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Frisches Wasser für dürres Land Wie das Evangelium den Gottesdienst erfrischt

Stefan Schweyer

Der Erdboden kann sich nicht selbst Wasser geben. Er ist darauf angewiesen, dass es regnet. Bei Sommerhitze und in Trockenzeiten spüren wir das besonders. Und wenn es dann regnet und der Erdboden das Wasser empfängt, beginnt es zu wachsen und zu blühen. Unser Leben – als Einzelpersonen und als Gemeinden – gleicht einem solchen Erdboden.

Gott schenkt Leben

Wir können uns nicht selbst das Leben geben. Wir können uns nicht selbst erneuern. Uns fehlen dafür die Ressourcen. Wenn wir nur auf unsere Möglichkeiten bauen, gleichen wir dürrem, trockenem Land. Wir sind auf Regen angewiesen. Das Leben können wir nicht selbst produzieren – es muss uns geschenkt werden.

Es ist Gott selbst, der uns aus Seiner Lebensfülle beschenkt – Er ist die Lebensquelle für Leib und Seele. Er ist der gute Hirte, der zu «frischem Wasser» führt (Psalm 23,2). Gott giesst «Wasser auf das Durstige und Ströme auf das Dürre», nämlich Seinen «Geist» und Seinen «Segen» (Jesaja 44,3).

Kern des Evangeliums

Damit sind wir beim Kern des Evangeliums: Ich verdanke mich nicht mir selbst, sondern empfange mein ganzes Leben aus Gott. Deshalb hat Gott mich ins Dasein gerufen und mit Lebensatem beschenkt. Deshalb hat Gott Seinen Sohn Jesus Christus in die Welt gesandt, damit wir in Ihm das ewige Leben erhalten (Johannes 3,16). So kommt es zum «fröhlichen Tausch»: Jesus verbindet sich mit meiner Schuld, meiner Vergänglichkeit, meinem Durst, meiner Sehnsucht, meiner Sünde, ja sogar mit meinem Tod. Und durch den Glauben verbinde ich mich mit Jesus und erhalte Anteil an Seiner Auferstehungskraft. Ich werde aus Seiner göttlichen Lebensfülle beschenkt, mein dürrer Erdboden wird mit Seinem Segensregen aus dem Himmel getränkt.

Und wenn Gott Seinen Segen auf unseren dürren Herzensboden regnen lässt, wenn Er uns aus dem Himmel mit Seinem Heiligen Geist beschenkt, dann «werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande» (Jesaja 35,6), dann «fliessen Ströme lebendigen Wassers aus dem Leib» (Johannes 7,38). Das Leben beginnt zu blühen, die Gemeinde wird erfrischt.

Umgekehrt heisst das: Wenn wir uns in der Gemeinde auf uns selbst verlassen – auf unsere Worte, auf unser Handeln – und wenn wir uns gegenüber dem himmlischen Segensregen verschliessen, wird das Gemeindeleben anstrengend und mühsam, das Leben verdorrt und es bleibt eine Wüste zurück. Aus dem Evangelium leben heisst also: Offen und empfangsbereit sein für das, was uns Gott schenkt. Das hat Auswirkungen auf alle Aspekte des individuellen und gemeinsamen Lebens.

Aus dem Evangelium leben heisst also: Offen und empfangsbereit sein für das, was uns Gott schenkt.

Im Folgenden konzentriere ich mich darauf, was das für die Gottesdienstgestaltung bedeutet.

Erfrischende Gottesdienste: Mehr vertikal als horizontal

Gottesdienste enthalten eine «vertikale» und eine «horizontale» Kommunikationsachse. Die horizontale Ebene beinhaltet die zwischenmenschlichen Begegnungen. Die vertikale Achse steht für die Begegnung mit Gott: Gott spricht mit uns, und wir antworten Ihm mit unserem Gebet und Lobgesang. Gottesdienste, die sich vom Evangelium bestimmen lassen, legen besonderen Wert auf die vertikale Kommunikation. Das heisst: Gottesdienst ist mehr als ein Konzert, mehr als eine Freizeitunterhaltung, mehr als ein Vortrag, mehr als eine Vereinsversammlung mit vielen Informationen, mehr als eine Schulstunde, mehr als ein Event. Gottesdienst ist ein Ort der Begegnung mit Gott. Und dafür soll im Gottesdienst ein weiter Raum eröffnet werden.

