Geschrieben und fotografiert von Stefan Volkamer
Wer der 28-jährigen Lemgoerin Pia Krein zum ersten Mal begegnet, der ahnt nicht, wer da vor einem steht. Die sympathische junge Frau − seit geraumer Zeit verheiratet – vermittelt einen ruhigen und ausgeglichenen, beherrschten, aber auch zielstrebigen Eindruck. Sie ist eine Frau mit Sinn für das Schöne, Ästhetische und Harmonische und man könnte sie sich gut in der Kreativbranche vorstellen. In einer Werbeagentur zum Beispiel. In einem Fotostudio. Oder in der Mode- und Textilwelt. Doch weit gefehlt. Pia dreht. Sie dreht für ihr Leben gern. Sie dreht Holz. Viel Holz. Unterschiedlichstes Holz. Per Hand. Und natürlich mittels modernster Maschinen.
Neumann GmbH & Co. KG
Pia Krein ist Drechslermeisterin von Beruf und arbeitet im Drechslereibetrieb ihrer Familie. Ihr aus Ostpreußen stammender Großvater Siegfried Neumann, der gelernter Tischlermeister war, hat die Drechslerei 1967 in Lemgo gegründet. Ihr Vater, Drechslermeister Dieter Neumann, führt seit Anfang der 1980er die Geschäfte der „Neumann GmbH & Co. KG“ und es ist absehbar, dass und wann Pia die Leitung des Betriebes gänzlich übernehmen wird. „Aber nicht ad hoc und einfach so von heute auf morgen“, so Dieter Neumann. „Es ist ein eher fließender Übergang von der einen auf die nächste Generation. Ich werde mich in kleinen Schritten immer mehr zurückziehen und meiner Tochter zunehmend mehr Verantwortung für unseren Betrieb und unsere treuen, langjährigen Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen sowie Kunden übertragen. Irgendwann wird sie dann das alleinige Sagen haben, wobei ich mir durchaus vorstellen kann, hin und wieder vorbeizusehen, so, wie es heute noch mein Vater tut.“ Wer über dreißig, vierzig oder gar fünfzig Jahre dem Holz gezeigt hat, wie man es am besten dreht und in Form bekommt, der hört nicht einfach auf, sondern steht der nachfolgenden Generation mit Rat, und manchmal auch mit Tat, zur Seite. „Mein Vater“, gesteht Pia, „hat in seinem Leben als Drechslermeister so viele Erfahrungen gesammelt, so viele Werkstücke produziert, so viel Holz verarbeitet und auch immer so viele Probleme erkannt und bewältigt, dass ich diesen reichen Fundus an Know-how mit großer Freude noch möglichst lange anzapfen werde. Sein Erfahrungsschatz ist Gold wert und ich kenne keinen anderen Drechsler in der näheren wie weiteren Umgebung, der sich mit Holz und seinen zahlreichen Be- und Verarbeitungsmöglichkeiten so gut auskennt wie er. Er lebt Holz. Er ist Holz. Es kommt mir manchmal schon so vor, als würde es in winzig kleinen Staub-Partikeln durch seine Adern fließen“, so Tochter Pia.
Fotografie und Mediengestaltung
Von der leidenschaftlichen Hobby-Reiterin, die ihr Pferd in einem Reitstall in Leopoldshöhe untergebracht hat, haben weder die Eltern noch Großeltern erwartet, dass sie den Betrieb einem übernehmen soll. So hat es in der Familie auch keinen verwundert, dass der erste Berufswunsch der feinsinnigen Drechslerin war, Fotografin zu werden. „Fotografieren war schon seit Kindesbeinen mein großes Hobby. So lag es nahe, aus meinem Hobby gleich auch meinen Beruf zu machen. Aber die Ausbildung hatte mir nicht wirklich zugesagt, sie hat meine Erwartungen nicht erfüllt. Also habe ich frühzeitig die Kehrtwende eingeleitet und eine Ausbildung als Mediengestalterin angefangen. Ziemlich naheliegend fand ich das damals. Beides sind kreative und schöpferische Berufe.