Gemeinsam! Eine Porträtserie über Menschen aus Aachen, die sich für andere einsetzen
David Spencer
Als David Spencer nach dem Abitur eine Reise nach Südamerika machte, wollte er die Welt kennenlernen. Dort entdeckte er etwas, das sein Leben veränderte: „Es gibt in Südamerika unglaublich viele unterschiedliche Kartoffelsorten, manche Knollen sehen sogar aus wie kleine grüne Würmer“, erzählt er. Die Reise weckte seine Neugier in Bezug auf Pflanzen, und so entschied er sich, nach seiner Rückkehr anstelle des geplanten Kunstgeschichtsstudiums eines der Biologie aufzunehmen. Heute ist der 33-Jährige einer von Aachens bekanntesten Pflanzenexperten, sein Wissen teilt er über seinen Youtube-Kanal „Krautnah“, in Workshops und bei Vorträgen.
Wissen begreifbar machen
„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum“, schrieb Goethe im Faust. Wer aber will, dass seine Pflanzen prächtig grünen, sollte auch über das nötige Wissen verfügen. „Ich möchte eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft schlagen“, sagt David, „es geht mir darum Wissen begreifbar zu machen, ohne dass die Komplexität verloren geht.“ Er studierte am Institut für Pflanzenphysiologie der RWTH Aachen, seine Dissertation beschäftigte sich mit dem Einfluss, den Keime auf den Anbau von Sojabohnen haben. Schon während seines Studiums bereitete er seine Forschungsarbeit für ein breites Publikum auf und trat bei Science Slams auf, später kamen ein Podcast und jüngst ein Youtube-Kanal hinzu.
Dabei steht immer die praktische Anwendung im Mittelpunkt. In seinen Videos geht es zum Beispiel darum, wie verschiedene Pflanzen am besten in einem Beet kombiniert werden können, damit sie am besten gedeihen. Oft ergänzt er seine Anbautipps gleich um Kochrezepte, damit aus dem selbst angebauten Gemüse auch ein leckeres, gesundes Gericht wird. Die Arbeit von David Spencer stößt auf großes Interesse – schließlich gehen Lebensmittel alle Menschen etwas an. „Mit dem Thema sind viele Emotionen verbunden“, sagt der Biologe, oftmals ließen sich die Menschen eher von einem Bauchgefühl leiten: „Ich verstehe die Romantik, aber mein Ziel ist es auch, die Diskussion zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen.“ Er wolle anderen Menschen neue Perspektiven eröffnen und sie dazu anzuregen, sich selbst ein Bild zu machen.
Die wissenschaftliche Herangehensweise sei auch deswegen wichtig, weil das Thema Ernährung mit vielen Ambivalenzen verbunden sei. „Es gibt nicht nur einen richtigen Weg, Schwarz-Weiß-Malerei hilft nicht.“ Auf der einen Seite stehe der Wunsch nach einer gesunden und nachhaltigen Lebensweise, dem gegenüber stünden die Anforderungen einer industrialisierten Landwirtschaft. „Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die Nahrungsmittel produzieren. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass wir in den Supermärkten immer volle Regale haben.“
Kartoffel als Forschungsobjekt
Großflächige Monokulturen in der Landwirtschaft sieht er skeptisch – sie seien anfällig für Schädlingsbefall und bedrohten die Biodiversität. Ein wichtiges Thema für David Spencer ist die Resilienz von Pflanzen – also die Frage, wie viel Stress sie vertragen und wie sie mit veränderten Umgebungsbedingungen umgehen, auch vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels und dessen Auswirkungen auf das lokale Wettergeschehen. An dieser Stelle kommt wieder die Kartoffel ins Spiel, „meine Lieblingspflanze“, wie er sagt. In seinem Garten baut der Biologen derzeit zehn verschiedene Sorten an, um ihr Wachstumsverhalten zu erforschen. Er verweist auf die große Hungersnot, die in den 1840er-Jahren in Irland rund eine Million Menschen das Leben kostete und viele weitere in die Emigration trieb. Ausgelöst wurde sie durch die damals neuartige Kartoffelfäule. „In Irland gab es seinerzeit nur zwei unterschiedliche Sorten Kartoffeln“, erzählt er, diese waren dem Befall durch den Pilz Phytophthora infestans schutzlos ausgeliefert.
Ein Weg zum Erhalt der Biodiversität und damit zur Steigerung der Stressresistenz ist die Kultivierung alter Pflanzensorten. Diese liegt ihm am Herzen, aber eben auch die Kombination von tradiertem Wissen und moderner Technik. Bekanntestes Beispiel der sogenannten Ethnobotanik ist der Bezug auf die Lehren der Hildegard von Bingen, die im 12. Jahrhundert natur- und heilkundliche Schriften verfasste. Über die Jahrhunderte haben die Menschen biologisch-chemische Prozesse intensiv erforscht – um so wichtiger ist es, die Brücke von der Wissenschaft in die Lebenswelt der Menschen zu schlagen, um dieses Wissen nutzbar zu machen. David Spencer ist fasziniert von der Welt der Pflanzen. „Ich möchte wissen, wie sie von innen heraus funktioniert“, betont er, und fügt hinzu: „Es ist nicht immer so, wie man auf den ersten Blick denkt. Ich lerne jeden Tag etwas dazu.“
Text und Foto: Arnd Gottschalk