Gemeinsam! Eine Porträtserie über Menschen aus Aachen, die sich für andere einsetzen

Raquel Barros

„Als wir fertig waren, haben die Kinder sofort angefangen zu spielen.“ Wenn Raquel Barros über die Renovierung einer alten Schule in Würselen spricht, sprüht sie vor Begeisterung. In dem Bau leben geflüchtete Familien mit Kindern. Grau und trist sei die Unterkunft gewesen, bevor in einer gemeinschaftlichen Anstrengung im Rahmen des Social Day von Organisationen, Unternehmen und Bewohnern Abhilfe geschaffen wurde. „Wir haben die Wände gestrichen, Hochbeete gebaut, Sofas aus alten Paletten geschreinert und einen Fahrradparcours auf den Hof gemalt“, erzählt sie und fügt hinzu: „Das sind Ereignisse, wo ich sehe: Die Arbeit lohnt sich!“

Raquel Barros macht sich stark für Menschen, die Unterstützung brauchen. Sie leitet die Werkstatt der Kulturen der Diakonie Aachen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Integration in der Aachener Region zu fördern und zugewanderten Menschen zu helfen. Die Einrichtung bietet vor allem Deutsch-Sprachkurse, Fortbildungen sowie Beratungen für Einzelpersonen, Familien und soziale Organisationen an, und zwar an den Standorten Aachen, Herzogenrath und Würselen.

„Wir haben eine Chance, gemeinsam etwas zu verändern“, betont Raquel. Das beginnt bei konkreter Hilfe in individuellen Situationen – etwa bei Behördengängen oder dem Ausfüllen von Formularen. Oftmals würden dabei existentielle Fragen berührt; als Beispiele nennt sie Asylverfahren und Aufenthaltstitel, aber auch die Zustände in den Unterkünften. Die Gefühlswelt vieler Geflüchteter sei von Angst, Unsicherheit und Überforderung geprägt, auf der anderen Seite seien sie froh und dankbar, in einem sicheren Umfeld leben zu können.

Sprache ist der Schlüssel

Ein wichtiges Element der Integration sind Sprachkenntnisse. Sie ermöglichen nicht nur gesellschaftliche Teilhabe und den Zugang zu wichtigen Informationen, sie sind auch der Schlüssel für persönliche Begegnung und gegenseitiges Verständnis. „Wir sind stolz darauf, dass viele Teilnehmer die Deutschkurse mit einer erfolgreichen Prüfung abschließen“, berichtet sie. Möglich sei das – wie viele andere Erfolge der Integrationsarbeit – durch das große Engagement der Kolleginnen und Kollegen bei der Diakonie, aber auch in anderen beteiligten Organisationen, Behörden und Unternehmen.

Integration ist ein Herzensthema für Raquel Barros – auch und gerade aus ihrer eigenen Lebensgeschichte heraus. „Ich bin in Brasilien in materiell gesicherten Verhältnissen groß geworden. Meine Familie hat es mir ermöglicht zu studieren. Für diesen Luxus bin ich sehr dankbar.“ Zugleich sei ihre Familie immer sehr politisch gewesen – ihr Patenonkel saß während der Militärdiktatur im Gefängnis, ihre Mutter nahm sie mit zu Besuchen in den Favelas, den Armenvierteln der großen Städte. Auch aus der Wahl ihres Studienfachs sprach ihr gesellschaftliches Engagement – sie studierte Architektur, um die Grundlage für Stadtentwicklungsarbeit kennenzulernen. Im Rahmen ihres Studiums kam sie für ein Praktikum nach Deutschland – das Land, in das sie zwei Jahre später der Liebe wegen übersiedelte. Ihr brasilianischer Studienabschluss wurde in Deutschland nicht anerkannt, und sie entschied sich, ein Studium im Bereich der Sozialen Arbeit zu absolvieren. „Ich habe gemerkt: Ich kann dieser Welt etwas geben“, sagt sie.

In Deutschland sei ihr auch bewusst geworden, wie sehr gesellschaftliche Teilhabe und sozialer Status von der Herkunft abhängen. „In Brasilien bin ich als weiß gelesen worden, in Deutschland war ich dann die Person of Colour. Dabei bin ich doch ich!“ Anfangs sei ihr Ziel gewesen, in Deutschland akzeptiert zu werden – „darüber habe ich mich selbst verloren“. Erst mit der Zeit sei es ihr gelungen, mit sich selbst und mit ihrer neuen Heimat in Einklang zu kommen. Dieser Erfahrungen möchte sie jetzt mit anderen Menschen teilen, sie auf ihrem Weg unterstützen - unbürokratisch und unkompliziert, tatkräftig und herzlich.

Für Raquel Barros ist gesellschaftliche Verständigung aber auch ein entscheidender Zukunftsfaktor: „Wir müssen als Gesellschaft fähig werden, mit Diversität umzugehen. Integration passiert auf unterschiedlichen Wegen, aber sie passiert.“ Vielfalt bringe immer auch Herausforderungen mit sich, die aber durch eine offene, zugewandte Einstellung bewältigt werden könnten. Sie sagt: „Unser Ziel ist es, Brücken zu bauen und Türen zu öffnen. Wir möchten, dass alle sich hier willkommen fühlen.“