“ Ihre Ausbildung zur Mediengestalterin hat sie erfolgreich abgeschlossen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, „tagein und tagaus von morgens bis abends vor dem Bildschirm zu sitzen“, gesteht sie. Ihr Studium hat ihr zwar gefallen, aber sie vermisste etwas. Sie vermisste den Umgang mit Holz, „mit diesem einzigartigen Material, dass alle Sinne betören und an Schönheit nicht zu überbieten ist, wenn man es in Form gebracht und seine Oberfläche seidenmatt schimmernd geschliffen hat.“ Und sie vermisste den Holzgeruch am Morgen. Egal ob Stuhlbeine, Handläufe, Möbelfüße, Zier- und Dekoelemente, Teller, Beschläge, Urnen oder edle Designerstücke – wenn sie mit geschlossenen Augen ihre fertigen Holzarbeiten in die Hand nimmt und vorsichtig abtastet, „dann steigt in mir ein großes Glücksgefühl auf.“
Die Entscheidung ihres Lebens
Ihr Wunsch, eine weitere Ausbildung zur Drechslerin zu absolvieren, war fast schon überm��chtig. Mit eigenen Händen etwas zu erschaffen, es sehen und haptisch erleben zu können, war die treibende Kraft. Also besuchte sie die Berufsschule in Bad Kissingen und absolvierte ihre Lehre im väterlichen Betrieb in Lemgo. Das Handwerk liegt ihr eben im Blut, „und das Holz erst recht.“ Ihre praktische Lehrzeit wollte sie in keinem Fremdbetrieb machen, und das aus einem bestimmten Grund. „Wir verfügen über einen der technisch modernsten Betriebe seiner Art. Unsere 5-Achsmaschinen werden in Italien hergestellt. Diese Maschinen sind sehr teuer und ihre Programmierung und Bedienung kann man in Deutschland nur bei uns lernen. Die maschinelle Fertigungsquote liegt zwischen neunzig und fünfundneunzig Prozent. Wichtig war also, dass ich diese Maschinen genauestens kenne, sie programmieren und bedienen kann. Bei meinem Vater in die Lehre zu gehen war deshalb – betriebsbedingt − absolut notwendig“, erläutert Pia.
Auf die Gesellenprüfung folgte die Meisterprüfung, die erst seit einigen Jahren wieder verpflichtend ist, um Nachwuchs ausbilden zu können. Und Nachwuchs ist wichtig. Ohne Nachwuchs wird das zum „immateriellen Kulturerbe“ erklärte Handwerk des Drechslers irgendwann aussterben, und das ist für Pia Krein unvorstellbar. Das Thema Nachwuchs stellt sich auch den Neumanns immer wieder, denn viele Ausbildungswillige wollen lieber Holztechniker als Drechsler werden. „Die jungen Leute“, ergänzt Dieter Neumann, „suchen eher einen Schreibtischjob und möchten nicht an den Maschinen stehen oder noch Hand anlegen. Sie wählen das Büro, ohne zu wissen, was ihnen entgeht.“ Pia und ihr Vater bilden derzeit 3 Auszubildende aus. Einer stammt aus Lippe, einer aus Braunschweig und einer aus Ulm. „Die Jugendlichen nehmen dabei viel auf sich, verlassen ihre angestammte Umgebung und ihren Freundeskreis.“ Doch sie ziehen nach Lemgo, um in einem der renommiertesten Betriebe des Drechsler-Handwerks lernen zu können. Immerhin drei Landesbundessieger haben bei Neumann ihr Handwerk gelernt und es auf das oberste Treppchen ihrer Zunft geschafft. „Darauf sind auch wir ganz schön stolz“, gibt Pia zu.
Wir sind eine große Familie
Einschließlich der drei Auszubildenden arbeiten derzeit 25 Mitarbeiter: innen bei Neumann. 5 Frauen und 20 Männer. Die meisten von ihnen haben hier schon ihre Ausbildung gemacht und sind dem Betrieb seit Jahrzehnten treu verbunden. „Wir sind wie eine große Familie. Jeder kennt jeden und alle halten zusammen. Natürlich muss einer das Sagen haben, Entscheidungen treffen und letztlich auch die Verantwortung übernehmen. Aber es gibt bei uns kein „Ihr da oben“ und „Ihr da unten“. Wir arbeiten gemeinsam an Lösungen und finden sie auch in der Regel. Dieser Zusammenhalt macht uns stark und führt zu bestmöglicher Qualität. Manchmal kommen selbst unsere Azubis nach stundenlangem Tüfteln auf Ideen, auf die selbst mein Vater und ich nicht gekommen wären“, freut sich Pia. Alle denken mit und bringen sich ein.
