Gemeinsam! Eine Porträtserie über Menschen aus Aachen, die sich für andere einsetzen

Christine Weber

Wenn ein Mensch sich wohlfühlt, sagt man, er fühle sich wie ein Fisch im Wasser. Was aber, wenn man nicht schwimmen kann? Und wenn man gemeinsam mit Hunderten anderen Menschen auf einem maroden Schiff übers Mittelmeer irrt, auf der Flucht vor Terror und Gewalt, ohne Heimat und mit ungewisser Zukunft? Dann macht Wasser Angst.

„Viele Menschen, die nach einer Flucht über das Meer zu uns gekommen sind, verbinden mit dem Thema Wasser vor allem negative Erinnerungen. Wir möchten ihnen die Furcht nehmen und sie mit dem Element Wasser vertraut machen“, sagt Christine Weber. Seit rund zehn Jahren bietet die Aachenerin mit ihrem Verein Aix-la-Sports Schwimmkurse an, mehr als 3000 Abzeichen vom Seepferdchen bis Gold haben die Teilnehmenden in dieser Zeit abgelegt. Rund die Hälfte von ihnen sind Geflüchtete, die andere Hälfte sind Nichtschwimmer aus der Region vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter.

Der Verein besteht aktuell aus knapp 800 aktiven Mitgliedern und richtet 21 vereinseigene Kurse wöchentlich aus, zusätzlich bedient Aix-la-Sports vier weiterführende Schulen im Schulschwimmen und bietet weitere Schwimmangebote in der StädteRegion an. Christine Weber sagt: „Aus der ehrenamtlichen Vereinsarbeit ist für mich seit Langem ein Vollzeitjob geworden.“ Gemeinsam mit ihrem Mann Rolf und den gemeinsamen Söhnen Marco und Jan bildet sie das Herz des Vereins, unterstützt werden die vier von 25 ehrenamtlichen Trainern und Helfern. „Samstags stehen wir bis zu neun Stunden im Wasser“, erzählt Christine Weber, „das ist sehr anstrengend, sehr fordernd.“ Der Schwimmunterricht folgt dabei dem Ansatz, alles aus einer Hand zu vermitteln. „Wir beginnen beim ersten dicken Zeh im Wasser“, sagt sie lachend. Die Gruppen würden über die gesamte Kursdauer von den gleichen Trainern betreut, alle Teilnehmenden würden individuell unterstützt: „Das hat einen familiären Charakter, wir bieten ein Rundum-Sorglos-Paket.“

Erste Kurse im Jahr 2015

Christine und Rolf Weber haben ihren Ansatz vor rund 30 Jahren entwickelt, damals noch in Wesel. Das bestehende Angebot an Schwimmkursen empfanden sie als unzureichend. Auch als sie nach Aachen zogen, boten sie Kurse an, damals in Koordination mit dem Stadtsportbund. Vor etwas mehr als 10 Jahren wollte die Familie das Angebot in Eigenregie anbieten, zu diesem Zweck gründeten sie mit Verwandten, Freunden und Gleichgesinnten den Verein Aix-la-Sports. „Das war extrem viel Arbeit“, erzählt sie, „wir hatten ja keine Ahnung, wie so ein Verein funktioniert.“ Aber das war nicht die einzige Hürde: Nach erfolgreicher Vereinsgründung stellte sich das Problem, dass die Schwimmzeiten in den städtischen Bädern sehr begehrt sind. Mit der Fluchtkrise ergab sich ein größerer Bedarf an Schwimmkursen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, der von den anderen Anbietern nicht abgedeckt werden konnte – so gingen 2015 die ersten Kurse von Aix-la-Sports an den Start, „vier Jungen- und eine Mädchengruppe“, wie Christine Weber sich erinnert.

Damals wie heute fanden die Schwimmstunden in der Elisabethhalle statt – die zwar wunderschön, aber auch beengt ist. In der ersten Phase findet der Unterricht in der kleinen Halle statt. „Sobald die Teilnehmenden besser schwimmen konnten, haben wir sie ins große Becken mitgenommen, was bei der Stammkundschaft nicht immer gut angekommen ist“, erinnert sie sich. Ihr sei es aber von Anfang an um Sichtbarkeit gegangen, im öffentlichen Bewusstsein seien die Schwimmkurse ein wichtiger Teil einer gelingenden Integration. Dabei half auch ein mutiger Schritt: Schon nach wenigen Monaten ernannten die Vereinsgründer vier Geflüchtete, die am Kurs teilnahmen, zu Helfern – mit T-Shirt und Badehose ausgestattet, unterstützten sie die Trainer bei der Arbeit. Heute stammt die Hälfte der Trainer und Helfer selbst aus den Reihen früherer Kursteilnehmer.

Gerade für die Geflüchteten sind die Schwimmkurse mehr als die Vermittlung einer Kompetenz. Wenn das Thema Wasser mit Gefühlen der Angst verbunden ist, bietet ein solcher Kurs auch die Chance, Selbstbewusstsein zu gewinnen. „Sie lernen etwas zu bewältigen, was ihnen Angst macht“, sagt Christine Weber, „das ist etwas Existenzielles“. Gerade in diesen Fällen seien die Kurse mit einer großen persönlichen Nähe zwischen Trainern und Teilnehmenden verbunden. Die Verbundenheit endet nicht am Beckenrand. Von den Geflüchteten würden die Trainer als Vertrauenspersonen wahrgenommen, erzählt sie. „Mittlerweiler hat unser Team viel Fachwissen, Kontakte und Erfahrung, wenn es um fluchtspezifische Themen geht“, sagt sie, „die Geflüchteten bitten uns regelmäßig um Hilfe, etwa bei Behördengängen und Anträgen.“ Auch das trägt dazu bei, dass Christine Weber ihre Arbeit im Verein als erfüllende Aufgabe wahrnimmt. Sie habe noch nie etwas so Sinnstiftendes in ihrem Leben gemacht, betont sie, „die Arbeit im Verein füllt mich heute 24/7 aus.“