete zunächst ebenfalls als Layouterin in Werbeagenturen. 1980 zeigte sie erstmals in einer Ausstellung Arbeiten in Ton. Seither waren ihre Plastiken in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen, nicht selten gemeinsam mit den Bildern ihres Mannes. 1987 zog das Künstlerpaar auf den Hollerberg in Wilzhofen. Bis zuletzt sei der Maler auf der Suche nach einem gültigen Ausdruck von persönlicher Freiheit gewesen, der ihm nur mit dem Medium der Kunst erreichbar schien, schrieb Stefan Tolksdorf über Karl Mordstein, der 2006 im Alter von nur 69 Jahren starb.

Mit großer Konsequenz hatte Mordstein seinen künstlerischen Weg beschritten. Die Anfänge waren, dem Zeitgeist entsprechend, vom Surrealismus geprägt. Es folgte, ebenfalls zeittypisch, eine Schaffensphase, die dem Informel zuzurechnen ist. Und schließlich entwickelte sich nach und nach eine ganz eigene Bildsprache, die das Werk von Karl Mordstein bis zuletzt prägen sollte: Viele seiner Bilder werden von horizontalen Lineaturen gegliedert, die unweigerlich an Partituren denken lassen. Die „Noten“ in diesen Partituren sind zur Chiffre verkürzte „Lebenszeichen“: Man findet immer wieder eine einfache Hausform, ein Boot, eine Spirale oder eine Wellenlinie. Auch gibt es kalligrafische, aber dennoch kryptische Schriftfragmente.

In den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens sei der Maler erfüllt gewesen von einem Gefühl des Angekommenseins, schrieb Stefan Tolksdorf in seinem Text für das Buch „Lebenszeichen“, das Sinen Thalheimer zur Erinnerung an ihren verstorbenen Mann herausgegeben hat. Das schöne Atelierhaus auf dem Hollerberg und seine besondere Atmosphäre habe sich auch auf das Schaffen des Künstlers ausgewirkt: Beinahe täglich sei dort ein Bild entstanden. Mit besonderem Elan habe sich Mordstein auch dem großformatigen Tafelbild zugewandt. „Und dies in einem Arbeitspensum, das sich sehr wohl mit dem des von ihm bewunderten späten Paul Klee vergleichen lässt“, so Tolksdorf. „Wie dieser liebte Mordstein die selbstgewählte Abgeschiedenheit, die Verinnerlichung. Es ist gewiss nicht falsch, in der Anmutung seiner ruhig schwebenden Farbzeichnungen den Ausdruck einer Geisteshaltung zu erkennen, die sich gerade dieser bewussten Abkehr vom hektischen Kunstmarktgeschehen verdankt: konzentrierte Gelassenheit.“

Den in dieser Ausstellung gezeigten späten Arbeiten von Karl Mordstein, zumeist in Acryl auf Holz oder in Öl auf Leinwand entstanden, ist eine zurückhaltende, oftmals zarte, milchig-matte Farbigkeit gemeinsam. Einige von ihnen fasste der Künstler unter dem Begriff der „Schleierbilder“ zusammen. „Ich habe schon sehr früh gewusst, dass ich mich ausdrücken wollte, ohne laut zu sein“, schrieb Karl Mordstein. Die Arbeiten aus seinen letzten Lebensjahren erscheinen wie eine Verdichtung dieses künstlerischen Anliegens: Sie sind niemals laut, aber dennoch eindringlich. Sie zeichnen sich durch einen sensiblen Strich und sparsam gesetzte gegenständliche Andeutungen aus. Zugleich sind sie in formaler Hinsicht pointiert, auf das Wesentliche reduziert. Im Rückblick dürfen sie uns als Lebenszeichen erscheinen, die bereits den Abschied in sich tragen.

Der Verlust des geliebten Menschen ist der denkbar tiefste Einschnitt im Leben. Nach dem Tod ihres Mannes, einer schweren Krise und einer Zeit der Trauer fand Sinen Thalheimer wieder zurück zu ihrer Arbeit. Ihre Werkstatt wurde ihr Zuflucht und Kraftort. Bereits zum zweiten Mal zeigt sie in Freising ihre Arbeiten im Dialog mit den Bildern ihres Mannes.