Goldene Zeiten und schlaflose Nächte
Und das ist auch wichtig, denn der Markt verändert sich dauernd und immer schneller. „Als die lippische Möbelindustrie noch stark und bedeutsam war, gingen schnell mal 50.000 Einzel-Elemente durch unsere Maschinen. Griffe, Füße und dekorative Aufsätze etwa“, erinnert sich Dieter Neumann. Das waren für ihn goldene Zeiten. Mit dem Sterben der Möbelindustrie musste man sich umsehen, neu aufstellen, neue Marktsegmente erobern und gleichzeitig den Betrieb erhalten und den altgedienten Mitarbeitern pünktlich ihre Löhne auszahlen. „Da gab es dann schon die eine und andere schlaflose Nacht. Es ging ja nicht nur um uns, um die eigene Familie. Es ging auch um den Joberhalt unserer Mitarbeiter und deren Familien.“ Neumann hat sich erfolgreich angepasst und produziert zwar nach wie vor für die deutsche Möbelindustrie, aber auch für viele weitere Branchen. Und für Designer. Neben dem deutschen Markt beliefert Neumann Kunden in Holland, Dänemark, Österreich und England. „Wir produzieren, montieren, verpacken und versenden inzwischen für und in viele Länder“, erklärt Pia. „Wichtig ist dabei für uns, den Maschinenpark so gut wie möglich auszulasten und dennoch Produkte mit einzigartiger Ausstrahlung und Qualität zu fertigen. Das sind wir uns, unseren Kunden und dem Holz schuldig.“
Aus Holz geht fast alles
Rund 300 aktive Kunden beliefert die Drechslerei Neumann. Serielle Fertigungen dominieren. Etwa 15% von ihnen sind Großkunden, die Ware mit Auflagen von einigen tausend Stück abnehmen. Auf den Millimeter genau gearbeitet, versehen mit einem makellosen Oberflächenfinish, kraftvolle oder filigran gearbeitete Handschmeichler aus Holz. „Es geht“, so Pia Krein, „bei uns nicht mehr ausschließlich nur um das Drechseln von Holz. Wir können drechseln, schreinern und tischlern und aus Holz eigentlich alles machen, was irgend möglich ist. Nur in Form pressen können wir Holz nicht. Das aber kann ganz besonders gut einer unserer Kunden.“
Die Kunden der Lemgoer Groß-Drechslerei legen nicht einfach ihre Vorstellungen auf den Tisch und feilschen um jeden Cent. Sie haben vielmehr eine Idee in ihren Köpfen und suchen nach einem Partner, der sie versteht und mit Ihnen gemeinsam Lösungen erarbeitet. „Eine Idee ist immer eine Sache“, meint Pia. „Aber von der Idee bis zum fertigen, lupenreinen und verkaufbaren Produkt ist es ein langer Weg. Mit unserer jahrzehntelangen Erfahrung und dem Wissen, was holztechnisch machbar ist, können wir unsere Kunden ausgiebig beraten und weit im Voraus potenzielle Fehlerquellen bei der Produktion ausschließen. Gut für unsere Kunden. Und gut für uns.“
Mit dabei ist immer Drechslermeister Florian Schüring, der seit 2009 zu den wichtigsten Mitarbeitern zählt. Er kennt alle Facetten des Drechslerhandwerks, beherrscht den Maschinenpark im Schlaf und ist für Pia eine ganz besonders wichtige Stütze. Das Vertrauen der Familie in ihn und seine Fähigkeiten ist dabei so groß, dass Florian inzwischen zum Mitgesellschafter berufen wurde.
Die serielle Fertigung in großem Stil ist wichtig für den Familienbetrieb. Aber Serie heißt nicht, Abstriche in der Qualität hinzunehmen. In dieser Hinsicht sind sich Vater und Tochter absolut einig. „Was unser Haus verlässt, ist absolut makellos. Das ist Teil unserer Philosophie, des Anspruches an uns selbst. Den unbedingten Willen, nur perfekte Produkte mit einer einzigartig hohen Ausstrahlungskraft herzustellen − den schätzen unsere Kunden an uns und dafür sind wir weit über die Grenzen Ostwestfalens und sogar der ganzen Republik bekannt.“ Großserien lasten den Betrieb gut aus. Aber richtigen Spaß bereiten Pia die kleinen, feinen und zum Teil sehr kniffeligen Aufträge, die meistens von Möbel- oder Interior Designern an sie herangetragen werden. „Manchmal sind es nur zwanzig oder dreißig Stück, die wir dann fertigen. Aber in der Planung und letzten Endes in der Produktion sind sie oft sehr anspruchsvoll und herausfordernd. Solche Kunden kommen zu uns, weil mir mit ihnen gemeinsam alle Möglichkeiten ausloten, die es gibt. So ein Prozess ist spannend, und wenn das Ergebnis die Erwartungen der Kunden dann noch übertrifft, kommt richtig Freude auf“, so Pia.
Nachhaltig produzieren
Der Betrieb des Maschinenparks, das Beheizen der Produktionshallen und insbesondere das permanente Absaugen von Holzstaub ist energieintensiv. Bei den derzeitigen Energiekosten eine kostspielige Angelegenheit. Aus diesem Grund hat sich Geschäftsführer Dieter Neumann schon vor Jahren entschlossen, Teile seiner Hallendächer mit einer modernen Fotovoltaik-Anlage auszustatten. „Wir produzieren rund 210 KW und decken damit eine große Menge unseres Strombedarfs ab. Geheizt wird über Restholz und Holzspäne aus der Produktion. Ab und zu schieben wir auch Festholz nach. Wir sind nicht zu 100% energieautark, aber viel Heizöl brauchen wir on top nicht mehr. Unsere Energiekosten sind überschaubar. Würden wir nicht mit Sonne und Holzabfällen seit Jahren heizen, sähe die Rechnung anders aus. Nämlich untragbar“, so Dieter Neumann.
