Gemeinsam! Eine Porträtserie über Menschen aus Aachen, die sich für andere einsetzen

Ursula Espeter

„Das ist der Wahnsinn hier, und es macht uns alle glücklich.“ Wenn es um ihr Projekt geht, ist Ursula Espeter nicht zu bremsen. Ihr Projekt, das ist Tabalingo – ein großes Kinderparadies, das Kindern mit und ohne Behinderung alle Freiheiten lässt, ihren Bewegungsdrang und ihren Spieltrieb auszuleben, und das ohne Leistungsdruck, voller Freude und Spaß. In den letzten 14 Jahren haben mehrere tausend Kinder und Jugendliche an den Programmen des Vereins teilgenommen, pro Woche sind es derzeit rund 600. Angeboten werden Sportarten wie Fußball, Basketball, Ballspaß, Bouldern, Ninja-Warrior, Multifit, Fit&Fun, Vielseitigkeitstraining, Tischkicker, Taekwondo, Bogenschießen und Stockkampfkunst, aber auch Yoga, Tai-Chi, Schwarzlichttheater und Tanzen. Und das Faszinierende ist, dass all das in den ersten drei Jahren privat organisiert und finanziert wurde. Erst viel später kamen Förderungen von Stiftungen und Unterstützern hinzu. 35 Preise hat der Verein inzwischen gewonnen, „das ist schon eine Hausnummer“, sagt sie.

Angefangen hat alles im Jahr 2010. Ursula Espeter wohnte mit ihrem Mann und den vier Söhnen in Aachen-Eilendorf. Als fünftes Kind der Familie kommt Nike auf die Welt. Sie hat das Downsyndrom, und das krempelt das Leben der Familie um. „Sie hat bei uns den Glücksschalter angeknipst. Es ist, als würde sie das Leben richtig verstehen“, sagt Ursula Espeter. Ein Kind mit Behinderung bringe Familien dazu, die Frage zu stellen, was im Leben wirklich wichtig sei, alles bekomme eine neue Dimension.

Aber das Leben mit Nike bringt auch Herausforderungen mit sich. „Wir wollten Sport mit ihr machen, aber da war nix“, erinnert sie sich. Sie fasste mit ihrer Familie den Entschluss Abhilfe zu schaffen, baute den Schuppen im heimischen Garten um und gründete eine erste Tanzgruppe, damals mit fünf Kindern. Das Angebot trifft auf große Nachfrage, nach rund einem Jahr nehmen schon mehr als 100 Kinder teil. Der Schuppen wird zu klein und die Espeters ziehen nach Stolberg um, wo sie am Rand des Stadtteils Donnerberg auf dem Gelände einer ehemaligen Nerzfarm genug Platz finden, ihren Traum zu verwirklichen. Schritt für Schritt setzen sie ihre Idee um. „Die ersten Jahre waren so hart, wir haben Tag und Nacht gearbeitet“, sagt die Vereinsgründerin. Heute beschäftigt der Verein 9 Mitarbeiter; 36 Trainer und 60 Betreuer kümmern sich um die Kinder. „Wir sind wie ein Kleinunternehmen“, sagt Ursula Espeter.

Auf dem Gelände gibt es unter anderem mehrere Sportplätze, zwei Hallen und ein großes Kletter- und Ninja-Warrior-Areal. Gerade das Letztere ist ein Riesenerfolg. 160 Hindernisse warten auf die jungen „Ninja Warriors“, 140 Kinder und Jugendliche üben diesen Sport bei Tabalingo aus, weitere 50 stehen auf der Warteliste. Damit ist Tabalingo der größte Breitensportanbieter in diesem Bereich in ganz Deutschland. Im Winterhalbjahr wird der Parcours einfach in einer der Hallen aufgebaut, damit der Sportspaß weitergehen kann. Direkt nebenan steht die neue Boulderhalle – auch so ein Projekt, auf das die Espeters stolz sind. „Unser Sohn Jorick hat den Innenausbau ganz allein gemacht“, sagt Mutter Ursula, und wer einen Blick in die Halle wirft, muss einfach nur staunen – von kommerziellen Kletterhallen ist sie kaum zu unterscheiden.

Sport und Kultur

Neben den Sport- und Spielangeboten ist das Tabalingo-Team auch im Kulturbereich aktiv. Ursula Espeter sprüht vor Begeisterung, wenn sie von der Musicalaufführung im Aachener Eurogress erzählt, an der Kinder mit und ohne Behinderung teilnahmen. „Das waren magische Momente“, erinnert sie sich, „wir bringen sie auf die Bühne, und dann bekommen sie ein ganz anderes Selbstvertrauen.“ Die Themen Fairness, Respekt, Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit liegen Ursula Espeter sehr am Herzen. „Wir verschenken so viel Potenzial. Kinder mit Behinderung haben oft große Sozialkompetenz und Empathie, das sind echte Perlen der Gesellschaft.“ Begeistert erzählt sie von der Dankbarkeit, die sie erfährt, etwa von Alessio, dem Jungen, der bei der Musicalaufführung die Hauptrolle spielte. Oder von Timothy, einem weiteren Förderkind von Tabalingo – er hat jetzt einen Bachelorabschluss in Philosophie gemacht. Und auch für ihre eigene Zukunft hat sie Pläne: Wenn die Söhne ausgezogen sind, will sie das Haus zu einer inklusiven Wohngemeinschaft für acht Menschen umbauen, „wo ich alt werden kann“. Auch Nike und ihr Freund Christoph werden dort wohnen.

Schon in jungen Jahren war die heute 60-Jährige an sozialen Themen interessiert. Sie hatte eine beschwerte Kindheit; „mit 12 Jahren habe ich beschlossen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.“ Sie machte eine Banklehre und arbeitete für eine Versicherung, parallel spielte sie Basketball in der Landesliga und trainierte Ju Jutsu bis zum 1. Dan. Dieses Gleichgewicht zwischen Spaß und Sport, Freude und Ehrgeiz prägt sie noch heute: „Ich bin durch und durch Trainerin. Die Kinder sollen bei uns bestimmte Techniken lernen, das ist nicht nur Lullifax.“

"Ich lebe meinen Traum"

Und da war noch die Sache mit der integrativen Fußball-Mittelrheinliga, einem Wettbewerb, in dem Teams mit Spielern mit und ohne Behinderung ihre Kräfte messen. Jahrelang hat Ursula Espeter dafür gekämpft, gegen die Widerstände in den Verbänden. „Ich bin denen so lange auf den Keks gegangen, bis ich mein Ziel erreicht habe“, lacht sie, und fügt hinzu: „Ich lebe meinen Traum: Jetzt bin ich 60 Jahre alt und spiele in meiner eigenen Fußball-Liga. Das ist doch cool, oder?“

Als wir über Tabalingo sprechen, kommt ihr Mitarbeiter Tristan rein und zeigt ihr ein Video auf dem Handy. Der 11-jährige Felix hat die „Himmelsleiter“ bezwungen, einen 10 Meter hohen Turm, den man mit Klimmzügen bewältigt – eine Leistung, die im wahren Wortsinne atemberaubend ist. „Das ist der Wahnsinn, oder?“, sagt Ursula Espeter. Ja, das ist der Wahnsinn, und es zieht Kreise: Das Tabalingoteam hat das Video noch am gleichen Abend auf den Social-Media-Kanälen veröffentlicht, bei Facebook ist das Video viral gegangen, bis jetzt wurde es rund zwei Millionen Mal angesehen.