Als Bildhauerin arbeitete Sinen Thalheimer von Anfang an mit Ton, zunächst fast abstrakt, dann mehrere Jahre lang konsequent figürlich. Heute entstehen ungewöhnliche, oftmals großformatige Plastiken, die im Grenzland zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion angesiedelt sind. Und in dieser Ausstellung hier ist erstmals eine Reihe von Arbeiten zu sehen, die an der Wand hängend präsentiert werden wollen.

Die stark bearbeiteten Oberflächen der Objekte von Sinen Thalheimer lassen eher an grob behauene Steinblöcke denken, denn an Keramiken. Man könnte meinen, die Künstlerin habe sie mit Hammer und Meißel anstatt mit Spachtel und Modellierholz geformt. Viele ihrer Plastiken, die nicht glasiert, sondern nach dem Brennen bemalt werden, wirken schwer und massig, ihre Haut wie verwundet. Man möchte kaum glauben, dass es sich um hohle, aus Tonplatten aufgebaute Körper handelt, die den Ofenbrand dank winziger Luftlöcher überstanden haben. Ihre Formen erinnern an archaische Kultobjekte, manche von ihnen könnten Gefäße sein, andere uralte Gottheiten oder heidnische Fruchtbarkeitssymbole wie etwa die große blaue Blütenform. Aber wie diese geheimnisvollen Objekte Masse und Gewicht nur vortäuschen, so führen sie uns auch mit ihrer Zuordnung zur Welt der Dinge in die Irre.

Weder kann man mit dem kleinen Königswagen fremde Länder erobern und Huldigungen entgegen nehmen, noch wird man in dem schwarzen Boot in See stechen. Kein Vogel brütet in dem kleinen Nest, niemand wohnt in dem grauen Haus und keine Straße führt durch das verlassene Felsendorf.

Und doch haben gerade die neuen Arbeiten von Sinen Thalheimer sehr viel mit dem Leben zu tun. Sie sind sind zwar keine Abbilder der Realität, sondern entstehen vielmehr aus der Intuition. Fast immer aber haben sie einen konkreten Ausgangspunkt, beruhen auf einer besonderen Begebenheit, einer Erinnerung oder einem Wunsch: So ließ sich Sinen Thalheimer von den an der Wand angebrachten Grabplatten und Epitaphien im gotischen Kreuzgang der Augsburger Annakirche zu ihren Wandobjekten inspirieren. Mit der Hommage an ein altes Haus würdigt sie ein steingedecktes Rustico, das ein gedankenloser Nachbar abreißen ließ. Das feine Geflecht, das sich zu einem Nest schließt, die sanfte Wellenform, das schwarze Boot und der grüne Nachen, erst recht aber der spiralförmige Weg, der sich zu einem Berg erhebt – alle diese Arbeiten sind als ebenso schlüssige wie poetische Sinnbilder für das Leben entstanden.

„Es beschleicht uns die Erkenntnis, dass das Ziel nicht in großartigen Taten liegt, sondern in der Beschränkung, der Selbstbestimmung, der Ausgestaltung des eigenen Seins“, heißt es in einem kleinen Text von Karl Mordstein. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Spiralform, Wellenlinie und Geflecht, aber auch Haus und Boot in seinen Bildern ebenso auszumachen sind wie sie sich bei Sinen Thalheimer als Objekten manifestieren. Als „Zeichen des eigenen Seins“ stehen sie für die innige Verbindung dieses Künstlerpaars.

Katja Sebald

Dank

Im Rahmen der Onlinepräsentation möchte ich mich bei Katja Sebald für ihren aufschlußreichen Text bedanken. Ein Dank an Paulo Mulatinho für die visuelle Umsetzung.

Die Ausstellung ist vom 27. April bis 8. Juni 2024 zu den Öffnungszeiten der Galerie zu besuchen.

galerie 13 - fritz dettenhofer