Das beginnt schon beim Start: Ein «Hallo zusammen» ist nett auf der zwischenmenschlichen Ebene, eröffnet aber noch nicht die vertikale Dimension – anders als beispielsweise ein Segensgruss «Die Gnade des Herrn Jesus Christus sei mit Euch!» Damit wird der richtige Grundton gesetzt. Gottesdienste werden erfrischt und sind erfrischend, wenn es mehr um Gott geht als um mich, wenn ich von mir selbst losgerissen werde und alle meine Sinne auf Gott ausrichte. Der Gottesdienst hilft mir, weg von mir selbst und auf Gott hinzuschauen und mich von Ihm beschenken zu lassen.

Gottesdienste werden erfrischt und sind erfrischend, wenn es mehr um Gott geht als um mich.

Erfrischende Predigt: Mehr gute Nachricht als gute Ratschläge

Die Predigt ist nicht nur eine logische Erklärung des Evangeliums, sondern Zuspruch des Evangeliums. Der Kern der Predigt besteht daher nicht in guten Ratschlägen für eine optimierte Lebensführung, sondern in der Verkündigung der guten Nachricht. Im Hören der Predigt erhalte ich also nicht nur wertvolle Informationen, sondern mein Herz wird angesprochen und berührt – weil ich Gottes Wort vernehme und mir neu zugesagt wird, dass Gott mich liebt, erlöst, befreit, erneuert und zur Vollendung führt.

Ein treffendes Sprichwort lautet: «Das Wort, das mir hilft, kann ich mir nicht selber sagen!» Das gilt eben auch für das Evangelium. Ich habe es nötig, dass mir diese Worte von meinen Glaubensgeschwistern gesagt werden. Mein Glaube findet nicht in den eigenen Worten Gewissheit, sondern in den Worten, die mir zugesprochen werden. Und so erfahre ich in der Predigt wieder neu: Ja, es stimmt! Das ist das Evangelium: Jesus Christus ist für uns gestorben und auferstanden (1. Korinther 15,3–4). Das gilt! Das erfrischt mein Leben.

Erfrischender Lobpreis: Mehr Gott als Ich

Wenn der Herzensboden mit Segensregen getränkt wird, steigt als Frucht der Lobpreis empor (vgl. Hebräer 13,15). Es ist die angemessene Reak­tion des Glaubens, wenn wir Gott danken, loben und preisen für Seine Gnade, für Seine Grösse, für Sein Erbarmen. Lobpreis ist die richtige Antwort auf das Evangelium. Lobpreis reagiert auf das, was Gott uns schenkt.

Die eigentliche Quelle des Lobpreises ist also nicht unser Herz, sondern Gottes Offenbarung. Lobpreis, der nur aus unseren eigenen Gefühlen und Gedanken stammt, ist dürr und langweilig. Lobpreis dagegen, der sich aus der Quelle des Evangeliums speist, ist erfrischend. Im Lobpreis preisen wir nicht uns selbst, sondern Gott. Um Ihn geht es. Das kann beispielsweise ganz konkret bei der Liederwahl berücksichtigt werden, indem wir mehr Lieder wählen, die besingen, wer Gott ist und was Er tut, als wer ich bin und was ich mache.

Dr. Stefan Schweyer (53), ist Ordentlicher Professor für Praktische Theologie an der Universitären Theologischen Hochschule STH Basel. Er forscht und lehrt an der Schnitt­stelle von Theologie und Gemeindepraxis, ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Bücher von Stefan Schleyer, Brunnen Verlag, Giessen; ISBN 9783765521416 (Gemeinde mit Mission) und 9783765521249 (Gottesdienst)