Genauso sieht es auch Tochter Pia, die ihrem Vater für seine Investitionen in die Energieversorgung des Betriebes mehr als dankbar ist. Ohne diese weise Voraussicht wäre ihrer Aussage zufolge die Belastung des Betriebes zu hoch, um auch weiterhin wirtschaftlich arbeiten zu können. „Da hat er sich ganz schön durch den Dschungel der Bürokratie schlagen und immer wieder rechnen müssen“, gesteht sie. „Aber es hat sich für uns alle hier und auch für unsere Kunden gelohnt.“
Wie ist das eigentlich, als junge Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten? „Der Anfang“, so gibt sie zu, „war alles andere als einfach. Die Tochter des Chefs.“ Sie wurde beäugt, beobachtet, alles kam auf die Waage. Doch wie alle anderen Mitarbeiter: innen hat sie an den Maschinen gestanden, sie bedient, per Hand gedrechselt und hart gearbeitet. In der Produktion, dem Herzstück des Betriebes. Nicht im Büro. „Sie hat sich den Respekt der anderen Mitarbeiter, die seit Jahren hier arbeiten, mit Leistung verdient. Und nicht, weil sie meine Tochter ist“, erzählt Dieter Neumann. Respekt zollt Neumann seiner Tochter auch in anderen Fragen. Hier geht es um die langfristige Ausrichtung des Betriebes, die Zukunftssicherung. Manchmal aber weichen ihre Vorstellungen voneinander ab. Das Ergebnis ist dann gegenseitiges Schweigen. Manchmal dauert es zwei Minuten, manchmal kann es auch zwei Stunden dauern. „Aber dann ist auch wieder gut. Danach sitzen wir bei meinen Großeltern im Haus nebenan gemeinsam am Mittagstisch – wie jeden Tag seit 45 Jahren − und die Wogen glätten sich wieder. Wir finden immer eine Lösung für die anstehenden Probleme. Mein Vater und ich sind uns sehr ähnlich, da kann es eben auch einmal krachen“, gibt Pia zu. Dieter Neumann ist kein Patriarch, der glaubt, alles besser zu wissen und dem sich alle unterordnen müssen. Und so wird bei den Neumanns der kleine Krach wieder schnell ins Gute gedreht und der Blick nach vorne gerichtet.
Das Schicksalsjahr
Der Blick nach vorne war zu keiner Zeit so scharf und zwingend wie im vergangenen Jahr. Ein Brand hatte den Betrieb schwer getroffen, der Schaden war enorm. Ein schwarzer Tag in der fast 60-jährigen Geschichte des Unternehmens. „Mein Vater, Florian und ich saßen damals zusammen. Mein Vater fragte mich, ob ich, ob wir unter diesen Umständen nach wie vor bereit wären, den Betrieb wieder aufzubauen und zu halten“ erinnert sich Pia an diesen denkwürdigen Moment. Sie hat nicht lange überlegen müssen und mit fester Überzeugung ja gesagt. So wie ihr Kollege Florian. „Eine andere Entscheidung wäre für mich undenkbar gewesen“, gibt sie zu.
Pia´s Vater hat einen 12-Stunden-Tag. Manchmal auch länger. Und sie? „Mit einem 8-Stunden-Tag komme auch ich nicht aus. Aber an dem einen und anderen Freitag höre ich etwas früher auf als er. Solange das noch geht, gönnt er mir diese freie Zeit.“ Und die verbringt sie dann mit ihrem Mann und ihrem Pferd. „Mir gehen laufend so viele Dinge durch den Kopf und in meinem Mann habe ich einen wundervollen Partner, mit dem ich alles besprechen und durchgehen kann, was mich so bewegt. Auf dem Rücken meines Pferdes durch den lippischen Wald zu reiten ist für mich aber etwas ganz Besonderes. Dann sehe ich das Holz, dann rieche ich das Holz, dann schmecke ich das Holz förmlich auf meinen Lippen und fühle mich einfach wunderbar. Das Holz, na ja, wie soll ich es anders sagen, hat mich in seinen Bann gezogen. Es ist ein Teil meiner selbst geworden.“
Pia Krein ist eben ihres Vaters − und des Holzes Kind.
Danksagung:
Wir danken Pia und ihrem Vater für die tolle Unterstützung bei diesem Projekt